Evakuierungsstühle ermöglichen es der Lebenshilfe Südliche Weinstraße, in Notsituationen Mitarbeiter mit Einschränkungen im Bewegungsapparat binnen weniger Sekunden in Sicherheit zu bringen.
Rollstuhlfahrer schnell und sicher retten

Während Michaela Meyer, den Evac-Chair sichert, hält Tatjana Sieghold den Blickkontakt zu Anne-Sophie Perrin. Das vermittelt der Frau auf dem Spezialstuhl ein zusätzliches Gefühl von Sicherheit. | Foto: Christmann/Lebenshilfe Südliche Weinstraße
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  • Während Michaela Meyer, den Evac-Chair sichert, hält Tatjana Sieghold den Blickkontakt zu Anne-Sophie Perrin. Das vermittelt der Frau auf dem Spezialstuhl ein zusätzliches Gefühl von Sicherheit.
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Die Sirene heult auf. Feuer? Jetzt zählt jede Sekunde. „Ein technischer Defekt ist aufgetreten“, klingt eine gedämpfte Stimme aus den Lautsprechern. „Bitte bewahren Sie Ruhe und verlassen Sie das Gebäude.“ Und genau das geschieht. In einer Reihe stellen sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe Keller/Bach und aus Gruppen des Berufsbildungsbereichs (BBB) in einer Reihe auf. Insgesamt rund 30 Mitarbeiter mit Behinderung steigen in weniger als einer Minute geordnet die Treppe hinunter, begleitet von ihren Gruppenleitern und -helfern. Doch fünf Menschen befinden sich noch immer im ersten Stock von Werk 1 in Offenbach: Sie sitzen im Rollstuhl und können die Treppe nicht nutzen. Also in den Aufzug? Wenn es brennt, ist auch der keine Option.

„Mitarbeiter mit Einschränkungen im Bewegungsapparat können die ausgewiesenen Fluchtwege im Brandfall oftmals nicht ohne angemessene Unterstützung nutzen. Aus diesem Grund sind sie in besonderem Maße auf Begleitung angewiesen, um nicht in gesteigerter Form gefährdet zu sein“, weiß Rehaleiter Christof Müller, der an diesem Nachmittag Ende Mai die Übung koordiniert, aus Erfahrung. Die Lösung dafür sind sogenannte Evac-Chairs: Mit Hilfe dieser Evakuierungsstühle können darauf angewiesene Mitarbeiter ohne großen Kraftaufwand und vor allem sehr sicher über Treppen zu den ausgewiesenen Sammelplätzen transportiert werden. Dieses Rettungssystem bietet sowohl dem Anwender als auch der betroffenen Person selbst ein hohes Maß an Gewissheit, in solch gefährlichen Situationen das Gebäude unversehrt verlassen zu können. Allerdings muss der Umgang mit dem Evac-Chair immer wieder geübt werden, um Vertrauen in die Funktionsweise und Abläufe bei der Nutzung zu gewinnen. Deshalb sind die Stühle mehrmals im Jahr bei Übungen im Einsatz.

„Ratsch! Ratsch!“ Die Gurte oberhalb der Knöchel von Anne-Sophie Perrin sind gelöst. Im nächsten Augenblick greifen von zwei Seiten vier Arme unter die Beine der jungen Frau, heben sie aus dem Rollstuhl und setzen sie in den Evac-Chair. Bauchgurt. Zweites Räderpaar einklappen. Schon biegen Michaela Meyer und Tatjana Sieghold um die Ecke zur Treppe, die in den Hof führt. All das hat nur wenige Sekunden gedauert. Stufe um Stufe gleitet der Spezialstuhl auf Gummischienen sanft hinab. In den meisten Fällen würde ein Helfer genügen, doch aus psychologischen Gründen läuft vor dem Evakuierungsstuhl immer ein weiterer die Treppe hinunter. Er hält Blickkontakt mit der zu rettenden Person und vermittelt ihr ein zusätzliches Gefühl von Sicherheit. Im Fall von Anja Wagner ist das Enrico Schulte. Während sie im Evac-Chair sitzend die Treppe hinuntergleitet, bringen weitere Helfer bereits die nächsten Rollstuhlfahrer in Position – ein eingespieltes Team. Bald darauf sind auch Celine Textor, Jörg Eichberger und Fabienne Heid an der Sammelstelle angekommen. Dort begrüßen sie froh ihre Kollegen, mit und ohne Behinderung.

In der Südpfalzwerkstatt sind insgesamt 15 Rettungsstühle im Einsatz. Sie werden regelmäßig gewartet. Alle Nutzer sind unterwiesen und proben den Umgang in den regelmäßig stattfindenden Räumungsübungen. Um den personellen Begleitaufwand zu gewährleisten, sind in der Brandschutzordnung zahlreiche Personen ausgewiesen, die die Kollegen im Brandfall vor Ort unterstützen. Die ersten Rettungsstühle wurden bereits Ende der 1990er Jahre angeschafft. Zuvor mussten die Mitarbeiter ohne Behinderung jeden Rollstuhlfahrer tragen. Mit der stetig steigenden Zahl der Mitarbeiter erhöht sich auch der Bedarf an Evac-Chairs. Immer wieder werden ältere Modelle durch neuere mit besserer Funktionsweise ersetzt.

Ob sie schon in einer realen Gefahrensituation zum Einsatz kamen? „Gott sei Dank nicht! Und wir hoffen natürlich auch, dass es so bleibt“, so Müller. Aber wenn doch einmal ein Notfall eintrete, seien die Mitarbeiter bestens vorbereitet. „Wir sind froh, dass wir die Rettungsstühle im Haus haben. Auch wenn die Kosten in Anschaffung und Unterhaltung recht hoch sind, ist hier jede Investition in vollem Umfang gerechtfertigt. Die Evakuierungsstühle geben allen Beteiligten ein großes Gefühl von Sicherheit und können im Ernstfall Leben retten“, betont Geschäftsführerin Marina Hoffmann.

Christof Müller stellt sich in die Mitte der Menschentraube am Sammelpunkt. In seiner neongelben Warnweste ist er hervorragend zu erkennen. Ein prüfender Blick auf die rote Mappe in der Hand des 56-Jährigen, dann lösen sich die Falten auf seiner Stirn. Müller zieht die Mundwinkel in die Höhe: „Leute, wir können stolz auf uns sein“, sagt der Rehaleiter von Werk 1, ehe er das Ergebnis verkündet: Gerade einmal sechs Minuten hat die ganze Aktion gedauert – ein neuer Rekord.

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Während Michaela Meyer, den Evac-Chair sichert, hält Tatjana Sieghold den Blickkontakt zu Anne-Sophie Perrin. Das vermittelt der Frau auf dem Spezialstuhl ein zusätzliches Gefühl von Sicherheit. | Foto: Christmann/Lebenshilfe Südliche Weinstraße
Routiniert: Michaela Meyer und Enrico Schulte helfen Anja Wagner dabei, während der Übung das Gebäude von Werk 1 in Offenbach zu verlassen. | Foto: Christmann/Lebenshilfe Südliche Weinstraße
Autor:

Dennis Christmann aus Offenbach

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