Interview der Woche
Jennifer Harris und Andrea Baur
Von Markus Pacher
Haardt. Die auf der Haardt lebende Lautenistin Andrea Baur zählt mit ihrer Partnerin, der Fagottistin Jennifer Harris, zu den überregional gefragten Gallionsfiguren der Alten-Musik-Szene. Wir sprachen mit den beiden leidenschaftlichen Musikerinnen über ihre schwierige Situation in Corona-Zeiten und wie man das Beste daraus macht.
??? Frau Harris, Frau Baur, keine Konzerte, keine Proben, was treibt man so als hauptberufliche Musikerin in Corona-Zeiten?
Jennifer Harris: Ich bin ja auch noch am Unterrichten. Das funktioniert momentan ganz gut über Webcam, auch wenn es mit dem Einrichten der Technik etwas länger gedauert hat. Für mich ist das eine völlig neue Erfahrung - etwas ungewohnt, denn es ist natürlich wesentlich schwieriger, sich über das Internet in die Studenten einzufühlen. Besonders kompliziert wird es im handwerklichen Bereich, wenn es körperlich wird, zum Beispiel beim Vermitteln von Rohrbaukenntnissen, etwa wie man das Messer beim Schnitzen hält. Ansonsten bin ich teils auch froh über die Pause ohne ständigen Konzertdruck, auch wenn ich als typisches Ensemble-Tier natürlich die Konzerte und das gemeinsame Musizieren sehr vermisse.
Andrea Baur: Wir nutzen die Gelegenheit, Dinge im Garten und am Haus zu erledigen, für die wir vorher keine Zeit hatten. Ansonsten ist es wie bei Sportlern: Wir müssen unsere Muskulatur fit halten, was natürlich in Coronazeiten ohne konkrete Ziele besonders viel Eigendisziplin erfordert. Darüber hinaus arbeite ich mit einem Looper, mit dem ich meinen eigenen Sound aufzeichnen und damit Klangcollagen erstellen kann, gewissermaßen aus mir eine eigene Band basteln kann. Kurzum: Man hat mehr Zeit, neue Dinge am Instrument auszuprobieren und wird nicht mehr gefressen vom ständigen Unterwegssein.
??? Ihr beide habt ein lustiges Video zum Thema „Corona“ gedreht. Was hat es damit auf sich?
Jennifer Harris: In der Alten Musik steht der Begriff „Corona“ für „Fermate“, also für eine Generalpause. Daraus hat Andrea so einen Art Sketch erfunden.
Andrea Baur: Meine Idee war, den Begriff „Corona“ schauspielerisch darzustellen. Als stumme Figur fungierte Jenny mit dem Corona-Zeichen auf dem Kopf. Immer wenn sie sich zu mir wendete, unterbrach ich mein Lautenspiel. „Corona“ als Pause - das ist gleichzeitig ein treffendes Bild für die aktuelle Situation.
??? Ein Riesenproblem für freischaffende Künstler ist der Wegfall der Einkünfte. Fühlt ihr euch von der Politik im Stich gelassen?
Andrea Baur: Es hat zu lange gedauert, bis man wusste, was es gibt. Ohne unsere Ersparnisse hätten wir die finanziellen Einbußen kaum überstanden. Immerhin haben wir jetzt mal einen Antrag bei der Stadt Neustadt gestellt, die 750 Euro in Aussicht stellt. Beim Land kann man sich für Fördermittel bis zu 2.000 Euro bewerben. Grundvoraussetzung ist natürlich eine Mitgliedschaft bei der Künstlersozialkasse.
Jennifer Harris: Wir sind uns beide einig, dass die Förderungen früher hätten erfolgen müssen. Das Verständnis der Politik für die Bedürfnisse und besondere Situation der Musiker fehlt. Das Interesse gilt anderen Bereichen wie Fußball, Lufthansa oder der Autoindustrie. Im Gegensatz zu anderen Branchen können wir keine Betriebsausgaben geltend machen - das, was wir den Leuten geben, bekommen wir 1:1 wieder zurück. Wir leben also gewissermaßen von der Hand in den Mund. Und vor allem jetzt ist Kultur für die Menschen super wichtig. Aber die Politik versteht nicht, wie die Musikwelt funktioniert. Die wollen vor allem Web-Konzerte fördern. Dabei haben die Musikfreunde keine Lust mehr auf musikalische Internetbegegnungen.
??? Besteht in absehbarer Zeit die Chance, wieder auftreten zu dürfen?
Andrea Baur: Mit der Schauspielerin Hedda Brockmeyer haben wir uns überlegt, wie man wieder Theater- und Konzertbedingungen schaffen kann. Eine Idee ist, im Stile der Wanderbühnen an verschiedenen Plätzen, Straßentheater anzubieten. Dazu erarbeiten wir als Duo verschieden Programme, wie Gedichte mit Musik, die wir dann in einer Art Glücksrad-Aktion zum Besten geben. Dafür nehme ich bei Hedda Schauspielunterricht, denn ich möchte als Musikerin auch in Rollen schlüpfen, um neben Hedda fundiert agieren zu können. Eine gute Geschichte sind die „Corona-Sessions“ der Stadt Neustadt, an der wir als Duo teilnehmen. Produziert wurden zehn verschiedene Acts, in der sich Neustadter Künstler in einem 30-Minuten-Programm präsentieren und die jeden Abend gesendet werden. Wir sind am 22. Mai dran.
??? Frau Harris, als besonders verdächtig des Tröpfchenverteilens in der Hochkultur galten ja bislang die Bläser in den Orchestern. Dürfen die spielen oder sind sie gemeingefährlich?
Jennifer Harris: Ein jüngster Virus-Test mit einem speziellen Rauchgerät durch die Bamberger Sinfoniker hat das Gegenteil ermittelt. Grundsätzlich sind Bläser ja bemüht, nicht Luft und Spucke zu produzieren, sondern einen schönen Ton. Und das scheint ja zumindest bei professionellen Musikern der Fall zu sein. Außerdem glaube ich, dass die Durchführbarkeit von Konzerten eher von der Publikumsgröße als von Abstandsregeln im Orchester abhängt. pac
Autor:Markus Pacher aus Neustadt/Weinstraße |
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