Vortrag im CCR zum Thema "Systemsprenger"
Suche nach neuen Lösungsansätzen

Prof. Dr. Menno Baumann von der Fliedner Fachhochschule in Düsseldorf war online zugeschaltet | Foto: Frank Schäfer
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Ramstein-Miesenbach. Corona-gerecht und in hybrider Form fand am 2. März im Congress Center Ramstein (CCR) eine Vortragsveranstaltung der Kreisjugendpflege zum Thema „Systemsprenger“ statt. Online zugeschaltet war Prof. Dr. Menno Baumann von der Fliedner Fachhochschule in Düsseldorf. Darüber hinaus war Julia Weidehase vom Landesjugendamt als Gastrednerin vor Ort und stellte Methoden und Möglichkeiten der Interdisziplinären Fallberatung vor. Silke Grandjean, Fachbereichsleitung Soziale Dienste, und Petra Brenk von der Kreisjugendpflege führten durch die Veranstaltung.

Von Frank Schäfer

Sie rasten ständig aus, schlagen um sich, greifen andere an, laufen weg, verletzen sich selbst oder drohen mit Selbstmord: Wer von „Systemsprengern“ spricht, meint intensiv zu betreuende Kinder und Jugendliche mit sehr komplexen Lebens- und Hilfegeschichten. Bei ihnen kommt das System der Erziehungshilfen an seine Grenzen. Sie scheinen durch keine pädagogische oder therapeutische Maßnahme mehr erreichbar zu sein. Für sie gibt es anscheinend keine geeigneten Hilfsmaßnahmen. Innerhalb des Systems finden sie keinen festen Ort, sondern werden permanent hin und her geschoben und erfahren dadurch immer wieder Bindungsabbrüche. Aufgrund ihres extremen Verhaltens wechseln sie zwischen Heimen, Pflegefamilien, Psychiatrien und landen nicht selten in der Obdachlosigkeit oder - wenn sie über 14 Jahre alt sind – im Jugendstrafvollzug.

Massive biografische Belastungen

Im Leben dieser jungen Menschen gibt es massive biografische Belastungen: Gewalt, Vernachlässigung und Traumatisierung, oftmals sind die Eltern psychisch krank oder suchtkrank. Diese Erfahrungen können dazu führen, dass ein Kind seine Umwelt als unberechenbar und gefährlich wahrnimmt und künftig auch allen anderen Menschen so begegnen wird. Wenn Jugendhilfeeinrichtungen oder Kliniken die Aufnahme ablehnen, steigt auch der Druck auf die zuständige Fachkraft im Jugendamt, da eine Unterbringungsmöglichkeit nicht in Sicht ist.

Ressourcen werden nicht erkannt

„Viele junge Menschen im Übergang zur Volljährigkeit verfügen über keinen Kontakt mehr zu gesellschaftlichen Institutionen. Das sind entweder Straßenkinder ohne festen Wohnsitz oder Kinder und Jugendliche, die einfach nur im Bett liegen und nichts mehr tun. Diese Menschen gehen uns verloren. Aufgrund ihrer herausfordernden Verhaltensweisen mussten sie aus verschiedenen Einrichtungen entlassen werden. Es sind Menschen, bei denen es den Institutionen nicht gelungen ist, Ressourcen zu finden. Das Problem ist in der Jugendhilfe omnipräsent“, berichtet Prof. Dr. Menno Baumann, der zu Intensivpädagogik, Soziale Arbeit mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendhilfe, an der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf lehrt. Er hat mehrere Fachbücher über „Systemsprenger“ geschrieben und ist bundesweit als Berater von Jugendhilfeeinrichtungen tätig.

„Der Begriff 'Systemsprenger' bleibt unbefriedigend, weil er inhaltlich unbestimmt ist. Er kann in der Schule etwas anderes bedeuten als in der Pflegefamilie oder in der Jugendhilfeeinrichtung. 'Systemsprenger' ist keine Persönlichkeitseigenschaft und erst recht keine Diagnose, sondern ein Interaktionsprozess. 'Systemsprenger' ist auch immer ein Phänomen der Ohnmacht der Helfenden“, so Prof. Dr. Menno Baumann. „Ich bin kein Verfechter einer regellosen Pädagogik. Es braucht in den Familien, Schulen und Einrichtungen einen Regelrahmen.“

Stärkung der Regelangebote

Prof. Dr. Menno Baumann zeigte auf, wie ein Hilfesystem aufgestellt sein muss, um auch intensiv zu betreuenden Kindern und Jugendlichen Unterstützung bieten zu können: „Ich plädiere für eine sehr, sehr starke regionale Jugendhilfe. Darüber hinaus brauchen wir für eine sehr kleine Gruppe von Menschen hoch spezialisierte Kompetenzzentren. Intensivpädagogische Angebote sind idealerweise konfliktsicher, deeskalierend und präsent. Traumasensible Ansätze sind wichtig und es muss Kontinuität vermittelt werden. Und natürlich ist auch der Wissenstransfer aus Wissenschaft und Forschung von großer Bedeutung“, so Baumann. „Die Arbeit mit diesen jungen Menschen ist und bleibt anstrengend, daher sind auch der (emotionale) Schutz und die Sicherung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr wichtig.“

Interdisziplinäre Fallberatung

Julia Weidehase vom Landesjugendamt stellte die Methoden und Möglichkeiten des Interdisziplinären Fallberatungsteams (InFaBeT) vor, das die Jugendämter in Rheinland-Pfalz bei der Arbeit mit „Systemsprengern“ unterstützt. Das Beratungsgremium besteht aus Vertretern der Jugendhilfeträger, der Kinder- und Jugendpsychotherapie sowie aus Vertretern der Wissenschaft und des Landesjugendamts.

Julia Weidehase vom Landesjugendamt stellte die Interdisziplinäre Fallberatung vor | Foto: Frank Schäfer
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Ziel ist es, durch ein tiefergehendes Fallverstehen Perspektiven und Sichtweisen zu eröffnen und dadurch die Handlungssicherheit zu erhöhen. Mit Hilfe von Chronologien lässt sich die Komplexität der Fälle veranschaulichen, für die die Beteiligten des Interdisziplinären Fallberatungsteams neue Handlungsmöglichkeiten und individuelle Lösungen erarbeiten.

„Es gibt keine Sofortlösung“, betont Julia Weidehase. „Es gilt: ohne Verstehen – kein Zugang. Wir gehen mit einem unvoreingenommenen Blick an einen Fall, betrachten sehr genau die Chronologie und schauen uns auch die familiären Hintergründe an. Die Perspektive des jungen Menschen muss dabei immer im Mittelpunkt stehen und darf nicht aus dem Blick geraten“, so Julia Weidehase. „Die Unterstützung durch das Interdisziplinäre Fallberatungsteam nehmen die Fachkräfte als äußerst hilfreich war.“

Kooperationen auf- und ausbauen

Therapeuten, Vertreterinnen und Vertreter von Schulen, Grundschulen, Kitas und Jugendhilfeeinrichtungen, die die Fachveranstaltung besuchten, hatten die Möglichkeit, Fragen zu stellen. In Form eines Arbeitskreises soll nun ein Netzwerk gebildet werden, um sich auszutauschen, Kooperationen auf- bzw. auszubauen und gemeinsam sinnvolle und praktikable Lösungen zu finden.

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Julia Weidehase vom Landesjugendamt stellte die Interdisziplinäre Fallberatung vor | Foto: Frank Schäfer
Autor:

Frank Schäfer aus Wochenblatt Pirmasens

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