„Mann sein bedeutet nicht, stark sein zu müssen“
Rheinland-Pfalz-Meister im Poetry-Slam kommt aus Landau
Landau. Es ist der 28. September und die Atmosphäre im Saal vibriert vor Spannung. Anuraj Sri Rajarajendran steht hinter der Bühne und atmet tief durch. „Ich rocke das“, sagt er sich leise und schließt kurz die Augen. Der Moment der Wahrheit steht bevor: Das Stechen im Finale der Rheinland-Pfalz-Meisterschaft in Worms.
Zuvor hat der Poetry-Slammer aus Landau sich durch das Halbfinale und die erste Finalrunde gekämpft. „Normalerweise bin ich nicht mehr aufgeregt, weil ich schon auf unzähligen Bühnen gestanden habe“, erklärt er. „Aber bei Meisterschaften ist es anders. Da ist der Wettbewerbsgedanke, und man will das Beste aus sich herausholen.“
Im Finalstechen trägt er seinen emotionalsten Text „Papa, warum weinst du nicht?“ vor – eine berührende Auseinandersetzung mit der Beziehung zu seinem Vater, die das Publikum tief berührt. „Es war der erste Text, den ich komplett auswendig vorgetragen habe“, erinnert sich Anuraj. „Es war ein Gefühl der Schutzlosigkeit, aber auch der Freiheit. Ich konnte beide Hände einsetzen und die Emotionen ganz anders darstellen.“ Dieser Moment bleibt ihm besonders in Erinnerung: „Das Publikum war mucksmäuschenstill. Bei ernsten Texten bekommst du oft keine Reaktion, alle starren dich an, und du weißt nicht, ob es ankommt. Aber dann habe ich eine Frau in der ersten Reihe gesehen, die ihrem Partner zeigte, dass sie Gänsehaut hatte. Das war der Moment, in dem ich wusste: Jetzt habe ich sie.“ Der Text über die emotionale Zurückhaltung vieler Männer, insbesondere in der Kultur seiner Eltern aus Sri Lanka oder mit Migrationshintergrund, ist nicht nur ein persönlicher Prozess für Anuraj, sondern auch eine Botschaft an andere, ihre Gefühle zuzulassen.
Vorbereitung und Rituale
Anuraj liebt die Bühne, mittlerweile hat er Erfahrung von rund 80 Poetry Slamms. Hinter der Bühne hat er ein Ritual: Er ist ganz im Tunnel und atmet tief in den Bauch, läuft hin und her, um den Puls runterzubringen, und geht seinen Text noch einmal durch. „Wenn es ernst wird, bin ich ganz bei mir“, sagt er. „Kurz bevor ich auf die Bühne gehe, sage ich mir: ,Ok, gib dein Bestes.'“
Der Moment, in dem er auf die Bühne tritt, fühlt sich wie ein Sprung ins Ungewisse an. Besonders das Finale der Rheinland-Pfalz-Meisterschaft bleibt ihm in Erinnerung. „Es war der erste Text, den ich komplett auswendig vorgetragen habe“, erinnert sich Anuraj. „Es war ein Gefühl der Schutzlosigkeit, aber auch der Freiheit. Ich konnte beide Hände einsetzen und die Emotionen ganz anders darstellen.“
Die Texte und ihr persönlicher Hintergrund
Anurajs Texte sind eine Mischung aus persönlichen Erfahrungen, gesellschaftlichen Themen und einem Hauch von Humor. Besonders „Papa, warum weinst du nicht?“ ist ihm sehr wichtig, da er darin über die emotionale Zurückhaltung vieler Männer spricht. „Ich habe meinen Vater in meinem Leben nie weinen sehen“, erzählt Anuraj. In seinem Text schreibt Anuraj dazu: „Echte Männer reden nicht, nein, echte Männer quälen sich.“ „Das war für mich als Kind normal, aber je älter ich wurde, desto mehr habe ich gemerkt, dass es okay ist, Gefühle zu zeigen“, betont Anuraj. In seinem Text, mit dem er auch bei den deutschen Meisterschaften antreten wird, bringt er den Wunsch zum Ausdruck, „kein echter Mann“ zu sein, wenn echte Männer nicht weinen. „Es gibt keine Definition für wahre Männlichkeit“, sagt Anuraj. „Jeder Mensch kann sein, was er will. Ich würde es nie wagen, eine Definition eines ,echten Mannes' auszusprechen.“
Neben den ernsteren Themen schreibt Anuraj auch immer humorvolle Texte wie „Ich bin eine 10 von 10“. Dieser Text, inspiriert von einem TikTok-Trend, setzt sich auf humorvolle Weise mit Oberflächlichkeiten und Unsicherheiten auseinander. „Es gibt so viele Situationen im Leben, in denen man sich als ,nicht genug' fühlt“, sagt Anuraj. „Diesen Unsicherheiten Raum zu geben und sie gleichzeitig mit Humor zu verarbeiten, war mir wichtig.“
Der Weg in die Zukunft
Nach seinem Erfolg bei den Rheinland-Pfalz-Meisterschaften, der ihn für die Deutschen Meisterschaften am 30. November in Bielefeld qualifiziert hat, ist Anurajs Kalender voll. „Es hat sich viel verändert“, gesteht er. „Ich bekomme viele Anfragen, werde deutschlandweit gebucht. Es ist aus einem Hobby mehr geworden.“ Anuraj hat früher den Fokus auf Rapmusik gelegt, aber inzwischen schätzt er die Möglichkeiten, die Poetry Slam bietet: „Ich mag immer noch Musik, aber es ist einfach schwieriger, mit Musik Fuß zu fassen. Beim Poetry Slam habe ich direkt eine Bühne und kann meine Kunst ans Publikum richten. Das bietet mir mehr Chancen, auch wenn es bedeutet, dass ich jedes Mal neu auf die Bühne treten und meine Texte präsentieren muss.“
Was bleibt, ist der Wunsch, mit seiner Kunst zu berühren. „Wenn ich einen Menschen im Publikum dazu bringe, sich mit einem Thema anders auseinanderzusetzen, habe ich schon gewonnen.“ [kata]
Autor:Katharina Wirth aus Herxheim |
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