Interview zur Flüchtlingshilfe Moria in Griechenland
Hilfe für Lager Lesbos
Von Markus Pacher
Neustadt. Fast täglich berichten die Medien über die katastrophale Flüchtlingssituation im Mittelmeerraum. Im besonderen Fokus steht das Lager „Moria“ auf der Insel Lesbos, in welchem zeitweise über 20.000 Flüchtlinge ein menschenunwürdiges Dasein fristeten. In Neustadt kam es im Herbst 2020 zur Gründung einer Initiative, die sich „Moria brennt - Seebrücke Lokalgruppe Neustadt“ nennt. Markus Pacher sprach mit Christof Rörig-Weisbrod, einem der Hauptinitiatoren, über die ehrenamtliche Arbeit der Gruppe und ihre Ziele.
??? Am zweiten Adventswochenende hatte die Initiative „Moria brennt“ zur Kleiderspende für das Flüchtlingslager auf Lesbos aufgerufen. Die Spendenbereitschaft war überwältigend. Sind die Kleider in der Zwischenzeit gut angekommen?
Christof Rörig-Weisbrod: Am auf die Sammlung folgenden Wochenende haben wir in einer Halle der Firma Abendland die Kleidung fertig sortiert. Viele Menschen hatten ihre Hilfe beim Sortieren angeboten. So konnten wir nach einem zuvor ausgetüftelten Sortier- und Zeitplan trotz Corona-Einschränkungen mit 10 bis 12 Personen über fast zwei Tage arbeiten und die Sortierung für Lesbos auch abschließen. Gespendet wurde alles, was man in Schränken so findet: Neben Männer-, Frauen und Kinderkleidung auch Decken, Schlafsäcke und große Mengen an Hygieneartikeln. Schließlich konnten wir am 23. Dezember 435 Kartons, gefüllt mit Männer- und Kinderkleidung, Hygieneartikeln, Schals und Handschuhen mit einem 7,5-Tonner nach Regensburg zu „Space-Eye“ transportieren. „Space-Eye“, eine größere Hilfsorganisation, lässt in diesem Winter zehn Container mit Kleiderspenden nach Lesbos transportieren. Ein Teil unserer Lieferung ging noch am gleichen Tag auf Fahrt. Der Rest hat in den ersten Januartagen Regensburg verlassen und wird bis etwa den 10. Januar Lesbos erreicht haben. Dort übernimmt dann die griechische Hilfsorganisation „Attica Human Support“. „Attica Human Support“ verteilt weiter an die auf Lesbos tätigen Nichtregierungsorganisationen.
??? Welche Kleidung wird am dringendsten benötigt?
Christof Rörig-Weisbrod: Während Frauen und Kinder halbwegs gut versorgt waren, bestand zu Winterbeginn vor allem ein großer Bedarf an warmer Männerkleidung. Auch Kinderkleidung wurde noch benötigt. Hier hat unsere Sammlung mit für Abhilfe gesorgt. Denn wir haben vor allem Männer- und Kinderkleidung auf den Weg gebracht. Die übrig gebliebene Frauenkleidung haben wir mittlerweile ebenfalls durchsortiert; möglicherweise wird sie in ein Flüchtlingslager im Nordlibanon geschickt. Das wird aktuell geklärt. Ein grundsätzliches Problem: Medienbedingt schauen alle nur nach Lesbos. Von den anderen Lagern, in denen vergleichsweise schlimme Zustände herrschen, spricht kaum jemand. Auch hier muss aber die Hilfe, die die Menschen benötigen, ankommen. „Attica Human Support“ entwickelt, wie man uns berichtete, ein Verteilungssystem mit dem auch andere griechische Inseln erreicht werden.
??? Wie und wann ist Ihre Initiative entstanden?
Christof Rörig-Weisbrod: Kurz nach dem Feuer, also dem Brand in Moria in der Nacht vom 8. auf den 9. September 2020, haben wir eine Mahnwache auf dem Marktplatz abgehalten. Wir, das sind Corinna Seiler, Christina Weisbrod, Karin Jörns, Matthias Lambrich und ich. Gemeinsam forderten wir, dass Neustadt der Initiative „Sichere Häfen“ beitritt, der sich mittlerweile 220 Städte und Kommunen angeschlossen haben und sich zum „Sicheren Hafen“ erklärt.
??? Wie hat der Stadtrat auf ihr Anliegen reagiert?
Christof Rörig-Weisbrod: Unsere Mahnwache zeitigte Erfolg: Der Stadtvorstand und der Stadtrat verabschiedeten eine gemeinsame Resolution und bekundeten ihre Bereitschaft, weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Das Problem ist allerdings, dass es nur noch wenige Unterkünfte gibt. Wir als Initiative würden es begrüßen, wenn Neustadt sich auch zum „Sicheren Hafen“ erklärt und sich damit offen gegen die Abschottungspolitik der Bundesregierung positioniert.
??? Außerdem luden Sie noch zu einem Bürgerforum in die Marienkirche ein.
