Staatsphilharmonie-Intendant Beat Fehlmann im Interview
Festival "Modern Times" in Ludwigshafen und Mannheim
Von Christian Gaier
Ludwigshafen/Mannheim. Die Besetzungen schwanken zwischen Miniatur und Monstrum, die Bandbreite reicht von Filmmusik über Schlager bis zur Sinfonik. Mit ihrem Festival Modern Times zelebriert die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz Gegensätze. Intendant Beat Fehlmann erläutert sie.
Herr Fehlmann, was war die Grundidee für dieses Jahr?
Fehlmann: Ich habe das Programm mit unseren neuen Chefdirigenten Michael Francis erstellt und wir sind zurück in die 1920er Jahre, in die Gründungsphase des Orchesters. Wir feiern ja das 100. Jubiläum und versuchen einen Fächer zu öffnen, ausgehend von Frage, was ist eigentlich musikalisch passiert in dieser Zeit. Ich finde diese Zeit auch deshalb so bewegend, weil sie geprägt war von gesellschaftlichen Umbrüchen. Es war klar, das Alte wird so nicht weiter bestehen aber das Neue war noch nicht da. Und ich finde, wenn man Industrialisierung durch Digitalisierung ersetzt, dann ist man eigentlich schon auch wieder in der Gegenwart, in der sich zeigt, wie fragil Werte wie Demokratie und Frieden sind, die doch unumstößlich schienen. Wir leben auch in einer labilen Zeit, von daher ist es nicht nur eine Nostalgie, sondern eine Möglichkeit zurückzugehen zu den Wurzeln des Orchesters und gleichzeitig auch etwas über unsere Gegenwart zu erfahren.
Los geht’s am Freitag, 6. September im Ludwigshafener Pfalzbau unter der Überschrift „Sprachlos“ mit einem Film von Charlie Chaplin. Was erwartet uns da?
Fehlmann: Wir sehen den Film „City Lights“, der ohne gesprochene Worte auskommt und unser Orchester wird die von Chaplin komponierte Musik live einspielen. Es ist stark wertebasierter Film, mit diesem Chaplin als Tramp, der in seiner Naivität einem Mädchen Geld zur Verfügung stellt, das er auf der Straße getroffen hat. Sie ist blind und verkauft Blumen und er findet einen Weg, damit er ihr eine OP finanzieren kann. Das ist schon eine berührende Fragestellung, wie gehen wir mit unseren Mitmenschen um, wie funktioniert eine Gesellschaft.
Um Provokateure geht es am Mittwoch, 11. September, in der Ludwigshafener Friedenskirche, wenn Gustav Mahlers 4. Sinfonie in kleiner Besetzung gespielt wird. Was verbirgt sich dahinter?
Fehlmann: Es gab damals in Wien um den Komponisten Arnold Schönberg herum einen so genannten Verein für Privataufführungen und das hat folgenden Hintergrund: Schönberg hatte eine Aufführung im Musikverein und wurde so was von ausgepfiffen. Für sein Konzept eines Tonsystems, in dem alle Noten gleichberichtigt sind und das in der Musik nachvollzieht, was in der Gesellschaft passiert, wurde er eben nicht wirklich geliebt und so hat er sich zurückgezogen aus dem Konzertleben und gesagt, okay, wir machen unsere Musik im eigenen Salon im Privaten. Und für diesen kleinen Rahmen wurden auch Werke wie Mahlers Vierte für eine kleine Besetzung bearbeitet. Da legt jemand Hand an und es ist eine Interpretation in einem gewissen Sinn, in der man viel darüber erfährt, wie diese Musik wirkt.
Unter dem Titel „Salto Mortale“ geht es am Sonntag, 15. September ins Mannheimer Capitol. Was passiert da?
Fehlmann: Ein anderes Phänomen dieser Zeit ist der Schlager. Es geht darum, in einer Situation der Ausweglosigkeit zu sagen, wir geben uns dem absoluten Genuss hin. Dazu kommt noch etwas, was in dieser Zeit wichtig ist, nämlich der Jazz. Auch wenn die Texte mehrheitlich deutsch sind, ist diese Musik ganz vom Jazz beeinflusst.
Und der krönende Abschluss am Freitag, 20. September in Mannheimer Rosengarten feiert die „Influencer“. Wer sind die?
Fehlmann: Da stehen drei Komponisten auf dem Programm, die ganz unterschiedliche Konzepte im Umgang mit der modernen Zeit repräsentieren. Wir fangen an mit „Amériques“ von Edgar Varèse. Das ist ein Monstrum, ein Riesending mit 120 Leuten auf der Bühne. Und das ist wirklich der absolute Zukunftsglauben, der die Industrialisierung als Heilsbringer sieht. Dann kommt Erik Saties „Parade“, das komplett ironisch auf die Moderne reagiert: Ich stelle sie auf den Kopf, ich überhöhe sie und ich mache mich lustig über sie. Und dann als drittes Stück Igor Strawinskys „Pulcinella“. Das ist ein ganz anderes Konzept im Umgang mit der Moderne, nämlich ein Rückgriff. Strawinsky bezieht seine musikalischen Ideen aus dem Barock, geht 300 Jahre zurück, holt sich das Material und setzt sich damit auseinander. Dazu haben wir als Element der Gegenwart das Mannheimer Tanzensemble Re:Soulution geholt, das die Ästhetik des Streetdance mit einbringt.
Weitere Informationen:
www.staatsphilharmonie.de
Autor:Christian Gaier aus Mannheim |
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