Hassrede eindämmen: Wie Gegenrede auf populistische Hetze sich lohnt
Ludwigshafen. Soziologen machen den Trend sichtbar: Seit 10 Jahren nehmen fremdenfeindliche Diskriminierungen im Alltag und auf Social Media zu. Erreichen wird man festgefahrene Parolenschwinger nicht mehr. Weniger überzeugte Rausposauner kann man aber zum Nachdenken bringen, um die Diskussion wieder zu versachlichen. Vor allem nimmt man ihnen den Wind aus den Segeln, um die Menschen zu erreichen, die drumherum stehen.
Von Julia Glöckner
Soziologische Studien bilden alle dasselbe ab: Immer mehr Menschen stimmen immer stärker demokratie- und menschenfeindlichen Meinungen zu. Seitdem sich in vielen EU-Ländern vor rund 10 Jahren die neue Rechte gründete, nimmt Hate Speech in Deutschland zu. Wie kann man ihr begegnen, um dem Trend entgegenzuwirken, dass Tabuäußerungen eine Normalisierung erleben? Das ist die Frage beim Workshop „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen“ im Nukleus Ludwigshafen Ende Mai.
Auf menschenrechtsverletzende Hetze trifft man überall im Alltag. Wer widersprechen will, muss gegen eigene Widerstände ankämpfen. Viele fühlen sich überrollt von den aggressiven, lauten, emotiven Gesten und Aussagen. Im Austausch ist es nicht leicht, die eigenen Emotionen zu kontrollieren.
„Wir sollten es dennoch tun, damit es nicht mehr wird“, sagt Luis Caballero, Soziologe und Workshoptrainer. „Denn andere Menschen könnten diese Meinungen annehmen. Es einfach stehen zu lassen und keine Haltung zu zeigen, kann außerdem als Zustimmung gewertet werden. In einer Demokratie hat jeder eine Vorbildfunktion. Sie lebt vom Engagement der Bürger und vom offenen Austausch.“
Als weitere Gründe erarbeitet die Workshop-Gruppe, dass tabuisierte Äußerungen mehr und mehr eine Normalisierung erfahren würden, was auch viele Studien belegen. So verschieben sich Toleranzgrenzen. Schon aus Solidarität gelte es zudem etwas zu tun für den Diskriminierten, der gerade rassistisch oder sexistisch angegangen wird. Mangelnde Zivilcourage in unserer Gesellschaft wird zu Recht bemängelt.
Was steckt dahinter?
Wer glaubt, dass Angela Merkel eine Echse ist, die von ihrem geheimen Regierungssitz aus vor allem eins will, und zwar die Menschheit versklaven, den erreicht man wahrscheinlich nicht mehr. Es gibt einen Point-of-no-return. Es geht in diesem Fall darum, die anderen zu erreichen, die mit dabei sind oder auf Social Media mitlesen.
Fake-News gründen auf Desinformationskampagnen. Sie bedienen Narrative, also sinnstiftende Erzählungen und Theorien, durch deren Brille die Menschen die Welt wahrnehmen sollen.
Die Hintergründe von Hate-Speech sind erforscht: Parolenschwinger stärken so etwa das Gruppengefühl, machen den anderen zum „unnormalen Fremden“, zum Schuldigen für ihre Probleme, unter denen sie leiden. Es kommt zu einer Täter-Opfer-Umkehrung. So kann man sich etwa als Deutscher zum Opfer machen oder als Mann zum Opfer des angeblichen Genderwahns. Es gibt empirische Hinweise, dass dahinter unter anderem auch Angst, Unsicherheit und erlebte Unzufriedenheit stecken. Manche Anhänger dieser Theorien sehen sich der Polykrise ausgeliefert und erleben sich selbst als unwirksam. Laut Wählerforschung ist die Angst vor dem sozialen Abstieg dabei zwar oft, aber nicht immer ausschlaggebend. Selbst in etablierten, elitären Milieus oder im Mittelstand sind solche Meinungen zu finden.
Diese simplen Personalisierungen komplexer gesellschaftlicher Strukturen und Probleme machen alles leichter: Sind die Ausländer erstmal draußen, gebe es wieder mehr Wohnraum. Ein unzureichender öffentlicher Wohnungsbau als eine tatsächliche Ursache wird dabei ignoriert, stattdessen die vermeintliche Schuld auf eine Personengruppe geschoben.
Strategien
In solchen Situationen solle man Strategien kennen, um den simplen Erklärungen etwas entgegenzusetzen, wie sie die Gruppe im Training erarbeitet. Wichtig ist, selbst nicht in einen abwertenden Ton zu verfallen. Humor ist dabei eine mächtige Waffe. Er kann die Situation entschärfen. Im besten Fall sorgt er beim Gegenüber für ein Nachdenken und schafft es, dass man gemeinsam über die unbedachte Äußerung lachen kann.
Oft genügt eine kurze ironische Äußerung wie „Wir haben auf der letzten Vollversammlung beschlossen, die Deutschen auszuweisen, denn sie üben im Unterschied zu den Juden in Deutschland zu viel Einfluss aus.“ Die ironische Nebenbedeutung dient dabei, die Grundannahmen des Narrativs anzuzweifeln.
Auch ernst und sachlich lassen sich die Grundannahmen von populistischen Erklärungen und Theorien hinterfragen. Wird etwa das Narrativ des „per se islamistischen und Bürgerkrieg schürenden Moslems“ bemüht, kann man entgegnen: „Auch in Nordirland flammt aktuell der jahrzehntelange Konflikt zwischen Katholiken und Christen wieder auf.“ Auf diese Weise kann man vermitteln, dass auch in anderen Religionen Fanatismus und Gewalt existieren. Wichtig ist immer ist die Zurückweisung von Verallgemeinerungen wie „Die sind alle so“.
Die Brücke sollte man stehen lassen, um dem Gegenüber damit die Chance zu geben, unter Gesichtswahrung wieder aus der Situation herauszukommen. „Falls Gesprächsbereitschaft besteht, etwa wenn der Parolenschwinger ein Freund, Kollege oder Bekannter ist, kann man im Anschluss unter vier Augen Sachargumente führen“, erklärt Caballero. Es sei immer gut, den Rausposauner dafür beiseite zu nehmen, um mit ihm persönlich zu sprechen.
Um das Narrativ, die Erklärung oder Theorie hinter der Parole zu verstehen, lohnt sich vorab das Nachfragen: Woher hast Du das? Wie meinst Du das? Dann habe man die Chance, das Gespräch zu führen und etwas Passendes zu entgegnen, so das Credo im Workshop. Wichtig sei, ganz persönliche Strategien zu entwickeln, die zu einem selbst passen. Vor allem ginge es darum, die falschen Grundannahmen infrage stellen, auf die sich das Argument stützt, aber auch darum, die Situation runterzukühlen, um die Erwartungshaltung des Gegenübers zu enttäuschen. Die Crux: Durchblicken lassen, dass die Aussage des Parolenschwingers keine normalisierte Aussage ist. jg
Weitere Informationen:
Der Workshop „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen“ war eine Veranstaltung vom Projekt Stärkenberatung NaturFreunde Rheinland-Pfalz in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für Politische Bildung (LpB), der Naturfreundejugend RLP sowie der Ortsgruppe Ludwigshafen. Die LpB veranstaltet den Workshop regelmäßig. Mehr unter https://www.lpb.rlp.de/
Das Buch von Klaus-Peter Hufer, das Grundlage des Kurses ist, ist bei der LpB zu haben.
Autor:Julia Glöckner aus Ludwigshafen |
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