Natice Orhan-Daibel
Lyrik per Telefon

Natice Orhan-Daibel.  Foto: ps

Gedichte kann ich mir genauso gut merken wie Witze, nämlich gar nicht. Das war zunächst meine spontane Antwort auf Eleonore Hefners Frage, ob ich Lust hätte, beim aktuellen Projekt von Kultur-Rhein-Neckar neben fünf weiteren Schauspielerinnen (A. Kleinhans, B. Franke, B. Maier, E. Martin-Schneider und M.-M. Steger) beim Lyriktelefon ein Gedicht einer Autorin vorzutragen, das mir etwas bedeutet – inhaltlich passend zum Frauentag, der am 8. März weltweit begangen wird.
Die Idee des Lyriktelefons kann gleichzeitig unter dem Aspekt ein wenig Abhilfe verschaffen, dass alle Kultureinrichtungen seit Monaten dem Lockdown unterlegen sind, der Kulturhunger aber auf beiden Seiten stetig wächst und eine große Sehnsucht nach Kunst und Kultur vielerorts in der Gesellschaft zu spüren ist. Die Kunstvermittlung findet zudem coronakonform über das Telefon statt.
Ich war daher sofort Feuer und Flamme, denn auch ich vermisse das Theaterspielen im Pfalzbau sehr. Im nächsten Augenblick fand ich mich vor meinem Bücherschrank wieder, holte meine Gedichtbände hervor und musste feststellen, dass die Verfasser allesamt Männer sind. Ich kam auf die Idee, im Netz zu recherchieren und dabei wurde mir klar, dass es zwar viele Schriftstellerinnen gibt, aber keine Autorinnen mit dicken Bänden. Ich fragte mich, ob es vielleicht in anderen Kulturkreisen anders sei. Zum türkischen habe ich ja einen persönlichen Bezug. In der Türkei ist der Kampf um Emanzipation und Gleichberechtigung akuter als in Deutschland, da muss es doch passende Lyrik geben, dachte ich. Doch wie im Deutschen fand ich auch hier nur wenige Gedichte, auch hier nicht in dem Ausmaß wie bei männlichen Schriftstellern.
Ich war überrascht, dass ich mich so irren konnte! Ich hatte erwartet, dass Frauen - eben weil ihnen lange verboten war und teils immer noch ist, sich mündlich mitzuteilen - stattdessen auf das geschriebene Wort ausweichen. Vielleicht müssen sich Frauen auch auf diesem Gebiet erst Gehör und Gewicht verschaffen, damit sich irgendwann 300 Seiten Lyrikbände in den Bücherregalen finden. Vielleicht finden wir mit unseren Stimmen und dieser Aktion das wohlverdiente Gehör.
Mehr Informationen zum Lyriktelefon findet man unter www.kulturrheinneckar.de

Natice Orhan-Daibel, Schauspielerin, Künstlerin, Aktivistin

Autor:

Kim Rileit aus Ludwigshafen

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