Wie wird man eigentlich Gleichstellungsbeauftragte, Isabelle Stähle?
Landkreis SÜW. In einer Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleiche Chancen haben sollten, sehen sich Frauen immer noch mit althergebrachten Rollenbildern konfrontiert. Es fehlt an politischer Partizipation, Care-Arbeit wird immer noch überwiegend von Frauen geleistet und sie sind nach wie vor viel zu oft Opfer häuslicher Gewalt. Das Grundgesetz weist auf eine „Durchsetzung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Männern und Frauen“ hin. Dazu gibt es die Stelle als Gleichstellungsbeauftragte.
von Katharina Schmitt
Isabelle Stähle suchte 2020 nach über 20 Jahren Erfahrung in der beruflichen Bildung eine neue Herausforderung: Sie wurde Gleichstellungsbeauftrage des Landkreises Südliche Weinstraße. Ihre Arbeit umfasst nicht nur die Unterstützung von Frauen, beispielsweise beim Wiedereinstieg ins Berufsleben, sondern auch die Bekämpfung von häuslicher Gewalt und die Förderung der politischen Teilhabe von Frauen. Stähle muss die Herausforderungen der Gleichstellung im Kontext des ländlichen Raums betrachten. Ziel ihrer Arbeit ist es, das Bewusstsein zu stärken und dadurch sowohl jüngere Menschen als auch Männer zu akquirieren, so dass in einer idealen Welt ein Weltfrauentag nicht mehr nötig wäre.
„Welches Thema ist wichtig für SÜW?"
Als die Stelle ausgeschrieben wurde, war Stähle 50 Jahre alt. „Es gab neue Herausforderungen, der Beruf ist sehr facettenreich und es dreht sich um wahnsinnig viele gesellschaftspolitische Themen", erklärt Stähle den Reiz des Jobs. Doch die größte Herausforderung brachte der Standort der neuen Position mit sich: der Landkreis Südliche Weinstraße. „Wichtig sind immer die Fragen: ,Welches Thema ist wichtig für SÜW? Was brauchen die Bürgerinnen und Bürger hier?'" – um hier ansetzen zu können, muss die Gleichstellungsbeauftragte mit den Bürgern ins Gespräch kommen und ein Bewusstsein schaffen.
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Heißt es in Artikel 3 Absatz 2 im Grundgesetz. Doch in der Realität liegt der Fokus der Gleichstellungsbeauftragten eher auf den Frauen. „Männer melden sich in der Regel weniger bei mir“, erklärt Stähle, „jedoch sind Frauen immer noch nicht gleichgestellt, auch wenn viele gerne davon ausgehen. Viele Frauen haben noch immer nicht die gleichen Rechte. Genau deshalb feiern wir den Weltfrauentag.“
Wer meldet sich bei der Gleichstellungsbeauftragten?
Doch aus welchen Gründen melden sich überhaupt Bürgerinnen und Bürger bei der Gleichstellungsbeauftragten? Männer wählen zum Thema familiäre Schwierigkeiten oder zur Beratung bei Kinderbetreuung als alleinerziehende Väter die Nummer von Stähle. Sie berät die Anrufer und verweist sie dann an Beratungsstellen weiter. Ihr großes Netzwerk hilft ihr dabei, die Kontakte gibt sie an die Anrufer weiter.
Auf der Seite der Frauen können die Gründe für den Anruf Hilfe und Beratung in den Themen Trennung/Scheidung, berufliche Neuorientierung oder Wiedereinstieg, Kinderbetreuung, Unzufriedenheit im Job oder auch Vereinbarkeit von Beruf und Familie sein. Bei vielen ist der Grund des Anrufs meist ein anderer: Häusliche Gewalt. „Viele halten die Südpfalz für einen ländlichen beschaulichen Raum, in dem so etwas nicht passiert. Das ist falsch“, klärt Stähle auf. 70 Prozent der Betroffenen sind Frauen, 80 Prozent der Täter sind Männer, so die Statistik von Polizeidirektor Jürgen Traub von der Polizeidirektion in Landau. Stähle ist sich ihrer Position bewusst: Sie agiert als beratende Person und muss einschätzen, um welche Situation es sich handelt. Darüber hinaus versucht sie herauszufinden, wo der Kern der Problematik ist. Auch hier versucht sie mit ihrem Netzwerk weiterzuhelfen und zu vermitteln.
