Matti Hemberger geht seinen eigenen Weg. Student Hani Ayache, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Lebenshilfe Südliche Weinstraße, trainiert mit ihm immer neue Herausforderungen des Alltags.
Zwischen Mathe und Mark Forster

Durchblick: Matti Hemberger kommt gut zurecht. Student Hani Ayache, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Lebenshilfe Südliche Weinstraße, begleitet ihn regelmäßig und trainiert mit ihm unterschiedliche Alltagssituationen.  | Foto: Lebenshilfe Südliche Weinstraße/Christmann
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  • Durchblick: Matti Hemberger kommt gut zurecht. Student Hani Ayache, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Lebenshilfe Südliche Weinstraße, begleitet ihn regelmäßig und trainiert mit ihm unterschiedliche Alltagssituationen.
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Gleis 5. Matti Hemberger ist sich sicher. Er hat recherchiert. Mit einer Smartphone-App. „Um 15:41 Uhr fährt unser Zug“, sagt der 18-Jährige. Zielstrebig erklimmt er die Treppen der Unterführung am Landauer Hauptbahnhof. Der junge Mann aus Annweiler hat Trisomie 21. „Ich möchte mein Leben selbst bestimmen. Unabhängig sein: Das ist sehr wichtig für mich.“

Wenn sich Matti Hemberger etwas vorgenommen hat, zieht er es durch. Das verrät auch ein Blick in seine Sporttasche. An diesem Abend im Oktober steht Judo-Training auf dem Programm. Vor zehn Jahren hat er sich für diesen Sport entschieden. Inzwischen trägt er den blauen Gürtel. In wenigen Wochen steht die Prüfung für den braunen Gürtel an. Darüber gibt es nur noch die Meistergrade des schwarzen Gürtels. Außerdem ist Matti im Fußball- und im Tischtennis-Verein. „Manchmal schwimme ich auch“, ergänzt der sportbegeisterte Schüler. Matti Hemberger geht in die 12. Klasse. Er ist Teil des Abschlussjahrgangs der Außenstelle der Paul-Moor-Schule, die nur wenige Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt liegt. Den Weg dorthin und zurück nach Annweiler, wo er mit seiner Mutter lebt, meistert er mühelos.

„Ein Mensch mit Trisomie 21 ist in erster Linie ein Mensch. Deshalb sollte man seine Wünsche und Entscheidungen ernst nehmen und ihn nicht wie ein Kind behandeln“, betont Nicole Hemberger. „Mir war es schon immer wichtig, Matti zu fordern und ihn mit neuen Situationen zu konfrontieren. Er soll einen Plan B haben – ganz gleich, worum es geht.“

Was tun, wenn der Zug ausfällt? Wo ist der nächste Geldautomat und wie kann ich dort Geld abheben? Was muss ich einkaufen, wenn ich eine Gemüsepfanne mit Nudeln kochen möchte? Damit der Südpfälzer Routine darin bekommt, unterschiedlichste Alltagssituationen zu bewältigen, ist er regelmäßig mit Hani Ayache unterwegs. „Was wir an einem bestimmten Tag machen, entscheiden wir zusammen. Es hängt auch davon ab, wie ich mich gerade fühle“, sagt Matti Hemberger. „Wir verbinden gemeinsame Aktivitäten mit pädagogischen Inhalten“, berichtet Hani Ayache. Der 26-Jährige studiert in Landau Lehramt an Förderschulen. Aktuell schreibt er an seiner Bachelorarbeit. Einmal pro Woche trifft er sich für etwa fünf Stunden mit dem Schüler. Pausen und Wartezeiten nutzen die beiden für Denkaufgaben. Mathe ist Mattis Lieblingsfach. Darum steht Kopfrechnen hoch im Kurs. Auch „Stadt, Land, Fluss“ gehört zu den Favoriten.

„Rhein, Donau, Queich.“ Unterwegs zählt Matti Hemberger Flüsse auf. Bevor es zurück zu Gleis 5 geht, „parkt“ der 18-Jährige seine Sporttasche. Noch viereinhalb Stunden bis zum Judo-Training. Damit er angemessen gestärkt ist, soll es später Kürbissuppe und Vollkornbrot geben. Die Suppe hat Hani Ayache selbst gekocht – mit Hokkaido-Kürbissen aus eigenem Anbau. „Gesunde Ernährung ist sehr wichtig“, weiß Matti Hemberger. „Limo und anderes Zuckerzeug trinke ich kaum. Ich mag sehr gerne Apfelschorle. Einmal im Monat gönne ich mir dafür eine Döner-Box.“

Der Schüler zieht die Maske über Mund und Nase. Dann drückt er den grünen Knopf. Zischend öffnen sich die Flügel der Zugtür. Matti Hemberger bahnt sich den Weg zu zwei freien Sitzplätzen. Hani Ayache folgt ihm und setzt sich neben ihn. „81 durch 27. Plus 12. Dann mal 6.“ Also wieder Kopfrechnen. Wer die beiden Männer zusammen sieht, könnte meinen, dass sie seit vielen Jahren gemeinsam Zeit verbringen. Dabei kennen sie sich erst seit wenigen Monaten. „Ein echter Glücksfall“, bestätigt Mattis Mutter Nicole Hemberger.

