Immer mehr Hitzetote: Pfälzer Städte wappnen sich gegen Hitze
Klima konkret/Ludwigshafen/Speyer.Bei Hitze sterben mehr Menschen als gewöhnlich. In Deutschland traten laut einer neuen Studie in besonders heißen Sommern über 10.000 hitzebedingte Sterbefälle auf. In der Pfalz gibt es Hinweise auf eine Anpassung an die Hitze. Gesundheitsministerien von Bund und Land sowie die Städte arbeiten an Hitzeaktionsplänen, um die Zahl der Hitzetoten zu senken.
Von Julia Glöckner
Mit der Zählung der Hitzetoten tun sich Wissenschaftler aktuell nicht leicht. Hitze steht nur selten auf dem Totenschein. Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass die bislang erfassten Hitzetoten nur die „Spitze des Eisbergs“ sind. Wenn Herzinfarkt oder Schlaganfall als Todesursache gemeldet werden, können diese ebenso hitzebedingt sein. Denn Hitzetod ist ein multifaktorielles Geschehen, bei dem Hitze, aber auch Vorerkrankungen eine Rolle spielen. Besonders gefährlich leben in Hitzewellen, definiert als mindestens drei Tage mit mehr als 30 Grad in Folge, Atemwegspatienten, Nierenkranke oder Herz-Kreislauf-Patienten. Es trifft vor allem Ältere über 65, in einzelnen Fällen auch 40- bis 50-Jährige.
Ein Forscherteam des Helmholtz-Zentrums München (HZM) führte nun in langen Datenreihen tägliche Sterbefälle und Klimadaten zusammen. Das Ergebnis: Hitzebedingter Tod wurde in vielen Studien bislang unterschätzt. Nach der Studie, die vor der Veröffentlichung derzeit in Begutachtung ist, gab es in den Hitzerekordjahren 2003 und 2018 über 10.000 Hitzetote in Deutschland, 2015 und 2019 waren es rund 9.000, genauso wie 2022. Zu den gefährdeten Gruppen gehören neben den Älteren Behinderte, die durch Lähmungen ihre Körpertemperatur nicht regulieren können. Auch chronisch Kranke, für die mit der Hitze das Risiko für einen neuen Schub steigt, sowie Kinder und Babys.
Die Studie des HZM zeigt: Schon ab einem Temperaturdurchschnitt aus Tag und Nacht von 20 Grad steigt das Sterblichkeitsrisiko, und zwar exponentiell. An Tagen mit etwa 28 Grad Durchschnittstemperatur ist das Risiko, an Hitze zu versterben, bereits doppelt so hoch. „Spannend ist, dass in den Daten für Rheinland-Pfalz gewisse Anpassungseffekte zu erkennen sind. Die exponentiell verlaufende Kurve flacht dort über die letzte Dekade hinweg ab. Nur in etwa der Hälfte der Bundesländer finden wir Hinweise auf eine Anpassung an höhere Temperaturen“, erklärt Veronika Huber vom HZM. Eine mögliche Erklärung laut dem Forscherteam: Hitzewellen fallen in Rheinland-Pfalz seit Jahrzehnten extremer aus, auch die im Jahr 2003. Die Vorderpfalz und besonders der Großraum Ludwigshafen fällt durch eine weit in die Pfalz reichende Wärmebelastung auf. In der heißen Pfalz, die Teil des warmen Südwestens ist, könnte also die körperliche Akklimatisierung stärker sein als anderenorts. Auch durchs Verhalten könnten sich die Pfälzer besser gegen Hitze wappnen als Menschen in anderen Ländern, weil sie ihnen nicht unbekannt ist.
Unterschiede zwischen den Bundesländern erklären sich aber möglicherweise auch durch die Bevölkerungsdichte. Im Südwesten gibt es mehr urbanisierte Regionen. Viele sind stark versiegelt und von Verkehr und Industrie geprägt. Asphalt und Beton kühlen nachts schlechter ab. Es gibt weniger Parks, Gärten und Grünflächen, die wie eine natürliche Klimaanlage wirken. In Nordosten gibt es dagegen mehr ländlich geprägte Regionen.
