Alltagsrassismus in Deutschland
Ein Mensch als störendes Objekt
Heidelberg (hb). Seit sieben Jahren lebt Lisette Chokonthe Monthe in Deutschland, seit sechs Jahren studiert sie Medizin an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Sie hat viel Schönes erlebt in dieser Zeit, enge Freundschaften haben sich entwickelt. Doch die 25-Jährige hat an ihrem Gastland auch eine Schattenseite entdeckt: Alltagsrassismus. Immer mal wieder trifft sie auf Menschen, die ihr gegenüber negativ eingestellt sind, die sie ignorieren oder gar beleidigen. Und das nicht wegen einer unpassenden Bemerkung oder politischer Ansichten, sondern wegen ihrer Hautfarbe. Die Kamerunerin fühlt sich in solchen Fällen ausgegrenzt, als Dunkelhäutige reduziert auf ihr Aussehen.
Der Freundeskreis des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) hat im Zuge der Rassismusdebatte nach dem schockierenden Verbrechen am US-Amerikaner George Floyd bereits Stimmen aus aller Welt gesammelt und bietet an dieser Stelle nun auch Lisette Chokonthe Monthe eine Plattform. Sie hat sich besonders viele Gedanken gemacht und möchte mit der Schilderung ihrer persönlichen Sichtweise dazu beitragen, dass Menschen ihr eigenes Verhalten reflektieren und zugleich sensibilisiert werden für ein alltägliches Problem, das vielen hierzulande kaum bewusst sein dürfte.
Wie schrieb schon Marcel Proust vor rund einem Jahrhundert in seinem Hauptwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“:
„Die einzige wahrhafte Reise (…) ist es nicht,
zu neuen Landschaften aufzubrechen, sondern (…)
das Universum mit den Augen eines anderen zu sehen.“
------------------------------------------------------------------
Von Lisette Chokonthe Monthe, Kamerun
Wenn es keinen Rassismus gäbe, würden wir nicht über George Floyd in der Vergangenheit reden. Wenn es keinen Rassismus gäbe, würden wir nicht über den Tod von Breonna Taylor reden.
Wenn es keine Ungleichheit und auch Rassismus gäbe, würden die einen die anderen nicht als Sklaven nehmen.
Wenn es keinen Rassismus gäbe, würden wir keinen Krieg haben. Wir würden uns lieben, wir als Menschen. Erst wahrnehmen wie die wirklich sind, bevor man entscheidet, ob man sie liebt oder nicht. Man würde jeden respektieren für seine Menschlichkeit - und weil wir gleich sind.
Wir sind eins, nur unterschiedliche Farben. Wir atmen alle und brauchen allen Sauerstoff zum Leben. Wir laufen alle auf zwei Füßen, warum sollten wir uns nicht lieben? Warum denkst du, dass du besser bist, nur weil du weiß bist? Was ist „weiß“? Was ist „schwarz“? So wie Kleidung ganz unterschiedliche Farben und Schattierungen hat, so haben Menschen auch ganz unterschiedliche Farben. Wir sind nicht alle „weiß“ oder „schwarz“.
Warum solltest du mich also hassen? Ist dein Blut rot und meines anders? Nein. Atmest du Sauerstoff ein und Kohlendioxide aus? Ja. Aber das mache ich auch. Bist du intelligenter? Denke ich nicht. Bist du reicher? Es hängt davon ab, was man als Reichtum definiert. Bist du besser als ich? Was machst du besser als ich? Warum solltest du mich hassen, ohne mich zu kennen?
Diese kleine Geschichte erzählt ein paar Geschehnisse, die uns als afrikanische „Schwarze“ vor allem betreffen. Rassismus existiert und zwar in unterschiedlichen Formen. In fast alle Schichten der Gesellschaft gibt es Rassismus. Ein paar Leute verhalten sich rassistisch, ohne dass man es wirklich auf Anhieb begreifen kann. Das nenne ich passiven Rassismus.
Ich kam mit 18 Jahren nach Deutschland. Ich bin in Kamerun geboren und da auch aufgewachsen. Uns wurde immer zuhause gezeigt, unsere Mitmenschen so zu lieben wie uns selbst. Eigentlich steht es in der Bibel auch so geschrieben. Viele von uns wachsen mit dieser Ideologie auf. Ich absolvierte damals die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang in einem sehr kleinen Dorf im Thüringen. Wir hatten da einen rassistischen Jungen, der etwas gegen Dunkelhäutige hatte, aber weil wir mindestens acht in diesem Kurs waren, war uns das egal. Im September 2014 fing ich mit dem Studium an. Da wurde mir bei der Begegnung mit manchen Leuten wieder klar: Du bist schwarz, du bist anders, du bist blöd, wir wollen nichts mit dir tun haben. Die brauchten es nicht zu sagen, die Geste, das Benehmen zeigte es mir. Ich wurde von denen ständig ignoriert.
