Sarah Beicht in der Literaturvilla
Lesung aus ihrem neuen Buch "weiße Kreidekreuze"

Sarah Beicht aus Mainz | Foto: Peter Herzer
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Mußbach/Herrenhof. Am 4. Mai war ich zu Gast in der Literaturvilla Herrenhof / Mußbach. Sarah Beicht stellte ihr nagelneues Buch „weiße kreidekreuze“ vor, erschienen in Brot&Kunst, Haßloch.
Sarah Beicht ist freie Autorin, Moderatorin und Veranstalterin aus Mainz. Sie studierte English Literature and Culture sowie Filmwissenschaft. 2014 gewann sie den 1. Platz beim Jugendliteraturwettbewerb Frankfurt. Beicht gestaltet seit 2018 gemeinsam mit Ingo Bartsch die Lesebühne Leselampe, damit verbunden brachte sie mit Bartsch das Magazin „Lampenfieber“ heraus. Des Weiteren ist sie im Literaturhaus Villa Clementine Wiesbaden involviert. Beicht fragte sich, warum es kein Literaturhaus in Mainz gibt, die Stadt sei ja inzwischen reich, wohl eine ironische Anspielung auf Biontech mit Sitz An der Goldgrube. 2021 erschien ihr Erzählband „Ein Kreis aus Salz“ im Rhein-Mosel-Verlag.
Florian Arleth (Verleger Brot&Kunst) und Katharina Dück, beide Mitglied in der lit. Gruppe Textur, moderierten den Abend. Arleth zeigte eine gewisse Distanz zum „Trend-Thema“ Corona, das eingereichte Werk überzeugte ihn aber. Inzwischen stellt sich die Frage, ob das Thema noch aktuell ist, da das Pendel, ich zitiere Camus' „Pest“, in die andere Richtung geschlagen hat, viele wollen nur noch ihr altes Leben zurück, abfeiern. Und dann kam der Ukraine-Krieg und die Inflation.

Die Protagonistin Janine Richter ist eine relativ junge Bestattermeisterin, die infolge der Corona-Pandemie mit der hohen Übersterblichkeit ihre Belastungsgrenze überschreitet. Der Titel des Buches „weiße kreidekreuze“ bedeutet, dass im Falle eines Corona-Todes vier weiße Kreuze rings an den Sarg zur Kennzeichnung gemalt wurden. Die Handlung spielt vermutlich im ersten Corona-Winter. Von den frühen Impfungen kein Wort, auch sonst wirkt der Rahmen eingeengt, auf die Person und ihr näheres Umfeld konzentriert, die schweren Lockdown-Verwerfungen ringsum erscheinen blass.
Die Autorin denn auch passend im schwarzen Bestatterinnen-Outfit. Die Gitarristin Morgane musste kurzfristig absagen. Simone Novicki aus Mainz sprang als Ersatz mit drei Soundlandschaften bzw. Soundscapes ein, diese waren sogar auf den Text abgestimmt, eine Katze miaut, Wasser rauscht, Schritte, Klappern. Sehr schön die Mimik von Beicht während des Abspielens.
Die Autorin erwähnte mehrfach die US-Serie Six Feet Under aus den Nuller-Jahren, ihre Anti-Heldin schaut immer wieder die eine Folge, jedoch nie zu Ende. In Six Feet Under geht das Sterben so richtig unter die Haut, aber aufgrund der dort üblichen aufwendigen Aufbahrung und auch Rekonstruktion – einmal fiel der Vergleich mit der Sixtinischen Kapelle – scheint der Tod oftmals ein sanftes Hinübergleiten in friedliche Sphären. Die Menschen sterben nie richtig. In ihrem Buch werden allesamt eingeäschert, von überall werden sie an das der Pietät Richter zugehörige Krematorium angeliefert, die Leichenwagen stehen Schlange, die Särge mit dem Gabelstapler aufeinander geschichtet, bis alles überfüllt ist, zum Glück ist noch Platz im Eisstadion, der Geruch von verbrannten Fichtenholz weht unverkennbar durch das Stadtteil.
Zu Anfang eine Passage, professionell mit sauberer Artikulation vorgetragen: „...die meisten Menschen im Altersheim sterben allein in ihren Betten. Am Morgen sieht es stets aus, als hätte sie der Tod im Schlaf überrascht, den Mund leicht geöffnet und die Hände ratlos an die Seiten gelegt.“ Da musste ich stutzen, manifestiert sich hier der Tod? Arleth spricht von Sprachwitz, ich dagegen überlege immer wieder, ob sie ihren vielen intelligenten Eingebungen freien Lauf lässt. Sie verbiegt stellenweise die Dimensionen wie die innere Logik, kommt mit dem Zählen nicht mehr nach. Da wandern Ameisen im Schnee und zwischendurch eilt ein Trauernder mit Gänseblümchen daher. Der Wunsch nach Frühling, nach Leben an sich, scheint im positiven Sinne immer wieder durch.
Sukzessive verfällt ihre innere wie äußere Struktur, das Geschirr wird nicht mehr gespült, das spröde Haar gestutzt, das Essen systematisiert, alles auf das Funktionale und Minimale heruntergebrochen – sie hört auf zu leuchten. Das Mahlen der Kaffeemaschine empfindet Janine in Analogie dem der Knochenmühle nach der Verbrennung.
Die Nächte sind bezeichnend für das Lebenskonzept in Not, das keine Beziehung, keine Zärtlichkeit und Sinnlichkeit zulässt, so die (Alb-)Träume mit einer Flucht auf einen Baum und mit George Cloony, ich gehe da nicht in die Details. Mortimer, ihr schwarzer hungriger Kater, steht auf ihrer Brust und holt sie aus dem Schlaf zurück. Einmal legt sie sich vollkommen erschöpft in einen stickigen Sarg, aber nicht zur Probe!

Nach einem schrullig-humorigen Besuch ihrer Eltern, ein eher bedenklicher Rückfall in die vertraute Kindheit, und wegen des Verdachts der gegenseitigen Ansteckung, schließt sie sich in eine Hütte im Garten ein und verrauscht ihre Tage. Sie vergisst ein Leben da draußen mit tragischer Konsequenz.
Im letzten Kapitel, der postpandemisch in einem Café spielt, wünscht man sich Janine, unbewusst beim Lesen der ersten Sätze, eine Kompensation der Verluste, einen Menschen, der sie liebt und sich um sie kümmert, aber die Szene ist erstens fiktiv, zweitens ist es ein Journalist, dem sie trotz seines freundlichen Charakters mit Vorsicht begegnet. Auf eine seiner Fragen antwortet sie weise: „Nun, ich glaube, dass das Leben uns genügend Hinweise gibt, und wir uns unsere ganz eigene Version vom Tod erschaffen müssen.“

Drei gute Gründe nannte Sarah Beicht als Anreiz zum Bucherwerb. Der Katzenstempel Mortimer mit persönlicher Widmung, das Rezept Nusskuchen mit Rum im Anhang, und drittens, die ersten zehn bekamen einen echten Nusskuchen obendrauf.
Die gut zwanzig Gäste schienen zufrieden, da wurde auch fast schon befreiend gelacht. Die Lesung ist per Live-Mitschnitt auf dem hauseigenen YouTube-Kanal zu sehen.

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Autor:

Peter Herzer aus Kaiserslautern

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