Arzneipflanzen – im Nahrungsergänzungsmittel praktisch ohne Wirkung
Rheinland-Pfalz. Heilpflanzen im Nahrungsergänzungsmittel – das klingt nach natürlicher Medizin mit sanfter Wirkung. Der Haken daran – die Pflanzen dürfen gar keine pharmakologische Wirkung haben. Die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz hat wichtige Informationen zusammengestellt.
Das Wichtigste in Kürze:
- Arzneipflanzen dürfen in Nahrungsergänzungsmitteln keine Arzneiwirkung haben. Ein zugesetzter Pflanzenstoff ist daher viel niedriger dosiert, anders zusammengesetzt oder wurde aus anderen Pflanzenteilen gewonnen.
- Ähnliche Wirkaussagen - wie von der Heilpflanze erwartet - basieren auf erlaubten gesundheitsbezogenen Angaben für bestimmte zugesetzte Vitamine oder Mineralstoffe, nicht auf der verwendeten Pflanzenzutat.
In Nahrungsergänzungsmitteln werden häufig Extrakte und Pulver von Heilpflanzen verwendet. Dabei handelt es sich in der Regel um solche Arzneipflanzen, die in der sogenannten Volksheilkunde gut bekannt sind, denen die meisten Menschen gesundheitlich hilfreiche oder sogar heilende Wirkungen zuschreiben. Das können deutsche Heilkräuter sein, wie sie schon Hildegard von Bingen verwendet hat, bekannte europäische Heilpflanzen oder auch solche aus der traditionellen asiatischen Medizin. Viele verbinden diese Heilkräuter mit einer sanften Medizin, die beim Einschlafen hilft und beruhigt sowie gegen Verdauungsprobleme, bei Menstruationsbeschwerden und PMS, aber auch bei Ohrenentzündungen, Halsschmerzen usw. eingesetzt werden kann.
Sonderregelungen für Nahrungsergänzungsmittel
Die Namen sind altbekannt: Lavendel, Baldrian, Johanniskraut, Pfefferminze, Weißdorn, Rosenwurz, Mariendistel, Klette, Weißdorn, Salbei, Mönchspfeffer, Traubensilberkerze, Ginkgo, Ginseng, Zitronenmelisse, Passionsblume oder Hopfen. Exotischer sind Namen wie Huang Qi (Tragant, Astralagus membranaceus), Dong Quai (Engelwurz, Angelica sinensis), Ashwagandha (Schlafbeere, Withania somnifera), Brahmi (Wasser-Ysop, Bacopa monnieri,) oder Ulmus rubra (rote Ulmen-Rinde). Die eine oder andere dieser Pflanzen oder vielmehr bestimmte Pflanzenteile werden in der EU schon lange (vor 1997) in Nahrungsergänzungsmitteln verwendet. Ist das nicht Fall oder sollen andere Pflanzenteile (z.B. die Beeren, Blätter oder Rinde statt der Wurzel) verwendet werden, braucht die (neuartige) Zutat eine Zulassung.
Das gleiche gilt, wenn sie anderen Lebensmitteln wie Getränken, Smoothies oder Tees zugegeben werden soll. Das ist z.B. bei Granatapfelkernöl der Fall.
Heilpflanzen ohne Wirkung
Zutaten in Nahrungsergänzungsmitteln, also in Lebensmitteln, dürfen per Gesetz keine pharmakologische Wirkung haben, dürfen also nicht wie ein Arzneimittel wirken. Das heißt konkret, diese Heilpflanze darf (theoretisch) nur in einer so geringen Menge verwendet werden, dass die von der Arzneipflanze eigentlich erwartete Wirkung nicht eintritt. Das hat vor allem Sicherheitsgründe: Praktisch jede gewünschte pharmakologische Wirkung wird begleitet von unerwünschten Nebenwirkungen (ein Arzneimittel, von dem behauptet wird, dass es keine Nebenwirkungen habe, steht im dringenden Verdacht, auch keine Hauptwirkung zu besitzen – so der deutscher Pharmakologe Prof. Kutschinsky). Bei Arzneimitteln wird deswegen die Sicherheit geprüft, das Produkt einer Nutzen-Risiko-Prüfung unterzogen. Fällt diese positiv aus, wird ein Arzneimittel zugelassen.
