Moderne Wandermusikanten
In die Welt hinaus
Wandermusikanten. Sanfte Posaunen- und Sousaphonklänge schallen zum Fuße des Disibodenbergs hinunter. Man muss nur ihrem Klang nachlaufen, um Bernhard und Roland Vanecek inmitten der Klosterruine auf dem Berg zu finden. Dort stehen sie also, moderne Nachkommen der Wandermusikanten aus dem Musikantenland. Hier oben erzählen sie Geschichten von Kapellmeistern des chinesischen Kaisers oder am Broadway – und auch ihre eigene. Was sie eint? Allesamt kommen sie aus der Westpfalz.
Musik erlebbar machen, eine Melodie aufschnappen und „frei Schnauze“ spielen. „Die neuen Wandermusikanten“, wie sie ihre siebenköpfige Bardie nannten, spielt heute Interpretationen bekannter Lieder, aber auch regionale Stücke. Eine Idee von Roland. „Wir sehen uns als Botschafter der Pfalz für diese Musiktradition“, erklären die Brüder. Bardie ist übrigens ein alter Begriff für Musikgruppe oder Band. Ein besonderes Erlebnis war die Konzertreise nach Brasilien, wo heute noch zahlreiche pfälzischstämmige Menschen leben. „Wir schlagen einen ähnlichen Weg ein wie die Wandermusikanten damals“, sagt Bernhard. Mit ihrer Musik möchten sie nicht nur erinnern, sondern auch Selbstbewusstsein geben. „Es ist doch etwas, worauf man hier in der Pfalz stolz sein kann“, findet er.
Mit der Bahn vom Musikantenland in die Welt
Hier, inmitten der Klosterruine Disibodenberg fühlen sich die Brüder der Geschichte besonders nah. „Nicht nur, dass aufgrund ihrer Historie eine solche Kraft von ihr ausgeht“, erzählt Roland. „Nein, auch weil dort unten die Bahnlinie entlangläuft, über die die Wandermusikanten früher in die Welt auszogen.“ Eine einmalige Bewegung, wie es sie sonst nirgendwo auf der Welt gab. Roland selbst wohnt hier inzwischen und begab sich vor kurzem auf eine Zeitreise. Gemeinsam mit zwei Jungs aus der Nachbarschaft, die bei ihm musizieren lernen, fuhr er mitsamt Instrumenten auf der geschichtsträchtigen Draisinenstrecke Richtung Kusel. „An verschiedenen Punkten machten wir Musik und es gab von zahlreichen Zuschauern Applaus und Spenden. Ein großartiges Erlebnis für die Jungs“, sagt er.
Wandermusikanten lernten in Schneckenhausen Instrumente
Ihr ganzes Leben dreht sich schon immer um die Musik. Aufgewachsen im westpfälzischen Schneckenhausen lernten sie Klavier, Posaune, Tuba und viele andere Instrumente. Bernhard hat dann Posaune studiert. Er hat Engagements in zahlreichen Sinfonieorchestern, ist selbst Dirigent und spielt in verschiedenen Jazzformationen. Ganz nebenbei arbeitet der Tausendsassa noch als Musiklehrer in Mannheim, beim WDR in Köln als Komponist für Kinderhörspiele, als Dozent verschiedener Institutionen und ist Präsident der Jeunesses Musicales Rheinland-Pfalz. Sein Bruder Roland studierte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Mannheim und spielt unter anderem beim Hessischen Staatsorchester Wiesbaden. Gemeinsam spielen sie bei den „Neuen Wandermusikanten“, mit der sie neben „gewöhnlichen“ Auftritten auch schon bei Empfängen in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz oder sogar in Berlin beim Sommerfest der Rheinland-Pfalz-Vertretung in den Ministerialgärten spielten. Im Vergleich zu den Wandermusikanten früher konnten die Brüder ihre Passion zum Beruf machen.
Der Kreis schließt sich für Bernhard Vanecek jedes Jahr mit dem Ethno-Camp auf der Burg Lichtenberg bei Kusel. Dort kommen viele Jugendliche aus aller Welt zum Musizieren zusammen. Gespielt werden Stücke aus aller Herren Länder, die nur vom Zuhören und nicht über Noten gemeinsam neu interpretiert werden. Bernhard, der das Ethno-Camp begleitet, ist begeistert: „Die Musikanten sind damals in die Welt ausgezogen und jetzt kommt die Welt ins Musikantenland. Ist das nicht toll?“ uck
Wandermusikanten
Der bayrische König machte die Wandermusikanten sogar zur Zunft. Wandermusikant wurde zum Beruf, den man erlernen konnte. „Die Pfalz war im 18. und 19. Jahrhundert ein gebeutelter Landstrich“, erklärt Bernhard Vanecek. Zum einen habe der Dreißigjährige Krieg selbst hunderte Jahre später seine Auswirkungen noch gezeigt, zum anderen sei die Pfalz Durchmarschgebiet der französischen Truppen gewesen. Armut grassierte in großen Teilen der Bevölkerung. „Die Musik wurde weniger aus der Passion heraus, sondern viel mehr zum Broterwerb gemacht“, fährt er fort. „Dazu muss man ja auch mal überlegen, wie in dieser Zeit Musik gehört wurde. Schelllackplatten oder Radios gab es ja noch lange nicht“, wirft Roland Vanecek ein. So zogen die Wandermusikanten aus, bewaffnet mit Notenpapier und Bleistift. Ein Ziel war zum Beispiel die Wiener Oper. „Was dort gespielt wurde, das waren sozusagen die Charts“, erzählen die Brüder schmunzelnd. Die Bardie, heute würde man Band sagen, saß im Publikum und schrieb die Melodie fleißig mit. Später ging es für viele Musiker in die Welt hinaus. Ob als erster Kapellmeister beim chinesischen Kaiser oder am Broadway in New York. Georg Drumm aus Erdesbach dürfte der berühmteste Wandermusikant sein. Er war nicht nur am Broadway, er komponierte auch „Hail America“, was bei offiziellen Anlässen und der Präsidentenvereidigung gespielt wird. uck
Autor:Dehäm Magazin aus Ludwigshafen | |
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