Gewalt an Frauen als Dauerthema
Die häusliche Gewalt bleibt weiterhin Schwerpunkt ihrer Arbeit als Gleichstellungsbeauftragte. Mit dem Arbeitskreis, dem runden regionalen Tisch "Stopp", tauscht sie sich regelmäßig aus. Dabei betont Stähle immer wieder, dass es wichtig ist, ein Bewusstsein zu schaffen. „Es ist nicht verwerflich aktiv zu werden, wenn eine Nachbarin oder eine Freundin von Gewalt betroffen ist“, betont Stähle. Dabei ist Stähle immer auf der Suche nach neuen Impulsen und Projekten. Zuletzt mit der Überlegung, dass es südpfalzweit ein Interventionszentrum braucht. Interventionszentren sind einige der wenige Institutionen, die Täterarbeit machen, erklärt Stähle. Einmal im Jahr veranstaltet sie einen Fachtag für Ehrenamtliche zu einem bestimmten Thema, im Vorjahr beispielsweise rund um „Schutzkonzepte“.
Ein weiterer Erfolg des Arbeitskreises: Frauen, die sich nach einer Vergewaltigung untersuchen lassen wollen, mussten bislang bis nach Mainz fahren. „Die ‚Spurensicherung‘ macht jedes Krankenhaus, aber ein spezielles Verfahren mit einem Katalog, der mit dem Opfer auch die Tat bespricht und den mentalen Zustand nicht außer Acht lässt nicht. Die psychologische Komponente – was braucht die Frau? – ist kein Bestandteil der normalen Spurensicherung. Das standardisierte Verfahren gibt es jetzt seit kurzem auch in Ludwigshafen“, berichtet Stähle.
Gewalt an Frauen bleibt ein Dauerthema, während der Corona-Pandemie verschlimmerte sich für viele die Situation. Die Zahlen sinken jedoch jetzt nicht wieder, stattdessen bleiben sie gleich oder steigen sogar. „Die Gewalt wird brutaler und intensiver, so auch die Rückmeldung von Polizei und Staatsanwaltschaft“, so Stähle. „Das ist natürlich frustrierend. Aber wir können da keine pauschale Lösung anbieten, wir können nur in allen Gesellschaftsschichten ansetzen und präventiv arbeiten.“ Kleine Erfolge, wie eine gute Resonanz auf Projekte und Veranstaltungen oder Nachfragen und Interesse an ihrer Arbeit aus der Bevölkerung bis hin zu Frauen, die den Schritt aus dem gewalttätigen häuslichen Umfeld wagen, helfen gegen den Frust.
„In den Gemeinderäten ist zum Teil keine einzige Frau"
Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit im Landkreis SÜW sind aktuell die Kommunal- und die Europawahlen. „Im ländlichen Raum ist in den Gemeinderäten zum Teil keine einzige Frau“, betont Stähle mit Nachdruck, „dabei leisten Frauen ganz viel Arbeit für Gemeinden. Sie engagieren sich bei den Landfrauen, in Sportvereinen, Elternausschüssen, Kita-Fördervereinen. Frauen steuern und managen das Dorfleben, sind aber nicht im Gemeinderat.“ Um hier ansetzen zu können, fragt die Gleichstellungsbeauftragte nach den Gründen und sucht Änderungsvorschläge. Eine der Ursachen sei , dass Gemeinderatssitzungen meist unter der Woche und abends sind. Auf dem Land herrsche aber häufig noch das traditionelle Rollenbild der Frau als Mutter, die – auch unter der Woche – Zuhause bei den Kindern bleibt. Erschwerend kommt hinzu, dass vielen Frauen die Last der Familie aufgebürdet wird: die Pflege der Eltern, die Verantwortung im Haushalt. An dieser Stelle kommt der zeitliche Faktor hinzu. „Die Belastung, der sogenannte mental load, spielt bei vielen eine Rolle: Will ich mir noch einen zusätzlichen Termin aufbürden?“, erklärt Stähle. Die Vorbilder in der Kommunalpolitik fehlen. In Sozialen Medien seien viele Bemerkungen und Kommentare zusätzlich sexistisch und abschreckend. Politikerinnen wie Ricarda Lang werden auf einer ganz neuen Ebene beleidigt. Stähle berichtet von der Erfahrung, dass gerade bei Frauen gefragt werde, was sie anhaben und wieso sie sich so kleiden: „Sowas wird bei Männern sehr selten gefragt."
