Das Neustadter Hertie-Gelände einst und heute
Rund um den Neustadter Moloch

Bild 1b: Bachgängel, links Armbrustschützenhaus. | Foto: Waldemar Lyszio
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  • Bild 1b: Bachgängel, links Armbrustschützenhaus.
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Neustadt. Im 18. Jahrhundert verlor unsere Stadt ihr mittelalterliches Aussehen. Nuwestat war früher durch einen doppelten Mauerring geschützt. Um 1800 wurde die Hauptmauer abgerissen. Sie hatte in Straßenhöhe eine Dicke von 1,60m, die mit 5m Abstand davorliegende Zwingermauer eine Mauerdicke von rund 0,60m. Noch bis in die 70er Jahre war sie auf einer Länge von ca. 200m erhalten. Traditionell als historisch "nicht bedeutsam" und dem Ausbau der Stadt als hinderlich betrachtet, verschwanden die Befestigungsanlagen.
Heute ziert eine mächtige Betonbefestigung (ehemals Karstadt) großflächig einen Teil der Altstadt. Irgendwie erinnert dieses Bauwerk in seinem jetzigen Zustand an die Ruinen der Wolfsschanze, mit dem Unterschied, dass das Kaufhaus zu seiner Blütezeit immerhin eine echte Bereicherung der Neustadter Shoppingmall darstellte. Doch wie sah es hier vorher aus?

Das Schützenhaus der Armbrustschützen (Foto 1a+b)
 Es stand etwa an dem Platz der heutigen Kaufhausruine und war Jahrhunderte lang das einzige Haus, welches auf dem Wall zwischen Floßbach und Stadtgraben zugelassen war. 1470 fand dort ein Preis-Festschießen statt.
Im 19. Jht. nutzte man es bis 1932 als Mädchenschule. Ein Lehrer namens Bätz hatte auch seine Wohnung darin. Schon 1481/82 wurde das Haus in der Stadtrechnung erwähnt, ebenso die Harnascher Pforte - das Tor zum Bachgängel. (Foto 2)
Hinter dem Armbrusterhaus befand sich der Armbrusterturm, etwa in Höhe der Verkehrsinsel auf der heutigen Ludwigstraße. Hier trainierten die Armbrustschützen auf dem Wall zwischen Floßbach und Stadtgraben. Der Floßbach verläuft unter dem abgerissenen Restaurant "Zum Schiff" bis zur Rittergartenstraße und von da unter dem Strohmarkt, der früher ein breiter Vorgraben gewesen war, der die Stadt gegen den Klausenberg schützte.
In dem Buch "Führer durch Neustadt an der Weinstraße" schrieben 1953 die Autoren: "Vom Rittergarten bis zum Gasthaus 'Zum Schiff' ist die Stadtmauer erhalten. Das Armbrustschützenhaus - die spätere Mädchenschule - ist reparaturbedürftig.
Und es steht heute noch da." Bedauerlicherweise sollte das schon 10 Jahre später nicht mehr der Fall sein!

Das Bachgängel (Foto 3)
Malerisch war der Anblick der Giebel, Dächer, Fassaden und Zugänge zum Bachbett - der Inbegriff der Romantik.
Auf dem Foto sieht man Frauen, die ihre Wäsche zum Bleichplatz (heute Karstadtruine) bringen, nachdem sie sie auf den Stufen zum Bachbett des Speyerbaches in Höhe der ehem. Gaststätte "Zur Brücke" gewaschen hatten.
Die Brüder Karl und August Graf (am Bachgängel gegenüber der Karstadtruine) fertigten
in ihrer mechanischen Werkstatt Autofedern, Hufbeschläge, Eisenreifen und Anhänger.
Die Hufe der Pferde des Fuhrbetriebs Nenninger am Alten Kohlplatz wurden von ihnen beschlagen. Zum Härten der noch glühenden Autofedern schaffte man sie direkt ins Wasses der Speyerbaches, um sie dort abzubinden. Ganz in ihrer Nähe befanden sich die Bäckerei Kaiser und ein Kohlenhändler.

