Meine Großmama - Brigit Majer in den Augen ihrer Enkelin Anna (Teil 4)
Neustadt. In dieser Serie erzählt meine große Schwester Anna Kimmel von ihrer Beziehung zu unserer Großmama Mima, allgemein bekannt als Brigit Majer (1928 - 2020). Brigit Majer hat lange zusammen mit ihrem Lebensgefährten Bernt Carstens im sog. Diedesfelder „Schlössl“ gelebt und anschließend ihren Lebensabend in einer Seniorenresidenz in Neustadt verbracht. Anna erzählt eine Geschichte voller Leben, Liebe und auch Leiden - wie sie und ihre Großmama die Pandemie erlebt haben und vom altersbedingten Abschied.
Nun gilt es Dinge zu regeln, bin ich doch noch nicht einmal Zuhause. 1.000 Kilometer Umweg? Keine Zeit! Uns rennt die Zeit davon. So klemme ich mich ans Telefon, organisiere und finde Verständnis, dass ich meine Aushilfe in der Eifel auf ungewisse Zeit aussetze. 400 Kilometer geht es in die Pfalz, in zwei Tagen soll meine Großmutter aus dem Krankenhaus entlassen werden, die Hunde müssen noch in den Taunus. Ja, das ist treue Freundschaft, wenn auf Nachfrage kommt: „Bring die Hunde! Ich mach das! Kümmer du dich um deine Oma.“
Bevor ich zu dieser Tour starten kann, der Anruf meiner Mutter aus dem Krankenhaus: „Komm, jetzt! Kämpf dich rein. Morgen siehst du sie vielleicht nicht mehr“. Also zum Krankenhaus, das keinen Besuch erlaubt. Ich bin entschieden. Sie werden mich nicht wegschicken!
So schwierig ist es gar nicht, ein Telefonat mit der Station und ich bekomme die Erlaubnis für zehn Minuten hoch zu kommen. Fast macht mir diese Einfachheit, diese Bestätigung, noch mehr Angst. Oh, und die Furcht ist begründet. Habe ich meine Großmama nicht gerade vor vier Wochen gesehen? Immer noch so voller Energie?
Nichts finde ich in dieser kleinen Person, leblos verschwindend in all dem Krankenhausweiß. Der Blick ist schon weit weg, aufgegeben. Und doch scheint sie mich zu erkennen, ich halte ihre pergamentene Hand, verspreche, dass sie nur noch eine Nacht durchhalten muss, dann bin ich da.
Morgen kommst du heim! Ich bin dann bei dir! Für immer! Versprochen! Eine Nacht, Du schaffst das!
Nach zwanzig Minuten der Abschied. Nun noch 100 Kilometer in den Taunus und wieder zurück. Immerhin bin ich beschäftigt. Die Nacht ist lang, das Bangen groß. Doch als ich am nächsten Morgen erwache glüht die Freude.
Kein Anruf! Es kam kein Anruf! Die Nacht ist um, alles wird gut!
Die Entlassung sollte Stunden dauern, und doch kommt meine Großmutter gleichzeitig mit mir in ihrer Wohnung an, wird in den Sessel geladen da das bewilligte Krankenhausbett noch nicht montiert ist.
Plötzlich bin ich Vollzeitpflegerin. Mein Wille muss die nicht vorhandene Erfahrung ausgleichen.
Immerhin bin ich nicht alleine, meine beste Freundin seit Kindertagen, längst erfahrene Ärztin, kommt mit allerlei hilfreichen Informationen. Auch unterstützt sie mich in dem Gespräch mit der Person, die in der Seniorenwohnanlage zuständig für die zusätzliche Pflege ist. Es wird vereinbart, dass morgens und abends Hilfe zum Waschen kommt. Das ist eine große Erleichterung. Jede noch so dumme Frage wird mir gerne beantwortet. Ich lerne im Crashkurs über Pflege, Lagerung einer bettlägerigen Person, Katheder entleeren, Toilettenstuhl, Sauerstoffgerät. Ich habe die Gewissheit, dass jemand professionelles einen Blick auf meine Großmutter hat. Dazu bekomme auch ich immer ein paar aufmunternde, bestätigende Worte, dass mein Tun richtig ist. Zu organisieren ist Verbandskontrolle, zweimal die Woche Krankengymnastik, Vollmachten, häuslicher Arztbesuch und ein Gesprächstermin mit dem Ambulanten Hospitz- und Palliativ-Zentrum.
All das bekomme ich gewuppt, und es spielt doch keine wirkliche Rolle, denn meine Großmutter erwacht zu neuem Leben! Daheim in ihrer Wohnung, umgeben von all den vertrauten Dingen, an denen sie so sehr hängt. Endlich nicht mehr alleine.
Ich bin da, immer. Ja, versprochen! Ich gehe nicht mehr weg!
Nein, auch nicht zu den Schafen. Mach Dir keine Sorgen! Es ist alles organisiert, ich bleibe auf immer bei Dir! Juhu! bev
Autor:Eva Bender aus Neustadt/Weinstraße |
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