Von Lyon durch die Auvergne nach La Rochelle
Tour de France
Von Markus Pacher
Radtour. Leise surren unsere Räder, ein sanfter Westwind bläst uns entgegen, es herrscht eine brütende Hitze. Unendliche Weiden: Das Plateau de Millevaches - es sind mehr als 1.000 Kühe, die hier friedlich in der Idylle grasen und mit uns die unglaubliche Ruhe genießen. Manchmal kommen wir an winzigen Siedlungen vorbei, werden bewundert und bestaunt von hilfsbereiten Franzosen, die uns angesichts der unerträglichen Hitze mit Trinkwasser aushelfen und uns den Weg weisen.
800 Kilometer und 8.000 Höhenmeter
Es ist Mai und heiß wie im Hochsommer. Von Lyon, der drittgrößten Stadt Frankreichs, über das Zentralmassiv radeln wir an den Atlantik - so unser Vorhaben. 8.000 Höhenmeter verteilt auf 800 Kilometer haben wir uns vorgenommen. Neun Tage hat unser „Organisationschef“ Thierry für unsere Tour einkalkuliert, die in keinem Radführer beschrieben ist. Es ist eine Tour de France by fair means – sprich: ohne Gepäcktransport, ohne Unterkünfte, ohne Restaurants, ohne technische Hilfe – sozusagen eine Self-Supported-Rallye. Da es im Herzen Frankreichs mindestens so viele kleine Sträßchen wie Kühe gibt, überspannt ein dichtes Netz dieser schmalen Wege das Land und bietet einen unerschöpflichen Quell an Planungsvarianten. Die Vielzahl der landschaftlichen und kulturellen Highlights machen die Tour-Planung nicht leichter. Aber Thierry hat einen Plan.
Start in Lyon
Nach dem Rummel der Großstadt Lyon auf den ersten 15 Kilometern wird es schnell ruhiger. Vor uns schimmern im Morgenlicht die Monts du Lyonnais und bald erreichen wir das Bergstädtchen Yzeron, gönnen uns einen Kaffee und radeln gemütlich abwärts ins Tal der Loire. Von den Lyonnaiser Bergen ins Forez-Gebirge: Ein knackiger Anstieg auf den Col du Béal erwartet uns am nächsten Tag. Vor zwei Jahren führte die Tour de France durch diese grandiose Landschaft. Die Aussicht von 1.387 Meter Höhe ist atemberaubend und reicht von den höchsten Vulkangipfeln der Auvergne über das Beaujolais-Gebirge bis hin zum Montblanc.
Flüsse oder Seen sind das begehrte Ziel von Wild-Campern. Nach einer herrlichen Abfahrt landen wir am Flüsschen Couze D’Ardes, folgen einer Weile seinem Lauf, bevor wir im Valle de la Rentiers am Rande eines Bärlauchfeldes unsere Zelte aufschlagen: Das Bärlauchpesto, das uns unser stets ausgeruhter und entspannter junger Begleiter Romain zubereitet, bleibt unvergessen.
Eine der schönsten Fleckchen Frankreichs ist der am Osthang des Zentralmassivs gelegene Ort La Godivelle, den wir auf unserer langen Fahrt durch die Auvergne streifen. Wir befinden uns im Herzen des Cézallier-Massivs. Gerade mal 16 Einwohner zählt die von zwei idyllischen Bergseen umgebene kleinste Stadt des Departements mit ihrer kunsthistorisch bedeutsamen romanischen Kirche. Um uns herum gruppieren sich die Vulkankegel des Zentralmassivs wie die steinernen Wächter einer vergessenen Landschaft, allen voran der Puy Mary. Den zweithöchsten Gipfel der Monts du Cantal erreichen wir anderntags in den Morgenstunden, noch bevor die großen Reisebusse die Ruhe der Natur stören. Jetzt ist es nicht mehr weit bis zum Renaissancestädtchen Salers. Auf einem Hochplateau gelegen ist es das historische und kulturelle Zentrum des dünn besiedelten Departements Cantal. Pittoresk sind die alte Stadtmauer, Wehrtürme, Kirchen und seine prachtvollen, aus dem 16. Jahrhundert stammenden Wohnhäuser.
Große Stauseen, kleine Städte
Schier endlos scheint danach die Abfahrt entlang der westlichen Ausläufer des Cantal-Gebirges und über das auf einem Basaltplateau gelegene Städtchen Mauriac zur Talsperre Barrage de Aigle. Das imposante Bauwerk staut den Oberlauf der Dordogne zu einem 26 Kilometer langen Stausee. Einer Sage zufolge sollen in den Felsen oberhalb der Talsperre einst Adler (aigle) genistet haben. Die Erinnerung an die stolzen Greifvögel verleiht uns Flügel auf dem steilen Anstieg nach Neuvic und dem nahen See, an dem wir unser Nachtquartier beziehen. Unseren letzten 1.000er erstrampeln wir uns nach einem erfrischenden Morgenbad mit der Vue de Besau, dem höchsten Punkt des Plateau de Millevaches. Den größten See unserer Tour erreichen wir allerdings erst am Abend nach anstrengenden 120 Kilometer im steten Auf und Ab: Der Lac de Vassivière zählt mit seinen zahlreichen Inseln und der ihm umgebenen Wald- und Wiesenlandschaft zu den imposantesten Stauseen Frankreichs. Über die Pilgerstadt Saint-Léonard-de-Noblat erreichen wir Limoges, die Hauptstadt des Limousin. Der Rest unserer Tour ist schnell erzählt, denn von nun an geht es nur noch abwärts: 200 Kilometer Schlussspurt quer durch das Département Charente-Maritime nach La Rochelle am Atlantik, den wir abwechselnd im Windschatten fahren. Am Ende unserer Tour de force rufen wir: Vive la France! Wir kommen wieder!
Autor:Markus Pacher aus Neustadt/Weinstraße |
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