Gedenkveranstaltung in Rockenhausen für die Opfer des Nationalsozialismus

Gedenktafel | Foto: Aydin/Nordpfälzer Land

Rockenhausen. Seit über 20 Jahren versammeln sich Ende Januar Menschen aller Generationen an der Gedenktafel im Hof des Rockenhausener Rathauses, um der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee der Sowjetunion und des Endes aller Konzentrations- und Vernichtungslager zu gedenken. In diesem Jahr wurde am Samstag, 27. Januar, der Männer, Frauen und Kinder aus der Nordpfalz gedacht, die der menschenverachtenden Vernichtungsmaschinerie des Nationalsozialismus zum Opfer fielen. Mit Kurzbeiträgen und Lesungen wollten die Veranstalter, zu denen die Verbandsgemeinde Nordpfälzer Land, die Stadt Rockenhausen, die Prot. Kirchengemeinde/Evangelische Erwachsenenbildung, die AG „Stolpersteine“ in der VG Nordpfälzer Land sowie der Arbeitskreis „Aktiv gegen Rechts“ im Donnersbergkreis gehören, insbesondere daran erinnern, dass mit den jüdischen Menschen wesentliche Teile der deutschen Kultur und kulturelle Beiträge einer hier beheimateten Bevölkerungsgruppe zerstört wurden - und fragten nach dem Vermächtnis aufgrund dieser Taten bis in unsere heutige Zeit.

Bürgermeister Michael Cullmann begrüßte zunächst alle Anwesenden und betonte in seiner Ansprache die Wichtigkeit solcher Gedenkveranstaltungen, denn „nie wieder“ sei jetzt. Dem diesjährigen Thema „Zerstörung jüdischer Kultur und deren Vermächtnis nach dem Holocaust“ entsprechend folgten informative und zugleich berührende Lesungen sowie Redebeiträge von Luise Busch, Ronny Hollstein, Lea Steinmetz und Ruprecht Beuter – mit musikalischen Intermezzi von Ruben Buschmeyer an der Trompete.

„Die Zerstörung jüdischer Alltagskultur“ behandelte Ronny Hollstein in seinem Beitrag, der unter anderem einen Einblick in die Gebräuche und Riten jüdischer Feiertage wie „Schabbat“ oder „Pessach“ gewährte. Lea Steinmetz listete vor allen Anwesenden „die Zerstörung des Gedankenguts jüdischer Mitmenschen“ durch den Verlust von bedeutenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Künstlerinnen und Künstlern wie Walter Benjamin, Janusz Korczak, Elise Richter, Viktor Ullmann, Charlotte Salomon, Otti Berger, Max Ehrlich und Selma Merbaum auf – allesamt Opfer des Nazi-Regimes.

„Sechs Millionen Menschen, so sagt die Statistik, sind durch den Nationalsozialismus vernichtet worden“, erinnerte an diesem Abend auch Luise Busch in ihrer Rede an die schrecklichen Gräueltaten und den damit einhergehenden immensen kulturellen Verlust. „Synagogen prägten vielerorts das Stadtbild und Kultgegenstände wie die Thora oder der Siebenarmige Leuchter waren wertvolle und kostbare sakrale Kunstgegenstände. In jüdischen Wohnungen befanden sich Kunstwerke von bedeutenden Künstlern und von hohem Wert. All das wurde am 9. November 1938 und auch später durch die rassenwahnsinnigen nationalsozialistischen Schergen verbrannt, zerstört, vernichtet.“ Unsagbar größer aber als der unwiderrufliche materielle private Verlust in den Häusern der Gemeinden und die Zerstörung aller öffentlichen jüdischen Kultur sei aber der Verlust durch die Vernichtung der vielen Menschen. „Sie waren durch ihre Berufe, durch ihre Fähigkeiten und ihr Können, durch ihre Dienstleistungen in vielen Bereichen der Gemeinschaft, durch ihr gesellschaftliches Engagement eine Bereicherung überall dort, wo sie in der dörflichen oder städtischen Gemeinschaft lebten. So viele materielle und immaterielle Schätze gingen durch brutale Vernichtung und erzwungene Abwanderung unserem Land verloren. Welch ein Verlust für Deutschland!“

Ruprecht Beuter verdeutlichte ebenfalls in seinem Vortrag über die „Erbstücke und Vermächtnisse jüdischer Kultur nach dem Holocaust“ die unendlich vielen Beiträge jüdischer Menschen in der deutschen Kultur, die jedoch noch viel zu selten in der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen werden würden. „Die Reduzierung auf Holocaust und auf Schtetl und auf Ghettos wird dem Judentum in keiner Weise gerecht. Diese Tatsache ist auch Teil des Problems heutiger Diskriminierung“, so Beuter. Als wichtige kulturelle Leistung seien viele jiddische Wörter und Redewendungen für die deutsche Sprache eine Bereicherung und aktiv im Gebrauch, wie etwa Tacheles, Zores, Schlamassel oder schmusen. Auch die Fragen „bewahren, hoffen und lieben nach Ausschwitz?“ sowie „nach Auschwitz an Gott glauben?“ und „Antisemitismus / Philosemitismus“ thematisierte Beuter im Zusammenhang mit dem Erbe und Vermächtnis jüdischer Kultur nach dem Holocaust und schlug dabei den Bogen zur heutigen Zeit: „Das macht mir Sorge und beschämt mich zutiefst: jüdische Bürgerinnen und Bürger in unserem Land fühlen sich zunehmend durch wachsenden Antisemitismus bedroht: in Deutschland, in Europa, weltweit. Das alte Versprechen nach Holocaust und Zweitem Weltkrieg, Nie wieder!„ muss aktualisiert werden: 'Nie wieder! - ist jeden Tag!„. In den vergangenen Tagen und auch an diesem Wochenende haben zigtausende Bürgerinnen und Bürger demonstrierend gezeigt, wie wichtig ihnen der entschlossene Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus ist.“

Gemeinsam und öffentlich Zeichen setzen, „gedenken“ und erinnern – „dies tun wir, damit es hier und heute nicht in die falsche Richtung läuft. Die steigende Zahl von Anschlägen auf Gedenkstätten zeigt, dass die Forderung verstörender Rechtsaußen nach einer anderen Erinnerungskultur salonfähiger wird“, mahnte Bürgermeister Cullmann in seiner Rede. „Die Meinungen und Pläne, die in der letzten Woche aufgedeckt wurden, sind ein weiteres Indiz für die Gefahr, in der nicht nur unsere Demokratie ist, sondern auch Menschen sind.“ Damit es nicht wieder so weit komme, müsse man gefährlichen Entwicklungen rechtzeitig entgegentreten, so Cullmann. „Hier und jetzt, öffentlich und an der Wahlurne, jeder, der ein Gewissen hat.“

Denn „Nie wieder!“ – ist jeden Tag, ist jetzt.

Sonderausstellung: Bis Ende Juni wird sonntags und donnerstags jeweils von 14.30 bis 17.30 Uhr der Nordpfälzer Geschichtsverein im Nordpfälzer Heimatmuseum, Bezirksamtsstraße 8, 67806 Rockenhausen, eine Ausstellung des Jüdischen Museums Nordpfalz (Winnweiler) zeigen. Zu sehen sind Aufnahmen der Fotografin Sandra Hölker aus Dörnbach von Grabsteinen jüdischer Friedhöfe und Erläuterungen zu Bestattungsriten aus dem Bereich der VG Nordpfälzer Land.red

Autor:

Karin Hoffmann aus Ludwigshafen

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