Restauratorin Kirsten Harms und die Fresken in der Stiftskirche
Ein Stück vom Himmel

Foto: Markus Pacher
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Von Markus Pacher

Neustadt.Für die Restauratorin Kirsten Harms war es einer der spannendsten Momente in ihrem Berufsleben: Als vor wenigen Wochen die Plattform des Gerüsts entfernt und erstmals der Blick freigegeben wurde auf die acht Bildfelder des zweiten Jochs des Südseitenschiffs der Stiftskirche, lag ein Jahr harter Arbeit hinter ihr - ein Arbeitsjahr unter Coronabedingungen, begleitet von einem Schicksalsschlag, der andere vielleicht zum Aufgeben bewogen hätte.

Der überraschende Tod ihres Kollegen Bruno Helmstetter im Juli letzten Jahres stellte nicht nur die Zeitpläne des ehrgeizigen Projekts auf den Kopf, sondern das Team vor allem vor eine große emotionale Belastungsprobe, die unter anderem den Weggang von Mitarbeiterin Maria Prochniak zur Folge hatte. „Bruno Helmstetter war für unser Team und vor allem für meine junge Kollegin das Zugpferd. Nach dessen Verlust entschied sie sich schweren Herzens, ihre Arbeit in der Stiftskirche zu beenden“, erläutert Kirsten Harms.


Freilegung folgt Trattegio

Nunmehr auf sich allein gestellt, stand sie nach Beendigung der Freilegungsarbeiten vor der schwierigen Aufgabe, Restauratoren zu finden, die das sogenannte „Trattegio“ beherrschen, jener Mal- und Retuschetechnik, die von Kunstrestauratoren angewandt wird, um zum Beispiel fehlende Stellen in den Malereien unter dem Gebot größtmöglicher Authentizität zu ergänzen. Mit der aus Worms stammenden Diplom-Restauratorin und Freundin Anke Becker und Oliver Köhler, einem erfahrenen Restaurator aus Gau-Odernheim formierte sich ein neues kongeniales Team. Bevor es jedoch ans „Eingemachte“ ging, mussten während der sechswöchigen Einarbeitungsphase Versuchsretuschen angefertigt werden. „Die Retusche birgt ein großes Potenzial an Fehlern, unter anderem geht es dabei um die Dicke und Richtung des Strichs, die das Bild bei unterschiedlicher Umsetzung unruhig erscheinen lassen können. Ohne deren Hilfe hätte ich es alleine nie geschafft“, betont Kirsten Harms.

Engel mit Essigschwamm war der Maßstab

Was den Grad der Retusche anbelangt, wurde der am schlechtesten erhaltene Engel mit dem Essigschwamm zum Maßstab für die Arbeit an den anderen sieben Engeln, die allesamt mit Geiselwerkzeugen der Kreuzigungsszene wie Lanze, Hammer, Zange, Dornenkrone, Kreuz und Geiselsäule ausgestattet sind. Die Corona-Auflagen verschärften die ohnehin schon schwierige Situation. „Auf unserer 25 Quadratmeter großen Plattform konnten immer nur zwei Leute gleichzeitig arbeiten und so verlegte ich meine Arbeitszeit häufig in die Nachstunden“, erzählt Kirsten Harms. Corona, der überraschende Tod von Bruno Helmstetter, ein neu einzuarbeitendes Team mit Kollegen, die zeitgleich mit anderen Aufträgen beschäftigt waren - erschwerte Bedingungen, die naturgemäß zeitliche Verzögerungen zur Folge hatten, denn ursprünglich sollte die Fertigstellung bereits im November erfolgen.

Hohe Qualität der Fresken

Als künstlerisch hochwertig und den Malereien im ersten Joch qualitativ nicht nachstehend bezeichnet Kirsten Harms die acht Engelbilder. Insbesondere ihr „Lieblingsengel“, der Engel mit dem Kreuz, spiegelt in repräsentativer Weise das überragende Können des Künstlers und die Qualität der Fresken. Ob die frisch restaurierten Bilder von der gleichen Hand wie die vom ersten Joch stammen, bleibt allerdings ungewiss. „Jedenfalls stammen sie aus der gleichen Werkstatt“, ist sich Kirsten Harms über die um das Jahr 1400 angefertigten Malereien sicher. Von unterschiedlicher Qualität ist hingegen der nunmehr von 16 weiteren Putzschichten befreite Originalputz, der im zweiten Joch einen deutlich höheren Anteil an Kohle- und Holzteilen wie im ersten Joch aufweist, wie Kirsten Harms feststellen musste. „Salopp gesagt, wurde der Putz im zweiten Joch etwas nachlässiger hergestellt“, erklärt sie. „Vor allem geht es dabei darum, wie gut die Pigmente in den Putz eingebunden wurden.“ Teilweise hervorragend erhalten sind die Gesichter.

Mittelalterliche Farbforschung

Vorsichtige Ergänzungen betrafen vor allem die Gewänder und Flügel. Dabei handelt es sich um eine minimale Retusche, die hilft, das Passionsbildprogramm als Ganzes besser für den Betrachter zu erfassen. Über die Restaurierung hinaus erforscht Kirsten Harms die verwendeten Farben. Winzige Aufkleber auf den Fresken verweisen auf die Entnahme von Pigmentproben, die sie in den nächsten Wochen genauer untersuchen wird. „Ich erwarte hochwertige Pigmente und möchte im Zuge meiner Untersuchungen den eindeutigen Beweis erbringen, dass es sich um mittelalterliche Farben handelt“, erläutert die leidenschaftliche Restauratorin.

Verliebt in Neustadt und die Stiftskirche

Zur Zeit wohnt sie noch in Ellerstadt, hat sich aber längst in die Weinmetropole verliebt und verfügt sogar über ein eigenes Büro in der Küsterwohnung der Stiftskirche. Die Neustadter haben es ihr nicht schwer gemacht, haben sich von Anfang an für ihre Arbeit interessiert und sie motiviert, resümiert sie dankbar. „Ich wurde von der Bevölkerung auch in schweren Zeiten getragen. Das hat mir den Schub gegeben, mich über das übliche Maß hinaus zu engagieren.“ Zu ihren Unterstützern zählt auch der Haßlocher Kunsthistoriker Dr. Hubach, der ihr im Zuge ihrer interdisziplinären Zusammenarbeit wertvolle Tipps zur Deutung der Bildprogramme vermittelte.

Weitere Malereien warten auf Freilegung

Mit der jüngst erfolgten Restaurierung konnte ein Kapitel abgeschlossen werden, weitere Malereien warten noch darauf, aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt zu werden, wie zum Beispiel die Fresken im ersten Joch des nördlichen Seitenschiffs. Der Bau und Förderverein, der aktuell schon 35.000 Euro aus der Bürgerschaft gesammelt hat, bittet dazu um weitere Spenden. (IBAN: DE44 5479 0000 0001 4532 38, Stichwort „Stück vom Himmel“).

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Autor:

Markus Pacher aus Neustadt/Weinstraße

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