Abriss des Bachgängels (Foto 4a+b)
Der Straßenverkehr nahm zu und so wurde erstmals im Jahre 1953 der Durchbruch am Bachgängel eingehend erörtert. Umgesetzt wurde das Projekt dann 10 Jahre später in der Ära Brix. 1965 waren alle Hindernisse ausgeräumt. Am 2.8.1965 begannen die Arbeiten. Geplant war, von der Maximilianstraße über den Strohmarkt den Verkehr direkt in die Ludwigstraße zu leiten. Neben dem Gasthaus "Zum Schiff" fielen zahlreiche weitere Häuser dieser Maßnahme zum Opfer.
Unter der neuen Straße wurde für den Floßbach ein Tunnel geschaffen. Von wenigen Quadratmetern abgesehen war damit das alte Bachbett "nicht mehr nötig" und konnte eingeebnet werden. Seit dieser einschneidenden Maßnahme hat der Floßbach zwischen Rittergartenstraße und Rathaus einen anderen Verlauf.
Ingenieur-Gutachten vom 5.4.1955 (Rheinpfalz): "Speyerbach soll in der Stadtmitte unter der Erde verschwinden. Die beiden Bäche haben ihre ehemals große Bedeutung als Antriebskräfte für zahlreiche Mühlen längst verloren. Ueberreste können wir heute noch allenthalben entdecken, so bei Hoffmann & Engelmann, an der Burgmühle, am Stadthaus, an der Wallgasse, bei Helfferich und an anderen Stellen. Aus einigen dieser Mühlen sind im Tal und im Stadtbereich einige bedeutende Industrieunternehmen hervorgegangen. Da aber die Wasserkraft im engeren Stadtgebiet nicht mehr genutzt wird, haben die Bäche heute nur noch die Aufgabe, Ableitungen für die Oberflächenwasser zu sein. Auf diesem Gedankengut fußend, kommt das Gutachten zum Schluß, daß der gesamte Speyerbach von seiner Abzweigung am Casimirianum bis zur Firma Helfferich durch Verrohrung und Zuschüttung verschwinden kann ..."

Gasthaus "Zum Schiff" (Foto 2a+b)
Alte Zeitungsanzeige: "Restauration Schiff. Heute Mittwochabend 8 Uhr. Großes humoristisches Concert der anerkannten ersten Nürnberger Singspielhalle und Salonkomiker Michel und Collegen (1 Dame, 3 Herren). Programm fein und decent gehalten. Auftreten der sehr beliebten tragischen Liedersängerin, Kostümsoubrette und Tyroler Jodlerin Frl. Leyrer aus München. des unübertrefflichen Mimikers und Charakterdarstellers Herrn Otto, sowie des Salon- und Gesangkomikers Herrn Michel und des geprüften Zithervirtuosen Herrn Schwarz aus München. Höflichst ladet ein - Die Direction."
Heute dröhnt der Verkehr mitten durch die Stelle, an der sich die ehemaligen Räume dieser denkwürdigen Gaststätte befanden, in der sogar Könige und andere hohe Amtspersonen gastierten ...
Artikel in der Rheinpfalz (1960er Jahre):
"Das Bachgängel ist nicht mehr. Aus dem "Gängel" sollte ein breites "Gängelband" für den Autostrom in diesem Stadtbereich werden. Die Aufnahme veranschaulicht die völlig gewandelte Szenerie in diesem so charakteristischen Altstadtbezirk. Was blieb, sind die ehrwürdigen Turmrecken der Stiftskirche, die von der linken Seite der Aufnahme ein so viel größeres Feld vor sich haben. Wer sich loslösen kann vom Zwangsdenken in Sachen Verkehrserleichterung, der wird nicht ohne Bedauern diese Einebnung einer so vertrauten Alt-Neustadter Antlitzfalte zur Kenntnis nehmen. Denn das Bachgängel war allzeit malerisch im schönen Sinn des Wortes, mit Holunderstrauch, altem Fachwerk und sonstigen Zutaten des Idyllischen, mochten auch die jetzt abgerissenen Häuser vor Alter ächzen. Doch was hilft's? Alles fließt - sagten schon die alten Griechen -, weil unsere heutige Motorisierungswelle so überstark fließt, musste hier Platz geschaffen werden."