Solche Prüfungen gibt es bei Lebensmitteln nicht, deswegen dürfen sie auch nicht pharmakologisch wirksam sein. Hinzu kommt, dass die für Lebensmittel verwendeten (Heil-)Pflanzenextrakte im Gegensatz zu Arzneimittel-Extrakten nicht eindeutig beschrieben (definiert) sind. Wird trotzdem für ein solches Nahrungsergänzungsmittel mit einer der Heilpflanze ähnlichen gesundheitsbezogenen Aussage geworben, liegt es daran, dass zusätzlich Vitamine oder Mineralstoffe zugefügt wurden, für die eine solche Werbeaussage erlaubt ist.
Das, was in Nahrungsergänzungsmittel „wirkt“ bzw. worauf die Werbeaussage basiert, sind nicht die enthaltenen Heilpflanzen, sondern die zugesetzten, meist synthetischen Vitamine oder Mineralstoffe
Beispiel Nerven- oder Schlaf-Kapseln mit Lavendel
Echter Lavendel ist sowohl ein Arzneistoff als auch ein traditionelles Arzneimittel. Als Lebensmittel ist die Verwendung der Blüten als Tee, als würzig-herbes, bitteres Gewürz und in Nahrungsergänzungsmitteln bekannt.
Die WHO-Monografie beschreibt die Verwendung von Lavendel bei Unruhe, Schlaflosigkeit und gegen Blähungen. Er gilt als schwach giftig. Man weiß aber auch, dass Lavendelöl pflanzliche Geschlechtshormone (Östrogene) enthält, die selbst bei Einreibung schon unerwünschte Wirkungen haben können. Daher ist in der Monografie auch genau festgehalten, wie der Lavendel aufbereitet sein muss und in welcher Dosierung er eingenommen werden soll. Diese Vorgaben gibt es für Nahrungsergänzungsmittel mit Lavendel nicht.
Entsprechende Produkte enthalten einen wie auch immer gewonnenen Lavendelblütenextrakt oder Lavendelöl, vor allem aber enthalten sie alle B-Vitamine für „Nerven und Ruhe“. Denn Vitamin B6 und B12, aber auch Magnesium tragen laut EU-Health-Claims-Register zu einer „normalen Funktion des Nervensystems“ sowie zu einer „normalen psychischen Funktion“ bei. B12 leistet darüber hinaus auch einen „Beitrag zur Verringerung von Müdigkeit und Erschöpfung“. Ein ähnliches Vorgehen der Hersteller – die Verwendung sogenannter Schmuckzutaten – haben wir bereits am Beispiel Ginkgo und bei Isoflavonen gegen Wechseljahrsbeschwerden beschrieben.
Nicht alles, was angeboten wird, ist sicher
Zwar ist der Hersteller dafür verantwortlich, dass seine Nahrungsergänzungsmittel sicher sind, überprüfen tut das aber keiner. Und so warnt z.B. das Bundesinstitut für Risikobewertung vor Inhaltsstoffen wie der Schlafbeere Withania somnifera, der Kudzu-Wurzel Pueraria lobata oder der Erdstachelnuss Tribulus terrestris und weiteren Pflanzen. /red
Zum Weiterlesen:
Verbraucherzentralen fordern Regelungen für Pflanzenstoffe
Kudzu, Schlafbeere, Maca: Riskante Pflanzen in Nahrungsergänzungsmitteln
Quellen:
BVL: Nahrungsergänzungsmittel vs. Arzneimittel, abgerufen am 30.05.2023
Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit: Pflanzliche Arzneimittel und ihre möglichen Risiken. Stand: 15.12.2016 (abgerufen am 30.05.2023)
Nenley DV et al (2007): Prepubertal gynecomastia linked to lavender an tea tree oils. N engl. J Med 356: 479-85
Bei Brustkrebs Lavendelöl meiden? Arznei-telegramm 50 (12): 130, 2019
BVL-Stofflisten „Pflanzen und Pflanzenteile L-Z“, 2. Auflage, Okt. 2020, abgerufen am 30.05.2023
Klenow S et al. / Bundesinstitut für Risikobewertung (2013): Risikobewertung von Pflanzen und pflanzlichen Zubereitungen, 2., ergänzte Auflage Berlin 2013 (BfR-Wissenschaft 12/2013), abgerufen am 30.05.2023
Kein Medikament ohne Nebenwirkungen. vfa.patientenportal, Stand: 27.08.2020, abgerufen am 30.05.2023
Autor:Kristin Hätterich aus Mannheim |
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