Christof Rörig-Weisbrod: Das war am 24. Oktober 2020 und ging fast vier Stunden lang. Unter anderem hatten wir in Neustadt lebende Flüchtlinge, ehrenamtliche Flüchtlingshelferinnen, einen Traumaspezialisten und Bürgermeister Röthlingshöfer auf dem Podium, die über ihre Erfahrungen berichteten. Meine Tochter, die zu diesem Zeitpunkt im Rahmen ihres Geographiestudiums ein Auslandssemester auf der Insel Lesbos absolvierte und sich in der Flüchtlingshilfe engagiert, war per Live-Schaltung mit dabei und wir führten ein Interview mit ihr. Mitglieder des Stadtrates bekannten sich zur Aufnahme von Flüchtlingen.
??? Wie verhält sich Griechenland?
Christof Rörig-Weisbrod: Die griechische Regierung ist nicht gerade die menschenfreundlichste: Flüchtlinge sind dort nicht viel mehr als Statisten in einem Abschreckungsspiel. In dem abgebrannten Lager waren zeitweise über 20.000 Flüchtlinge untergebracht, hauptsächlich Menschen aus Syrien, Afghanistan, Kongo und Kamerun. Zum Zeitpunkt des Brandes waren es 13.000. Die Situation ist für uns Deutsche nicht vorstellbar. Einen Eindruck davon konnte ich im Juli während eines Aufenthaltes auf der Insel gewinnen. Es herrschten chaotische oder richtiger unterirdische Verhältnisse: Es stank wie auf einem riesigen Klo, überall lag Müll herum. Die hygienische und medizinische Situation war katastrophal. Es war bzw. Ist nach wie vor eine völlig entwürdigende Situation. Anstatt den Flüchtlingen in der Brandnacht beizustehen, schoss die Polizei mit Tränengas auf die vor dem Feuer fliehenden Menschen, auf Familien und Kinder. „Moira 2.0“, das Lager, das nach dem Brand von der griechischen Regierung aufgebaut wurde, ist so weit ich höre, noch schlimmer: Wieder Zelte, zum Teil für 100 Personen. Frauen dürfen zur Zeit einmal pro Woche 15 min duschen. Bei Regen steht ein Teil der Zelte unter Wasser. „Rattenbisse“ sollen die häufigste medizinische Indikation sein. Vor allem Kinder werden von hungrigen Ratten gebissen. Bei Push-Backs werden Flüchtlingsboote aufgebracht, teilweise die Bootsmotoren zerstört und die Flüchtlinge auf dem offenen Meer ausgesetzt oder direkt zurück in türkische Hoheitsgewässer gezogen; was, so denke ich, einen Bruch der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt.
??? Ihr Engagement ist sicherlich mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden. Verfügen sie über genügend Leute, die die Arbeit der Initiative unterstützen?
Christof Rörig-Weisbrod: Ja, die zurückliegenden Monate waren einerseits ein unheimlicher Kraftakt für uns; aber wir hatten auch einen richtigen Flow. Glücklicherweise gibt es eine Menge Leute, die uns helfen und/oder gedanklich mit uns unterwegs sind. Damit meine ich z. B. die vielen Helferinnen und Helfer die bei der Sortierung dabei waren, Herrn Lüneburg von der Firma Abendland, die engagierte Jugend Neustadt (EJN), Leute von Fridays for Future und auch Leute, die seitdem neu zur Gruppe gestoßen sind. Alle können Ihre Ideen und Kompetenzen einbringen. Wir sind ja ein völlig loser Zusammenschluss von Leuten, der ganz ohne Vereinsstruktur seine Arbeit macht.
??? Woher nehmen Sie persönlich die Zeit, Kraft und Motivation für ihr ehrenamtliches Engagement?
Christof Rörig-Weisbrod: Gute Frage. Was macht man neben seinem Fulltime-Job mit seiner freien Zeit? Es gibt Dinge, die muss man einfach machen. In meinem Fall handelt es sich um eine Arbeit, die mich sehr befriedigt. Die einem das Gefühl gibt, beim Aufbau einer besseren Welt beteiligt zu sein. Und dabei spreche ich nicht nur für mich, sondern für uns alle. pac
Zum Hintergrund
Moria befand sich im Landesinneren der ostägäischen Insel Lesbos nahe der Ortschaft Moria in der Gemeinde Mytilini. In dem für 2.800 Personen konzipierten Lager lebten zeitweilig 20.000 Menschen (März 2020); es war Europas größtes Flüchtlingslager und ein sogenannter Hotspot der EU. In dem Lager herrschten wegen der Überfüllung jahrelang katastrophale Verhältnisse. In der Nacht auf den 9. September 2020 ereignete sich ein Großbrand, der das Lager und die Habe der Flüchtlinge fast vollständig zerstörte und 12.600 Menschen obdachlos machte. Ein Teil der Menschen wurde auf das griechische Festland gebracht, für rund 7800 Menschen wurde ein provisorisches Zeltlager an der Küste in der Nähe des bereits bestehenden Flüchtlingslagers Kara Tepe errichtet. Am 15. September 2020 wurden sechs mutmaßliche Brandstifter verhaftet.
wikipedia
Autor:Markus Pacher aus Neustadt/Weinstraße |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.