Moloch Karstadtruine (Foto 7)
Da stand er nun, der neue Superbau, mitten in der historischen Altstadt. Häuser, die mehreren Jahrhunderten trotzten, sollten einem kurzlebigen monumentalen Neubau (35 Mill. DM Baukosten) weichen, der es gerade mal auf magere 35 Jahre geschafft hat und derzeit vor sich hin gammelt. Als markantester Punkt der neu entstandenen Durchgangsstraße (Ludwigstraße) scheint sich die heutige Karstadtruine langsam in ihre Bestandteile aufzulösen.

Der Klipfelturm (Foto 5)
Der letzte größere Teil der Zwingermauer im Bereich der heutigen Ruine wurde 1988 zugunsten des heutigen Parkplatzes (Wernigeröder Platz) abgerissen. Auf diesem Platz stand der Klipfelturm aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Geblieben ist nur ein historisch bedeutsamer Rest der Vormauer vor dem ehemaligen Lagerhaus der einstigen Eisenwarenhandlung Baer. Er markiert die nord-westliche Ecke der Stadtbefestigung. Hinter überwucherndem Efeu ist noch eine Schießscharte zu entdecken. Bleibt zu hoffen, dass dieser winzige Nachweis der Lage der Stadtmauer nicht doch noch durch Unachtsamkeit, Willkür oder mangelndes Geschichtsbewusstsein zerstört wird.

Die Turmstraße (Foto 6)
Einst von pulsierendem Leben und Fröhlichkeit erfüllt. Sie hieß früher Judengasse, da sich hier viele Juden ansiedeln durften, die man als zahlkräftige Einwohner in die Stadt zu bekommen suchte. Nachdem sie der Stadt zu Wohlstand verholfen hatten und darauf vom Landesherren wieder vertrieben worden waren, verkaufte er ihre Häuser an Bürger, Adelige und Stiftsherren. Heute erinnert so gut wie nichts mehr an die Geschichte der einstigen Judengasse, die so eine bedeutsame Rolle in der Entwicklung unserer Stadt gespielt hatte. Nicht einmal ihr ursprünglicher Name verblieb ihnen. Ob das wohl der Scham wegen sich immer wiederholender Judenprogrome (1349, 1391, 1938) geschuldet war?
Die heutige Turmstraße war noch vor wenigen Jahrzehnten märchenhafte Kulisse einer von Modernisierung beseelten Stadt. Heute noch könnten sich ihre Bürger und Gäste an diesen hübschen Häusern erfreuen, wenn nicht der Zeitgeist der 60er und 70er Jahre ihren Abriss betrieben hätte. Hier befand sich auch das Gasthaus, in dem sich der Gesangsverein "Zur Liedertafel" traf.

Das Napoleonshaus
von 1550, im Schatten der großen Ruine, in der ehemaligen Zwerchgasse/Hauptstraße, heute Turmstraße. Es war im 19. Jh. als Gasthaus "Zum Spinnrädel" bekannt. Napoleon I. soll hier 1808 übernachtet haben. Nach der Überlieferung wohnte hier von 1578 bis 1583 der reformierte Theologe Zacharias Ursinus, Casimirianum-Lehrer und Mitverfasser des "Heidelberger Katechismus".
Das moderne Haus südlich gegenüber ersetzte ein ebenfalls historisches Gebäude. Man war in den 70er Jahren offenbar der irrigen Ansicht erlegen, historische Häuser - besonders in den Kreuzungsbereichen der Altstadt - sollten als Blickfang durch moderne Bauten ersetzt werden. Das führte zum unwiederbringlichen Verlust eines Großteils betagter Bausubstanz, die unsere Stadt so liebenswert machte.

Kartoffelmarkt
Innerhalb des ehem. Judenviertels, früher Kornmarkt genannt, denn Neustadt unterhielt 12 Mahlmühlen. Seit 1466 wurde er wöchentlich immer dienstags hier abgehalten, da Neustadt eines der größten Getreideumsätze Südwestdeutschlands hatte. Im Gasthaus "Zur Post" wohnte Prinz Wilhelm von Preußen, der spätere Kaiser Wilhelm I. (1849).

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Autor:

Waldemar Lyszio aus Neustadt/Weinstraße

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