Gewohnheiten vor etlichen Jahren:
Spucknäpfe an allen Stellen
Waghäusel. Um ein, wie es hieß, „diszipliniertes Spucken“ zu ermöglichen, standen vor über 100 Jahren überall Spucknäpfe herum: in Schulen, in Krankenhäusern, in Gastwirtschaften, bei Frisören, vor Kirchen, in den Zigarrenfabriken.
Einige Hintergründe zu den aus heutiger Sicht seltsamen und ekeligen Gewohnheiten und Gepflogenheiten hat der Vorsitzende des Heimatvereins Wiesental, Hans Peter Hiltwein, erforscht und die Ergebnisse zusammengetragen:
Um 1890 zeigte sich - durch detaillierte Erhebungen der praktizierenden Ärzte und der Betriebskrankenkassen - bei den Beschäftigten der Zigarrenbranche eine erhöhte Häufigkeit der „Lungenschwindsucht“ (Tuberkulose). Als Ursache vermutete man den Tabakstaub, der bei der Fertigung der Zigarren entstand.
Aus diesem Grund wurden für Neubauten von Fabriken zur Zigarrenherstellung je Arbeitskraft der Mindestluftraum von sieben auf zehn Kubikmeter erhöht, eine Deckenmindesthöhe von drei Meter festgelegt und das Anbringen von Wascheinrichtungen vorgeschrieben.
Um die Ansteckungsgefahr durch Bronchialkrankheiten und Tuberkulose zu verringern, führte die Badische Fabrikinspektion einen zusätzlichen Paragraphen 37 in die Fabrikordnungen ein.
Dort steht:
„1. Die Arbeiter dürfen nicht auf den Boden ausspucken;
2. die Arbeiter dürfen die Zigarren nicht mit dem Mund bearbeiten;
3. die Arbeiter, welche trotz wiederholter Warnung den vorstehend bezeichneten Bestimmungen zuwiderhandeln, werden vor Ablauf der vertragsgemäßen Zeit und ohne Kündigung entlassen.“
Ja, das Ausspucken auf dem Boden war früher eine weit verbreitete Unsitte. Die Behörden forderten deshalb die Aufstellung von Spucknäpfen. In einem Schreiben der Großherzoglichen-Badischen Fabrikinspektion vom 20. Februar 1905 an einen Fabrikanten in der Region erging folgende Anweisung:
„Für je 10 Personen ist in dem Arbeitsraum ein Spucknapf aufzustellen, welcher täglich gereinigt und mit frischem Wasser gefüllt werden muss. Es empfiehlt sich, die Näpfe auf circa einen Meter vom Fußboden entfernte Konsolen, welche an geeigneter Stelle der Wände oder an den Köpfen der Arbeitsplätze angebracht werden, aufzustellen. Frist 2 Wochen.“
Soweit einige interessante Details aus den Unterlagen des Heimatvereinsvorsitzenden.
(Wenn das Museum nach Corona wieder geöffnet hat, kann der Spucknapf besichtigt werden.)
Autor:Werner Schmidhuber aus Waghäusel |
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