Ein Vorbild gelungener Inklusion im südpfälzischen Offenbach ist mit dem Landespreis für beispielhafte Beschäftigung schwerbehinderter Menschen ausgezeichnet worden.
Hürden in den Köpfen gemeinsam überwinden
Zwischen Laternen und weißen Lederpolstern steigt Kaffeeduft auf. Viele Offenbacher sind an diesem Montag zum Frühstücken ins „jennys and jackys – Café am Markt“ gekommen. An einem der Tische sitzt Tanja Geiß. Seit 2018 ist die Mitarbeiterin mit Behinderung der Südpfalzwerkstatt in dem Café tätig. Weil sie von einer Erkrankung noch nicht vollständig genesen ist, sitzt sie an diesem Montagmorgen im Rollstuhl. Eine Besucherin beugt sich herunter und umarmt die Frau mit dem rosafarbenen Pullover. „Wie schön, dich zu sehen. Geht es dir besser?“ „Ja. Hoffentlich kann ich bald wieder arbeiten.“
Tanja Geiß hat es sich nicht nehmen lassen, zumindest als Gast dabei zu sein. Schließlich hat sich prominenter Besuch angekündigt. Detlef Placzek, Präsident des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung Rheinland-Pfalz ist eigens aus Mainz angereist, um Inhaberin Eveline Stadler eine erfreuliche Botschaft persönlich mitzuteilen: Das Café erhält den Landespreis für beispielhafte Beschäftigung schwerbehinderter Menschen in der Kategorie Kleinunternehmen. Die offizielle Verleihung erfolgt Anfang Dezember in Mainz durch Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Ministerin für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie des Landes Rheinland-Pfalz.
Eveline Stadler hat ihre Stelle bei einem namhaften Automobilhersteller aufgegeben, um ihrer Tochter Jennifer, die als schwerbehindert gilt, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen – und um vor gut zwei Jahren ihren Traum von einem Inklusionscafé zu verwirklichen. Bis sie seitens der Behörden Unterstützung erhielt, war es ein langer Weg, wie Stadler berichtet. „Schließlich ist es ungewöhnlich, dass ich Mutter und Arbeitgeberin zugleich bin.“ Ebenso wenig selbstverständlich, so die Erfahrung der Inhaberin, sei es generell, dass Menschen mit Behinderung als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft am Alltag teilhaben können. „Häufig kommen Eltern oder Betreuer zu uns und bedanken sich, dass sie bei uns willkommen sind. Das macht mich immer auch traurig – es sollte doch ganz normal sein“, sagt Stadler. Eine der Ursachen sei die aus ihrer Sicht noch nicht weit genug vorangeschrittene Inklusion vom Kindergarten bis zum Betrieb, insbesondere aber im Übergang von der Schule zum Berufsleben.
Detlef Placzek zeigt Verständnis für diese Einschätzung. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die sogenannte Ausgleichsangabe. Nach wie vor seien etliche Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern eher bereit, eine solche Abgabe zu entrichten, als ihrer gesetzlichen Pflicht nachzukommen, mindestens fünf Prozent aller Stellen mit Menschen mit schwerer Behinderung zu besetzen. „Arbeit schafft Selbstwertgefühl“, betont der Präsident des Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung. „Umso dringender brauchen wir Vorbilder, die das enorme Potenzial von schwerbehinderten Menschen erkennen und nutzen. Sie tragen dazu bei, Distanz zu überwinden und anderen Unternehmern aufzuzeigen, welche Win-win-Situationen möglich sind.“
„Es muss gelingen, Menschen mit Behinderung in das normale Arbeitsleben zu integrieren“, ist auch Dr. Thomas Gebhart, Mitglied des Deutschen Bundestages für den Wahlkreis Südpfalz, überzeugt. Unter anderem mit der Südpfalzwerkstatt und weiteren Einrichtungen der Lebenshilfe Südliche Weinstraße existierten in der Region exzellente Angebote. Für verschiedene Menschen mit Behinderung seien unterschiedliche Formen der Beschäftigung die optimale Lösung. Vor diesem Hintergrund lobt er die „Kämpferin“ Eveline Stadler, deren Vorhaben er unterstützt hat: „Ohne Einzelne, die das Thema Inklusion vor Ort vorantreiben, geht es nicht“, so der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Gesundheit.
„Engagierte Ansprechpartner vor Ort sind die Voraussetzung für ein vertrauensvolles und erfolgreiches Miteinander“, unterstreicht Alexander Rupp, Geschäftsbereichsleitung Wohnen und Familie bei der Lebenshilfe Südliche Weinstraße. „Wir sind sehr dankbar für den Außenarbeitsplatz, der hier entstanden ist.“ Nicht nur der Inklusionsbeauftragte Hermann Rieder, der Tanja Geiß seit anderthalb Jahren begleitet, weiß aus eigener Erfahrung, wie nachhaltig alle Beteiligten davon profitieren, sondern auch Eveline Stadler: „Nachdem Tanja anfangs etwas schüchtern war, ist sie voll in ihrer Aufgabe aufgegangen“, berichtet die Café-Chefin. Heute übernehme die 50-Jährige sämtliche Arbeiten – vom Verzieren der Kuchen bis zum Service. Dabei ergänzen Tanja Geiß und Jennifer Stadler sich gegenseitig. Tanja Geiß kann beispielsweise Zahlen lesen, wozu ihre Kollegin nicht imstande ist. Gemeinsam meistern die Frauen ungeachtet ihrer Behinderung den Alltag. Und längst ist Tanja Geiß für Eveline Stadler weit mehr als eine Mitarbeiterin: „Sie gehört zur Familie.“
Autor:Dennis Christmann aus Offenbach |
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