Rollerchaos in der Stadt: Bis zur Rechtslösung braucht es Rücksicht
Von Julia Glöckner
Ludwigshafen. Falsch abgestellte Miet-E-Roller liegen und stehen überall im Stadtgebiet. Sie versperren Gehwege sowie den Zugang zu Bahnsteigen, Treppen und Unterführungen. Für Passanten, vor allem für behinderte Menschen, Ältere oder Rollifahrer sowie Eltern mit Kinderwagen sind sie ein Ärgernis. Für Sehbehinderte können sie zudem zur gefährlichen Stolperfalle werden.
Viele deutsche Städte hatten im vergangenen Jahre über strengere Regeln fürs Abstellen von E-Rollern diskutiert. Auch in Ludwigshafen hatte der Stadtrat die Diskussion auf Antrag des Behindertenbeirats im April 2022 aufgegriffen.
„Unser Wunsch ist es, dass es feste Stellplätze für E-Scooter gibt, ähnlich wie Regio-Räder-Anbieter sie haben“, erklärt Andreas Massion, Vorsitzender des Behindertenbeirats. Trotz Bereitschaft in der Verwaltung und fraktionsübergreifend auch im Rat, solche festen Abstellzonen festzulegen, um das Abstellchaos zu beseitigen, verebbte die Diskussion im letzten Frühjahr. Der Rat hielt die Aufgabe für nicht lösbar. „In Ludwigshafen haben wir ein Platzproblem“, erklärt Massion. Angesichts dichter Wohnräume steht wenig Platz für solche Abstellflächen bereit. „Grünflächen lassen sich wegen Auflagen nicht einfach verkleinern“, fährt Massion fort, „Auch Privatgrundstücke kann die Stadt nicht konfiszieren.“ Dies betrifft viele Städte mit dichten Wohnräumen und entsprechend wenig Fläche, die das Abstellchaos lösen wollen.
Hintergrund für die bundesweit angestoßene Debatte in den Städten waren zahlreiche Unfälle zwischen E-Rollern und sehbehinderten Menschen. Daraufhin setzten Behinderten- und Seniorenverbände das Thema auf ihre Agenda. So verklagte der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband im vergangenen Jahr die Stadt Münster. Er behält sich seitdem ausdrücklich vor, auch weitere Städte zu verklagen. Laut Gerichtsurteil des Verwaltungsgerichts Münster ist das Free-Floating-System nicht rechtens, nach dem die Roller nach Ausleihe überall abgestellt werden können. Vielmehr bräuchten die E-Scooter-Anbieter eine sogenannte Sondernutzungserlaubnis der öffentlichen Straßen.
Damit das Abstellen der E-Roller jedoch erst zur Sondernutzung der Straßen wird und somit von Städten an Auflagen für die Anbieter gebunden werden kann, müssten die einzelnen Kommunen ihr Straßengesetz überarbeiten. Nur so können Städte die Anbieter zu Abstellzonen verpflichten oder Strafgebühren verhängen, wenn Nutzer oder Betreiber sich nicht an die Regeln halten. Auch Grundgebühren für E-Scooter-Anbieter pro Roller und Jahr könnte man so ins Straßenrecht aufnehmen, mit denen sich der Bau von Stellplätzen finanzieren ließe oder das Aufräumen der falsch abgestellten Roller durch den Ordnungsdienst. Doch die Verträge sind längst gemacht, und zwar auf Grundlage des bisherigen Straßenrechts. „Damit bleibt die Frage offen, wer dazu verpflichtet ist, die Stellplätze auszuweisen“, erklärt Massion.
Ein weiteres Umsetzungsproblem: Die Ländergesetze räumen den Kommunen wenig Spielraum ein, um Anbieter zu regulieren, ihre Straßengesetze zu überarbeiten und so eine Sondernutzungserlaubnis zu verlangen.
Einige wenige Städte in Deutschland sind derzeit dennoch Vorreiter im Kampf gegen das Rollerchaos: Berlin hat sein Straßengesetz bereits überarbeitet und setzt damit ab 2023 auf eine Sondernutzungserlaubnis der Anbieter, genauso wie Nürnberg, Frankfurt, Leipzig und Münster. Stuttgart verfährt ähnlich. München und Augsburg haben Parkzonen festgelegt und Abstellverbote anderenorts erlassen. Köln, Düsseldorf und Dortmund verlangen Jahresgebühren von den Roller-Verleihfirmen zur Finanzierung der Aufräumarbeiten. Technische Mittel ermöglichen das automatische Stoppen der Roller in bestimmten Zonen. Sogar die Geschwindigkeit in Fußgängerzonen lässt sich GPS-gesteuert drosseln.
Grund für die hohe Schadensbilanz bei E-Rollern, also für die vielen Unfälle, ist auch rücksichtsloses Fahren. Besonders junge Leute fahren unter Alkohol oder zu zweit oder rasen über den Gehweg. Behindertenverbände halten ein Totalverbot nicht für ausgeschlossen, zum die E-Roller wenige zu Mobilitätswende beitrügen. Laut UBA ersetzen nur 5.5 Prozent der E-Scooterfahrten eine Autofahrt. Solange Ludwigshafen wegen des Platzproblems keine Abstellflächen ausweisen oder Anbieter zu einer Sondernutzungserlaubnis verpflichten kann, fordert Massion mehr Rücksichtnahme bei den jungen Nutzern.
Die Konflikte zwischen E-Scooter-Fahrern und Fußgängern werden vor allem mit Start der warmen Jahreszeit wieder zunehmen. „Die Firmen, die E-Roller verleihen, halten sich an gesetzliche Auflagen. Das Fehlverhalten geht nicht von den Firmen, sondern von den Nutzern aus“, sagt Massion. „Es bleibt vor allem eine Frage des gesellschaftlichen Umgangs miteinander.“ jg/red
Autor:Julia Glöckner aus Ludwigshafen |
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