Viele Leute in Deutschland reden nicht über das Thema. In Deutschland gibt es keine Rassisten, denken die. Aber lasst euch sagen, dass das nicht wahr ist. Man trifft „Dummies“, wie ich die jetzt einfach mal nenne, immer mal wieder, in der Bahn, auf der Straße und bei der Arbeit. Es geht um Mikro-Aggressionen wie solche Fragen: Wie bist du hier hergekommen? Hattest du im Wald gewohnt? Bist du mit dem Boot hier gelandet? Ihr wart bestimmt sehr arm da, deswegen kamst du nach Deutschland - für bessere Chancen! Ich denke, ich verschönere die Fragen schon. Viele von denen werden aus Neugier gestellt, was nicht schlecht ist, aber die Intonation, mit der sie häufig gestellt werden, lässt mich nachdenken, warum ich wirklich gefragt werde. Der Ton macht die Musik.
Zurück zu meiner Geschichte. Ich war oder bin ein sehr schüchterner Mensch. Deswegen hatte ich mir immer Vorwürfe gemacht, denn niemand will eine in der Gruppe, die langweilig ist. Ich hatte versucht mich zu verbessern, aber es gab immer noch keinen Unterschied. Versteht mich nicht falsch: Es gibt da draußen viele Menschen, für die die Rasse und Farbe keine Rolle spielt. Die habe ich auch gefunden, und ich bin Gott dankbar, solche Menschen getroffen zu haben. Es macht das Leben hier einfach schöner. Aber vor allem am Anfang des Studiums fühlte ich mich oft nicht zugehörig. Auch in der Gruppe, der mich die Universität zugeteilt hatte, hatte ich immer wieder Gefühl, das etwas nicht stimmt. Aber wer war ich, um etwas zu sagen? Es war anstrengend, zweimal in der Woche in der Gruppe zu sitzen und von einigen offen ignoriert zu werden. Es war schmerzhaft, es gab Phasen des Weinens. Dann habe ich andere Afrikaner, die vor mehreren Jahren in Deutschland gelebt oder studiert hatten, gefragt, wie es bei denen war.
Hier eine der Antworten: „Ich erinnere mich einmal an der Uni als einziger Afrikaner in dem Hörsaal fast allein in einer Reihe gesessen zu haben. Einmal kam ich ein bisschen spät und saß nahe bei jemanden, der dann aufstand und wegging. Zwei weitere nach ihm machten das gleiche. Also gab es jetzt mindestens drei freie Stühle zwischen uns. Ich dachte mir, vielleicht stinke ich. Ich ging auf die Toilette, es gab nichts. Meine Hautfarbe war das Problem. Es war schwer. Ich hatte niemanden in der Gruppe, aber diese Erfahrung hat mich auch sehr gestärkt, weil ich mich irgendwann entschieden habe alle Hausarbeiten und Laborarbeit alleine zu machen. Es war hart, aber ich bin froh, dass ich es gemacht habe. Es wird noch oft so sein, aber du sollst taffer sein. Es wird vielleicht auch Tage geben, an denen deine Arbeit bezweifelt wird von deinem Dozenten. Du darfst aber niemals aufgeben. Vertrau dir, nimm alles, was kommt, als Herausforderung und zeige den Leuten durch deine Arbeit etwas anders. Du wirst zwar deine Farbe nicht ändern, aber dein Name wird dir Türen öffnen, sobald du es an die Spitze geschafft hast.“
Solche Antworten oder ähnliche bekam ich von acht verschiedenen Leuten, die an acht unterschiedlichen Orten studiert hatten. Sie alle hatten fast die gleichen Erlebnisse, allein zu sein, allein in der Gruppe, oft ignoriert zu werden. Man hat keine Stimme, einige wollen die dunklen Flecken einfach nicht haben oder ihnen nahe sein. Oh ja, ich habe Flecken gesagt, denn wir werden von diesen Leuten nicht mehr als Menschen wahrgenommen, sondern als störende Objekte. Solche Geschichten erleben fast alle, wenn nicht sogar alle, Dunkelhäutigen an Deutschlands Hochschulen und Universitäten - in einem Land, in dem es aus der Sicht vieler keinen Rassismus gibt.
