Kommunalwahlen: Demokratie funktioniert nur mit hoher Wahlbeteiligung

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Ludwigshafen. Seit den 90ern ist die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen stark eingebrochen. Mit 46,4 Prozent ist Ludwigshafen Schlusslicht in Rheinland-Pfalz, wo der Schnitt bei 55 Prozent liegt. Politikwissenschaftler sehen vor allem die zunehmende Abkopplung von einkommensschwachen Gesellschaftsgruppen mit Sorge. Seit 30 Jahren erforschen sie die Ursachen.

Von Julia Glöckner

Die Kommunalwahlbeteiligung zwischen 1950 und 1990 lag noch zwischen 65 und 80 Prozent – je nach Kommune. Sie sank zwischen 1990 und 2018 drastisch auf 40 bis 60 Prozent.

Aus Umfragen geht hervor, dass viele in den Kommunalwahlen Nebenwahlen sehen. Als Hauptwahlen gelten die Bundestagswahlen. „Kommunalpolitik beeinflusst das Leben viel direkter als Politik auf anderen Ebenen“, sagt Luis Caballero, Soziologe an der Uni Mainz. Im Stadtrat geht es um die Verkehrssituation vor Ort, um Theaterspielpläne, Straßen, Stadtbahn- und Busausbau, um Schulen, Kitas, Stadtplanung und Entwicklung. Die Stadtverwaltung setzt Beschlüsse von Bund und Land in regional passende Ergebnisse um. Kommunalpolitik zeigt sich also direkt vor der Haustür.

Systemrelevante Wahl

In einer Demokratie geht die Macht vom Volk aus. Vertreter haben starke Anreize, den Interessen ihrer Wähler nach zu entscheiden. Denn sie brauchen bei der nächsten Wahl erneut Legitimation. „Nur wenn alle gesellschaftlichen Gruppen in gleichem Maß teilhaben, funktioniert die Demokratie“, erklärt Caballero. Nur so kommt es zum nötigen Wettbewerb von Interessen und Ideen. Und Gesetze spiegeln den Willen der einzelnen Gruppen wider. „Dabei ist Demokratie nicht die Macht der Mehrheit. Koalitionen auf Landes- und Bundesebene handeln Konsenslösungen zwischen Parteien aus. OBs bemühen sich um Kompromisse im Stadtrat“, erklärt der Soziologe.

Mit besonderer Sorge sehen Politikwissenschaftler die zunehmende Abkopplung von Menschen mit wenig Einkommen: Je geringer Bildung, Einkommen und je niedriger die Schichtzugehörigkeit, desto geringer die Wahlbeteiligung. Und die Wahlbeteiligung von Arm und Reich driftet immer weiter auseinander. Die Beteiligung schrumpft vor allem am unteren Ende der Einkommenskurve. „Die Lösung ist, dass wir es nicht zu einem Übermaß an sozialer Ungleichheit kommen lassen“, sagt Caballero. „Es muss gleiche Bildungschancen geben, gleicher Zugang zu Ressourcen, gleiche Chancen auf demokratische Teilnahme. Es kann nicht sein, dass eine Gruppe bessere Chancen oder mehr Durchsetzungsmöglichkeiten hat als eine andere.“ Auch Bildung und Sprachfähigkeit entscheiden, wer teilnimmt. Eine Lösung sind die gern genutzten Bürgerbeteiligungsverfahren. Sie nutzen Schwarmintelligenz und machen schlechte Wahlbeteiligung teils wieder wett. „Wenn man die falschen Parteien wählt, wird soziale Ungleichheit weniger abgebaut“, sagt Caballero.

Weitere Gründe für Nichtwahl

Soziologen stellen zudem fest, dass die sogenannte politische Kultur erodiert, also der Mindestbereitschaft, konstruktiv am politischen Diskurs, an Wahlen teilzunehmen. „Destruktiv wird die Teilhabe, wenn man glaubt, die da oben machen alles falsch, sind korrupt und Verbrecher“, sagt Caballero. Populismus und Politikverdrossenheit schüren derzeit die Erosion politischer Kultur.
Seit Anfang der 90er dürfen auch EU-Ausländer wählen. Davon nehmen nur rund 27 Prozent ihr Wahlrecht wahr. Kaum zur Wahl gehen auch die vielen 16- und 17-Jährigen, die seit Mitte 90er in 11 Bundesländern wählen dürfen.

Weitere Ursachen für geringe Wahlbeteiligung weist Forsa nach: In Großstädten kennen laut Forsa-Umfragen im Schnitt nur 52 Prozent ihre Ratsmitglieder. Auch Bequemlichkeit und Mangel an Information werden mit je 7 Prozent genannt. 25 Prozent bemängeln, dass der Widerstand von Bürgerinitiativen Stadtprojekte verhindert, obwohl diese von der Mehrheit gewollt seien.
Insgesamt geht die Wahlbeteiligung auch bei Bundestags- und Landtagswahlen zurück, wenn auch nicht vergleichbar stark. Denn klassische Parteimilieus und Bindungen an Großgruppen wie Parteien, Kirchen, Gewerkschaften oder Vereine lösen sich auf, bedingt durch Individualisierung von Lebensstilen. Jüngere gehen damit deutlich weniger als in den 70ern mit klaren Werten und Parteiidentifikation wählen.

Einige Soziologen schlagen vor, das Wahlrecht auch auf Migranten auszuweiten, die noch nicht eingebürgert sind. Denn wer Steuern zahlt und seinen Lebensmittelpunkt dauerhaft hier hat, sollte auch wählen können. So verhindere man Ausgrenzung und sorge für mehr Identifikation. Migranten machten zudem mancherorts einen hohen Bevölkerungsanteil aus.

„Demokratie ist Mitmachsport und kein Zuschauersport. Es ist etwas anderes, im Stadion den FCK spielen zu sehen und sich zuhause darüber zu ärgern oder nicht. Für lebendige und funktionale Demokratie ist die Teilhabe der Bürger notwendig“, sagt Caballero. „Entweder man nimmt teil oder man meckert auch nicht.“ jg

Wo informieren?
Wie die einzelnen Parteien in Stadträten und in Kreistagen der Pfalz die Interessen der Wirtschaft vertreten wollen, ist auf der Internetseite der HK Pfalz nachzulesen: www.ihk.de/pfalz/kommunalwahl.
In Ludwigshafen und anderen Wahlkreisen macht die Rheinpfalz den Wahlcheck. Die einzelnen Beiträge sind auch online gegen ein geringes Entgelt zu lesen.

Wochenblatt-Serie "Demokratische Teilhabe":
Was ermöglicht demokratische Teilhabe? Was erleichtert sie, was erschwert sie? Die Wochenblatt-Serie zeigt Mechanismen des Wandels durch die möglichen Einflusswege im System auf. Der Wiederaufbau der Demokratien muss von unten beginnen. Demokratie besteht nicht allein durch rechtliche Rahmenbedingungen.

Autor:

Julia Glöckner aus Ludwigshafen

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