Stähle ist bei Veranstaltungen präsent, spricht politische Vertreter direkt an. „Es ist auch Sache der politischen Parteien, Frauen mit ins Boot zu nehmen. Ich frage: ,Was tut ihr bereits?' und versuche meine Ideen einzubringen.“ Häufig sei bei den Männern kein böser Wille da, Frauen auszugrenzen. Sie gehen einfach davon aus, dass wer mitmachen möchte, das auch kann. Hier will sie ansetzen und aufzeigen, warum Frauen eben nicht immer können und welche Hürden sie nehmen müssen. „Die Zeit ist ungleich verteilt zwischen den Geschlechtern“, unterstreicht Stähle.
„Gleichstellung geht nur gemeinsam"
„Mein Ziel ist es auch, die junge Generation anzusprechen. Sie sind es, die das Thema voranbringen können, die dazu beitragen können, dass die Geschlechter gleichgestellt sind. Auch Kinder muss man dahingehend erziehen“, führt Stähle aus. Dabei sei auch wichtig, dass sich Männer beteiligen und an Veranstaltungen teilnehmen, beispielsweise bei der One Billion Rising-Aktion. Stähle hebt hervor: „Gleichstellung geht nur gemeinsam."
Hilfreich für ihre Arbeit ist die Kooperation mit den anderen Gleichstellungsbeauftragten: aus dem Kreis Germersheim und der Stadt Landau. „Wir arbeiten intensiv miteinander, um die Südpfalz am besten abbilden zu können. Durch unsere komplett unterschiedliche Altersstruktur bringen wir alle drei unterschiedliche Impulse ein“, erklärt Stähle.
"Gleichstellung beginnt schon bei den Kleinsten."
An Kinder wenden sich zwei ihrer Herzensprojekte: Wutmann und Kita Kiste klischeefrei. Wutmann ist ein Präventionsprojekt in sechsten Klassen zum Thema häusliche Gewalt in Kooperation mit Schulsozialarbeitern. Das Erschreckende: In jeder Klasse sei mindestens eine Person, die danach sagt: „Auch das erlebe ich Zuhause.“ – „Aber genau da können wir ansetzen“, erklärt Stähle. Mit der Kita Kiste klischeefrei wird noch früher angesetzt: Es ist eine Kiste mit Kinderbüchern und Spielen für Kinder in Kindertagesstätten. Die Kinder sollen weg vom Denken, was typisch Junge und was typisch Mädchen ist. Die Kiste dient zur Anregung, wie Rollenklischees aufgebrochen werden können, auch eine Kiste mit Literatur und Informationen für die Fachkräfte ist Teil des Projekts. „Gleichstellung beginnt schon bei den Kleinsten.“ Dass die Kiste sehr nachgefragt ist und regelmäßig verliehen, freut Stähle.
„Weltfrauentag ist jeden Tag."
Viele Sorgen und Nöte der Frauen sind belastend, aber Stähle hat gelernt, professionell damit umzugehen, sie wahrt Distanz. Die Diplompädagogin weiß, wie man abzuschaltet: „Ich fahre mit dem Fahrrad nach Hause, gehe die Tür rein und ab da beginnt mein Privatleben. Das muss man trainieren, aber funktioniert ganz gut.“ Im Yoga und ihrer Familie, ein Mann und ein erwachsener Sohn, findet sie einen Ausgleich, ihr Engagement geht auch in ihrem Hobby dem Frauenserviceclub weiter. Seit 1998 unterstützt sie im Agora Tangent Club Frauen und deren soziale Projekte. Mit Anfeindungen hat sie auch in ihrem Beruf immer zu kämpfen. Eine Frage, die ihr immer wieder gestellt wird: Gibt es nichts Wichtigeres? Darauf antwortet die Gleichstellungsbeauftragte: Es gibt immer irgendetwas Wichtigeres. Unser Job ist wichtig. Ich wäre froh, wenn der Job nicht nötig wäre, dann wären wir nämlich am Ziel.“ Die Frauenwochen des Landkreises SÜW zu organisieren, gehört zu ihren Hauptaufgaben. Sie helfen, das Bewusstsein zu stärken. Bewusst hat man sich gegen einen einzelnen Tag und für mehrere Wochen mit Programm entschieden. Am liebsten wäre Isabelle Stähle jedoch, dass der Weltfrauentag nicht nötig wäre: „Weltfrauentag ist an jedem Tag.“
Was die Frauenwochen im Landkreis SÜW sind und Informationen zum Programm erhalten Interessierte hier:
Weitere Informationen zum Weltfrauentag gibt es hier:
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Autor:Katharina Wirth aus Herxheim |
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