Kampf um Teilhabe: Neues Gesetz soll Behinderte besser integrieren
Von Julia Glöckner
Ludwigshafen. Nach der UN-Behindertenkonvention haben Behinderte das gleiche Recht, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen. Doch trotz deutschem Arbeitsinklusionsrecht gelingt das den wenigsten. Ein neues Gesetz soll das nun ändern. Laut der 30-jährigen Ludwigshafenerin Sandra Winkler und ihrem 34-jährigen Freund Mark Becker aus Düsseldorf, die beide mit der Krankheit Infantile Zerebralparese selbst schwerbehindert sind und daher mit geändertem Namen anonym bleiben wollen, ist dies ein Schritt in die richtige Richtung.
„Viele behinderte Menschen sind arbeitslos“, erklärt Becker, „Und wenn sie arbeiten, dann mit abgeschlossener Ausbildung oder Studium in Behindertenwerkstätten, abgeschnitten vom Rest der Gesellschaft, als Handwerker, Näher oder Haushälter.“
Die Zahl behinderter Menschen mit Job schwankt in Deutschland um 50 Prozent. Nur drei Prozent davon haben eine Arbeit, die ihrer Qualifikation entspricht. In den Werkstätten verdienen Behinderte 200 Euro im Bundesdurchschnitt. Sie arbeiten weit unter Mindestlohn, was sie abhängig von zusätzlicher staatlicher Grundsicherung macht.
Die Arbeitsagentur vermittelt die meisten arbeitslosen behinderten Menschen zunächst in die Werkstätten. „Die Systeme sind da und wollen bedient werden“, sagt Becker, „die Werkstätten sind dann für die meisten Endstation. Ich will nicht sagen, dass diese für geistig Behinderte passend sind – sie sind in den Einrichtungen mit angeschlossenen Wohnheimen und Freizeitprogramm versorgt. Aber körperlich behinderte Menschen mit Abschluss können viel mehr, als dort verlangt wird.“
Die Vermittlung Behinderter von den Werkstätten auf den freien Arbeitsmarkt gelingt mit den Anreizen, welche die Politik setzt, bislang kaum: Firmen mit über 20 Arbeitsplätzen müssen eigentlich davon mindestens 5 Prozent mit Schwerbehinderten besetzen. Dem kommen rund 90 Prozent der Firmen teilweise oder gar nicht nach. Sie zahlen lieber die Strafabgabe, die bei Nicht-Erfüllung der Beschäftigungspflicht fällig wird.
Auch der Lohnkostenzuschuss von 40 Prozent auf den Bruttolohn von Schwerbehinderten, den der Staat Firmen bei Einstellung zum Ausgleich von Minderleistungen zahlt, zeigt kaum Wirkung. Die Vermittlungsquote aus den Werkstätten in den freien Arbeitsmarkt liegt bei zirka einem Prozent.
Anfang März wird die Regierung dem Bundestag daher ein neues Gesetzespaket zur Diskussion und Abstimmung vorlegen. Es sieht vor, die Strafabgabe für Firmen mit über 40 Mitarbeitern von 320 auf 720 Euro zu erhöhen, die keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen.
Zudem sollen die Bewilligungsverfahren für den Jobantritt auf dem freien Arbeitsmarkt in den Integrationsämtern beschleunigt werden: Künftig gilt ein Antrag als bewilligt, wenn das Integrationsamt über ihn nicht innerhalb von vier bis sechs Wochen entscheidet. Ferner soll der Lohnkostenzuschuss nicht länger auf 40 Prozent des Bruttolohns begrenzt bleiben.
„Ein Schritt in die richtige Richtung“, sagen Mark Becker und Sandra Winkler, „vor allem, weil dies angesichts des Rentenalters und der Demografie immer mehr Leute betrifft. Doch auch das wird nicht reichen, wenn kein Umdenken stattfindet.“
Becker gründete 2019 einen Pflegedienst und einen Inklusionsverein für Schwerbehinderte in Düsseldorf, nachdem er vier Jahre lang mit Diplom in sozialer Arbeit als Bürokraft arbeitete. Am Wochenende pendelt zu seiner Freundin nach Ludwigshafen. „Ich arbeite endlich als Sozialarbeiter, was ich gelernt habe“, sagt Becker. „Viele Behinderte wissen gar nicht, wie sie sich persönlich entfalten können. Für den Inklusionsverein, der für den Pflegedienst alle Entscheidungen trifft und damit garantiert, dass dieser unkommerziell bleibt, berate ich andere dabei.“
Becker stellt über den Verein gerne Menschen mit Behinderung ein. „Ich weiß aus vielen positiven Beispielen, dass es nicht um soziale Verantwortung geht, sondern um tüchtige Mitarbeiter“, sagt Becker. „Wir räumen viel Homeoffice ein, beschäftigen in Teilzeit, bleiben im Austausch. Die meisten sind hoch motiviert und leistungsfähig, arbeiten Ausfallzeiten wieder rein.“ Wenn Sandra Winkler diesen Sommer ihr Abi am Pfalzkolleg in Speyer nachgemacht hat, will sie Becker heiraten und von Ludwigshafen nach Düsseldorf ziehen , um dort soziale Arbeit zu studieren. jg
Autor:Julia Glöckner aus Ludwigshafen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.