Mein Chor: Judith Janson hat mit der Liedertafel Neustadt eine hervorragende musikalische Perspektive gefunden – und ein Stück Heimat.
Dem Klang des Herzens gefolgt
Mittwochabend, kurz nach halb acht: Behutsam öffnet Judith Janson die Tür zum Probenraum, die Noten unter den linken Arm geklemmt. Auf leisen Sohlen, aber zielstrebig bahnt sie sich ihren Weg zum Sopran. Die anderen singen sich bereits ein. Judith Janson legt ihre Mappe auf den Stuhl, dann ihren Schal. Nun stellt sie sich aufrecht, atmet tief durch. Beide Arme hängen locker herab. Der erste Ton erklingt. Sie ist angekommen.
Als Ingenieurin ist Judith Janson beruflich stark eingespannt. Umso mehr freut sich die Wahl-Neustadterin auf die wöchentliche Probe mit der Liedertafel: „Wenn ich singe, bekomme ich sofort den Kopf frei. Und vor allem habe ich unfassbar viel Spaß.“ Ob es sich um das barocke Weihnachtsoratorium von Bach, das Verdi-Requiem aus dem späten 19. Jahrhundert oder um „The Armed Man: A Mass For Peace“ handelt, das der Waliser Karl Jenkins erst vor wenigen Jahren komponiert hat, spielt für die Sängerin keine Rolle. „Ich bin für ganz unterschiedliche musikalische Richtungen offen“, sagt Judith Janson. „Außerdem fasziniert es mich, wie unser Dirigent Hans Jochen Braunstein es schafft, uns das Wesen der jeweiligen Epoche, des Komponisten und des Werks zu vermitteln.“
Dabei denkt sie etwa an das Weihnachtskonzert 2018 zurück. Vor rund einem Jahr stand „Das Alexander-Fest“ von Georg Friedrich Händel in einer Bearbeitung von Wolfgang Amadeus Mozart auf dem Programm. „Zunächst kam mir das Stück sehr sperrig vor – ein Werk irgendwo zwischen Oratorium und Oper, das in wechselnden Rollen einen antiken Stoff behandelt“, erinnert sich die Sopranistin. „Als wir dann aber vor Hunderten von Zuschauern auf der Bühne im Saalbau standen und alle den Zauber und die Macht der Musik hautnah erleben konnten, war ich einfach nur überwältigt.“
Die Möglichkeit, große Chorwerke mit Orchester zu singen, motiviert Judith Janson immer wieder aufs Neue. In vielen Chören geht das nicht. Zudem kommt es einer Berufstätigen wie ihr sehr entgegen, dass sich die Auftritte der Neustadter Liedertafel auf zwei bis drei Konzerte im Jahr beschränken: „Natürlich erfordern die mitunter sehr anspruchsvollen Werke viele und intensive Proben. Aber wenn ich einmal verhindert bin, kann ich das Versäumte gut nachholen.“
Schon als Kind keimte in Judith Janson die Liebe zum Singen in Gemeinschaft: „In Rödersheim, wo ich aufgewachsen bin, wurde damals ein Kinderchor gegründet. Ich war neugierig und habe es ausprobiert. Seither hat mich das Chorsingen nie mehr losgelassen.“ 2001 wurde sie über einen Artikel im Stadtanzeiger auf die Liedertafel aufmerksam. Der Philharmonische Chor plante, die „Carmina Burana“ von Carl Orff unter freiem Himmel aufzuführen. „Das wollte ich schon immer einmal singen“, betont die Vorderpfälzerin, die vor 18 Jahren auf der Suche nach einem neuen Chor war. Bei der Liedertafel fand sie nicht nur eine hervorragende musikalische Perspektive, sondern auch ein Stück Heimat. Vier Jahre zuvor war sie in die Stadt gezogen, hatte aber noch nicht allzu intensive soziale Kontakte geknüpft. „Durch den Chor bin ich in Neustadt angekommen“, sagt Judith Janson. „Hier habe ich viele tolle Menschen kennengelernt und Freundschaften geknüpft, die bis heute andauern.“
Umso mehr bedauert es die passionierte Sängerin, dass viele Menschen, denen sie im Alltag begegnet, denken, sie könnten nicht singen: „Ob sie sich das selbst einreden oder ob andere ihnen das Talent absprechen – in jedem Fall ist es Unsinn!“ Durch Selbstvertrauen und die intensive Stimmbildung in den Chorproben lassen sich schnell beeindruckende Fortschritte erzielen. Judith Janson erlebt das seit knapp zwei Liedertafel-Jahrzehnten immer wieder, bei anderen und bei sich selbst. „Vor allem kann das Singen im Chor so unglaubliche Freude bereiten. Trauen Sie sich – und spüren Sie es selbst!“
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Autor:Dennis Christmann aus Neustadt/Weinstraße |
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