„Im Juni bin ich über einen Studienfreund auf den Fachdienst für Assistenz und Teilhabe der Lebenshilfe Südliche Weinstraße aufmerksam geworden“, erinnert sich Hani Ayache. Nur zwei Tage später traf er sich zu einem Gespräch mit Koordinationsfachkraft Fabian Hirschinger von der Lebenshilfe. Bald darauf verabredeten sich der Student und der Zwölftklässler in einem Café zum ersten Kennenlernen. Seither ist zwischen ihnen ein intensives Vertrauensverhältnis gewachsen.

„Wir agieren gewissermaßen als Vermittler für Assistenz, Begleitung und Betreuung“, erläutert Andreas Knüdel, Leitung Fachdienst für Assistenz und Teilhabe bei der Lebenshilfe Südliche Weinstraße. Insgesamt sind 350 ehrenamtliche Mitarbeiter im Einsatz. Manche von ihnen sind Fachkräfte. Zu den Einzelbegleitungen kommen Gruppenangebote sowie die Schul- und Kindergartenbegleitung hinzu. Die Nachfrage ist hoch. „Meist geht es um kürzere Einsätze mit einer durchschnittlichen Dauer von zwei Stunden pro Woche“, führt Andreas Knüdel aus. „Ob Kinderbetreuung im heimischen Umfeld oder Begleitung auf dem Spielplatz: Die Einsätze sind sehr vielfältig und ermöglichen eine abwechslungsreiche Tätigkeit.“

Gerade für jüngere Menschen wie Hani Ayache hat ein solches Engagement große Vorteile: „Während meines Bundesfreiwilligendienstes habe ich Erfahrungen in einer Förderschule gesammelt. Wenn ich Matti begleite, kann ich das theoretische Wissen aus meinem Studium hervorragend in den Alltag integrieren. Darüber hinaus kann ich meine Zeit frei einteilen. Auch die Bezahlung ist gut.“

Regelmäßig tauscht sich der Student mit Nicole Hemberger über Erfahrungen und Ziele aus. Die Termine für die Treffen stimmt er per Kurznachrichtendienst auf dem Smartphone direkt mit Matti ab. Manchmal steht dabei auch die Musik im Vordergrund – eine weitere Leidenschaft des Schülers. „Ich bin ein großer Fan von Moses Pelham. Anfang März war ich noch auf einem Konzert von ihm“, sagt Matti Hemberger. „Aber ich bin offen für viele Musikrichtungen.“ Der 18-Jährige singt gerne und beteiligt sich in der inklusiven Band, die Lebenshilfe Südliche Weinstraße, Universität Koblenz-Landau und Kreismusikschule Anfang 2020 gemeinsam ins Leben gerufen haben. Auch Mark Forster ist eines seiner Vorbilder. Zusammen mit Hani Ayache, der Gitarre spielt, hat Matti Hemberger schon den Superhit „Bauch und Kopf“ des aus Kaiserslautern stammenden Sängers einstudiert.

Der junge Mann, der an diesem regnerischen Herbsttag eine Lederjacke trägt, weiß, was er will. Und was er kann. Bewusst übernimmt er Verantwortung: „Zuhause ist es wie in einer WG. Meine Mum und ich teilen uns die Aufgaben täglich auf. Am liebsten mache ich die Wäsche. Ab und zu koche ich auch.“ Darüber hinaus macht Matti Hemberger ein Schulpraktikum bei der Firma Hammann GmbH. Er ist in der Produktions- und Forschungshalle in Landau im Einsatz. Das Unternehmen mit Sitz in Annweiler ist auf die nachhaltige Reinigung von Rohrleitungssystemen spezialisiert. Seit einem zweiwöchigen Praktikum im Sommer arbeitet Matti drei Tage pro Woche dort: „Ich helfe, wo ich gebraucht werde. Das macht großen Spaß. Geschäftsführer Hans-Gerd Hammann hat mir angeboten, dass ich nach der Schulzeit in der Firma anfangen kann, zu arbeiten.“ Das Angebot kam nach dem Praktikum im Sommer. Es machte Matti Hemberger und seine Mutter sehr glücklich. „Auf jeden Fall möchte ich dort arbeiten gehen“, betont der Schüler. „Jetzt wird es aber erstmal Zeit für ein warmes Getränk!“ Er deutet nach oben auf die Anzeigetafel des Abteils: „Nächster Halt: Annweiler.“

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Autor:

Dennis Christmann aus Offenbach

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