Touristenhotspots im Hemshof: Denkmäler der Industriearchitektur

Sodastraße in der BASF-Siedlung  | Foto: Julia Glöckner
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Ludwigshafen. Sie gelten als Touristenmagnet: Die historischen Werkssiedlungen im Hemshof sind das Erbe unternehmerischer und kirchlicher Fürsorge für Arbeitnehmer, die mit der Fahrt aufnehmenden Industrialisierung im 19. und 20. Jahrhundert nach Ludwigshafen kamen. Bis heute prägen sich das Stadtbild.

Von Julia Glöckner

Tourguide Gerhardt Brandt nimmt mit auf eine Zeitreise in den Hemshof, in den Stadtteil, wo sich die rasanten Entwicklungen der Industrialisierung am deutlichsten zeigen. Hier durchmischen sich Nostalgie und Moderne. „Fabrikherren, Kirchen und Staatsunternehmen wie Reichsbahn und Reichspost schufen hier Wohnraum für Mitarbeiter sowie ganze Siedlungen. Die BASF-Werkssiedlung und der Halberg sind prominente Beispiele“, erklärt Brandt. In Ludwigshafen habe es seit den Anfängen der Industrialisierung, die hier durch Ansiedelung von Fabriken rasch Fahrt aufnahm, schon immer Wohnungsnot gegeben. Zeitweise umfasste die Angebotslücke an Wohnraum eine Zahl im fünfstelligen Bereich.

„Im Hemshof blieben verhältnismäßig viele Gebäude von den Bombenangriffen verschont. Während in der Innenstadt 90 Prozent zerstört wurden, blieb im Hemshof mehr als 50 Prozent der historischen Bausubstanz stehen. Die Haupteinflugrichtung der Bomber verlief über die Adenauer-Brücke nach Westen“, so Brandt.

Der städtische, soziale Wohnungsbau setzte erst nach dem 1. Weltkrieg ein, als sich die GAG der Wohnungsnot in der Nachkriegszeit annahm. „Damals sprach man vom öffentlichen, gehobenen Wohnungsbau. Träger waren Unternehmen und Kirchen. Die Ebertsiedlung ist ein dafür. Nieder jeder konnte sich das leisten, denn die Wohnungen haben Zentralheizung und Haustechnik, die für die Zeit nicht selbstverständlich war.“

Touristenmagnet BASF-Siedlung
Die BASF-Werkssiedlung aus den 1870ern zieht Jahr für Jahr viele neugierige Tagestouristen auf Geschäftsreise in den Hemshof. Architekt war Paul Eugen Haueisen, der auch die Anilin entwarf. Er trat 1875 der BASF bei und war dort bis zum 1. Weltkrieg tätig. Für die Stadt und das Straßenbild ist er einer der prägenden Architekten. Man nannte ihn bei BASF den Backsteingeneral. „Backstein war bis zum 1. Weltkrieg das bevorzugte Material beim Industriebau. Er war manuell gefertigt und der billigste Baustoff, weil der Produktionsfaktor Arbeit keine hohen Kosten verursachte. Im Stadtgebiet wurde Backstein bei den vielen Industriebauten entlang des Rheins verwendet, beim Sakralbau und bei Industriegebäuden. „Seit den 50ern findet man einen Wandel der Backsteinarchitektur hin zum Beton, denn seit den 50er wurde menschliche Arbeit wesentlich teuer, während die Preise für Kohle und damit für die industrielle Fertigung sanken“, erklärt Brandt.

Die Häuschen sind in vier Wohneinheiten aufgeteilt. Sie haben je zwei Eingänge. Hier lebten Familien mit 3,4 Kindern und Großeltern auf einer 3-Zimmer-Etage. „Lange sah man in den Siedlungen den Nachteil, dass sie in einer Zeit konzipiert wurden, wo ein Auto kein Thema war. Verkauf und Vermietung waren nach dem 2. Weltkrieg zunehmend ein Problem. Das besser betuchte Klientel zog aufs Land, denn das Statussymbol passte nur bedingt in die Umgebung.“ Heute würde die Siedlungsform wieder vorstellbar. Man strebe nach einer autoreduzierten Umwelt. In Zeiten von Carsharing und E-Bike verzichteten immer mehr Menschen bewusst auf ein Auto. „An den Ecken stehen die Meisterhäuser. Grund war nicht das bessere Gehalt der Vorgesetzten der Fertigungslinien. Sie hatten die soziale Kontrolle übers Privatleben der Mitarbeiter außerhalb der 10-Stunden-Schicht zu leisten. Das Führen nicht ehelicher Beziehungen und der Besuch von Prostituierten konnte zum Verlust der Wohnung führen“, so Brandt.

Neben den historischen Werkssiedlungen der BASF sind viele Denkmäler aus den beiden Phasen der Industrialisierung erhalten. Die Backsteinbauten entlang des Rheins und am alten Hafen wie etwa die Walzmühle oder der Sakralbau Mariä Himmelfahrt, der Wallfahrtskirche in Oggersheim.

Entlang der Rollestraße finden sich einer Seite Wohnungsbau aus den 50ern, auf der anderen wurde in den 30ern Wohnraum für Arbeiter geschaffen. „Man erkennt den funktionalen Wohnungsbau aus den 30ern an den kleineren Fensterflächen und den fehlenden Balkonen. Erst seit den 50ern sind Loggien Gestaltungselement von Architekten“, erklärt Brandt. Jugendstil sei dagegen im Viertel eher selten vertreten und meist nur an öffentlichen Gebäuden zu finden. Das einst als Erziehungsheim gebaute Don-Bosco-Haus beim Rohlachbunker, benannt nach einem italienischen Priester und 2027 fertiggestellt, zeigt Elemente des Jugendstils und der Neogotik. Das von dem namhaften Architekten von Perignon erbaute Haus gehört heute einer Eigentümergemeinschaft. „Im Vergleich zu kleinen Arbeiterkasernen zeigt sich hier schon ein deutlicher Fortschritt bei der Unterbringung. Die Fabrikherren waren sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst, auch wenn man hier nur auf engstem Raum zusammenleben konnte“, sagt Brandt.

Haueisen plante auch die großen zusammenhängende Siedlungen entlang der Leuschnerstraße. Sie wurden in den 1920ern und 30ern fertiggestellt – mit großräumigen Wohnungen für BASF-Angestellte in Leitungsfunktionen und kleinen Appartements für Menschen im Niedriglohnsektor. „Die Unternehmen mussten sich die Solidarität der leitenden Mitarbeiter sichern. Heute richten sich Personalabbaumaßnahmen bei BASF gegen das mittlere Management.“ Seit den 80ern zogen viele besser Verdienende weg ins Haus im Grünen, wo Wohnsiedlungen eine Gentrifizierung erleben. Dagegen kam es in einzelnen Straßenzügen und Quartieren im Hemshof zur Ghettoisierung. Die wegbrechenden Stadteinnahmen aus dem Anteil der Einkommenssteuer machen sich seither im Haushalt Ludwigshafens bemerkbar.

Auch die Kirchen betreiben seit eh und je soziale Fürsorge im Stadtteil und sorgen für den Wohnraumbau. Bis heute stellt die Friedenskirche soziale Angebote, darunter auch eine Suppenküche. jg

Sodastraße in der BASF-Siedlung  | Foto: Julia Glöckner
Die Meisterhäuser der Linienvorgesetzten stehen immer auf den Ecken. Neben ihrer 10-Stunden-Schicht hatten die Vorarbeiter auch eine soziale Kontrolle auszuüben.  | Foto: Julia Glöckner
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Julia Glöckner aus Ludwigshafen

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