Wenn ich über all die rassistischen Erfahrungen, die ich erlebt habe oder mitbekommen habe, erzählen würde, würde ein ganzes Lehrbuch entstehen. Rassismus wird vermittelt, er wird Kindern beigebracht. Niemand wird rassistisch geboren, man erlernt es. Ein Kind in der Straßenbahn, das mich sieht, merkt, ich siehe anders aus als sie oder er. Aber erst das Benehmen der Eltern mir gegenüber lehrt dem Kind, mich entweder als normal oder als Feind wahrzunehmen. Außerdem spielen die Medien eine sehr große Rolle da. Wenn ich Werbung anschaue über Afrika: Da wird Afrika nicht selten als ein zusammenhängendes Land präsentiert, und dann sieht oftmals alles dort schlecht aus - das sind Arme, die vom Westen Spenden brauchen, damit sie leben können. Sie benutzen dann Bilder von Kindern (keine Ahnung, wie alt die Bilder sind und ob die Kinder oder deren Eltern es erlaubten, ihr Gesicht für die Kampagne zu nutzen), die zu sagen scheinen: Oh je, die sind der Gott, der uns retten würde! Und das beeinflusst sehr, wie wir Dunkelhäutige hier wahrgenommen werden, vor allem wenn es im Ohr von Leuten landet, die niemals gereist oder in einem Land Afrikas waren. Dabei sind wir im 21. Jahrhundert, man braucht gar nicht nach Afrika zu reisen, um vieles über die Länder dort zu lernen: über das Leben, über die Leute, die Kulturen, die Religionen etc. Alles steht im Internet, auf Google, in Blogs etc.
Ich denke, die Tatsache, dass manche unserer Medien uns die westlichen Länder als „paradiesisch“ präsentieren, hat auch einen großen Einfluss auf unserer Einstellung, wenn wir hier ankommen. Wir kennen anscheinend schon das Gefühl mit „Weißen“ zu leben, „weiß“ zu sein. Alles ist sauber, Geld hängt an den Bäumen, alles ist gut strukturiert, gute Infrastruktur usw. Umgekehrt zeigen manche Medien hier den Kontinent Afrika sehr oft negativ: Drogen, Kinder auf die Straße, Betrug, Diebstahl, Korruption, Mangelernährung, Leben in der Wildnis, usw…
Jedes Mal, wenn ich diese Bilder sehe, habe ich nur den Drang meine Wahrheit, meine Geschichte zu erzählen, wie es wirklich ist, ohne „Bias“. Ich will, dass die Leute, die nicht googeln wollen, wissen, wie schön mein Land ist, wie schöne andere Länder Afrikas sind. Ich will über die Kultur, das Essen, die Tradition, den Glauben etc. reden. Ich will über die Leute reden.
Ich bin der Meinung, die Feindseligkeit würde sich auch ändern, wenn wir die anderen genauer kennen würden!
Deswegen bin ich sehr froh über die aktuellen Entwicklungen. Zum ersten Mal in den sieben Jahren, die ich nun hier lebe, höre ich sehr viele Leute offen über Rassismus sprechen - ohne Scheu, ohne Angst. Jetzt wird auch unsere Stimme gehört und nicht ignoriert. Jetzt dürfen wir auch sehr laut schreien: Wir sind Afrikaner und froh, und wir werden es für immer bleiben. Ich bin zwar Afrikanerin, aber ich bin auch ein Mensch, und du solltest mich als solchen wahrnehmen, egal woher ich komme, was meine Religion ist usw…
Hoffentlich werden wir uns gegenseitig lieben.
Hoffentlich wird sich auch politisch viel ändern, damit administrativer Rassismus nicht mehr fortschreitet.
Hoffentlich wird die Geschichte des Kolonialismus in Schulen gelehrt mit dem Ziel noch immer bestehende koloniale Mentalitäten zu ändern.
Hoffentlich wird es Strafen geben gegen verbalen Rassismus, rassistische Beschimpfungen.
Hoffentlich werde ich nicht mehr hören, dass ein dunkelhäutiger Mensch angegriffen wurde von Leuten oder sogar der Polizei, nur weil sie/er „schwarz“ ist. So etwas sollte es im 21. Jahrhundert nicht mehr geben!
Autor:Henning Belle aus Wochenblatt Rhein-Neckar |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.