Hitzeschutz ab 2025
Das Bundesgesundheitsministerium hat Ende Juli den ersten konkreten Hitzeschutzplan vorgelegt. Er zielt darauf, hitzebedingte Sterbefälle zu reduzieren. Als kurzfristige Maßnahme hat das Ministerium über Verbände Pflegedienste, Heime und Ärzte angeschrieben. In den Heimen sollen Ältere durch nächtliches Lüften oder bessere Trinkversorgung geschützt werden. Ärzte sollen gefährdete Patienten zum Umgang mit Hitze beraten.
Gesundheitsministerien von Bund und Land haben einen Maßnahmenkatalog aufgestellt, aus dem Städte und Gemeinden die für sich passenden wählen können. Das Ministerium RLP will, dass die Kommunen bis 2025 einen Hitzeaktionsplan aufstellen. Aktuell bereiten sich Städte wie Ludwigshafen also mit Blick auf regionale Gefahren auf Hitzeperioden vor: Denkbar sind Maßnahmen wie öffentliche Kühlräume in kühlen Kirchen oder klimatisierten Klublokalen, Wasserspender und Sprühduschen als Cooling Spots in den Cities. Sonnenschutz durch Markisen oder Rollläden, Bäume und Sonnenschutzglas sollen kühlen, ohne dass Klimaanlagen gebraucht werden. Herkömmliche Klimaanlagen gehen auf Kosten des Klimas und verursachen immense private Stromkosten, was sich schnell mit 50 bis 100 Euro Mehrkosten pro Monat auf der Stromrechnung zeigen könnte – je nach Raumgröße.
Zur Pflicht in RLP werden feste Zuständigkeiten in Kommunen und Pflegeeinrichtungen. Die festen Ansprechpartner geben je nach Warnstufe Warnungen und Tipps an die ältere Bevölkerung oder an Pflegekräfte, die Räume daraufhin nachts kühlen, zum Trinken animieren, Kühlräume einrichten und Pflege anpassen. Ganze Warnketten sollen so ausgelöst werden, die Rettungsdienste, Krankenhäuser, Kitas, Schulen umfassen. Dort wird man auf Handeln an Hitzetagen geschult werden. Anrufe bei Älteren und Angehörigen sind denkbar, um sie zum richtigen Verhalten aufzufordern. Infotafeln an Bushaltestellen, in Social Media sowie Warn-Apps sollen Hitzealarm breit in der Bevölkerung streuen.
Langfristig sind auch bauliche Maßnahmen zur Innenraumkühlung, Gebäudebegrünung und mehr Grünflächen nötig. Die Stadt Ludwigshafen hat bereits seit Jahren Hitzetipps auf ihrer Website. Sie hat zudem die Innenstadt als Hitzeinsel identifiziert. Dort ist es besonders dringend, Maßnahmen umzusetzen. Durch die historisch gewachsene dichte Bebauung herrscht laut einem Sprecher eine Temperatur von rund sieben Grad mehr als im Umland. In Speyer, der Stadt mit den meisten Hitzetagen, dicht gefolgt von Ludwigshafen, gibt es bereits einen Stadtplan mit kühlen Plätzen sowie Trinkwasserspender. Solche Brunnen sollen längerfristig Pflicht in allen Pfälzer Städten werden.
An hitzebedingter Sterblichkeit und Erkrankung wird weiterhin intensiv geforscht. Ein Forscherteam um Wael Ghada hat kürzlich einen deutlichen Effekt von Hitze auf die Zahl der Notfallaufnahmen von Besuchern des Oktoberfests nachgewiesen. Wer Alkohol konsumiert, verliert sein Körperempfinden, was auch Suchtkranke zu einer vulnerablen Gruppe macht. jg
Klima konkret
Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind in aller Munde. Doch wo betrifft das konkret unsere Alltag? Was können wir tun, um bewusster zu leben und dabei gleichzeitig Ressourcen zu schonen? Und wie kann ein nachhaltiger Lebensstil begeistern, statt eine Last zu sein? Diese und weitere Fragen will die Wochenblatt-Serie Klima konkret beantworten. Alle zum Thema bereits veröffentlichten Beiträge finden Sie auch auf https://www.wochenblatt-reporter.de/tag/klima-konkret
Autor:Julia Glöckner aus Ludwigshafen |
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