Kiwanis Club Bruchsal
Wahrheit und Recht - ein Gegensatz?
Am 19.01.2021 hielt Herr Dr. Peter Wessels, Rechtsanwalt beim BGH, bei einem virtuellen Meeting des Kiwanis Clubs Bruchsal einen Vortrag zum Thema „Wahrheit und Recht – einige Gedankensplitter“.
„Wahrheit und Recht“ – so der Referent einleitend – klinge bisweilen nach einem Gegensatzpaar. Bei der Rechtsanwendung zähle, wie schon der Volksmund mit seiner Unterscheidung zwischen „recht haben“ und „Recht bekommen“ ahne, oft nicht das Wahre, sondern das Beweisbare. In der Rechtsetzung habe nach Ansicht von Rechtstheoretikern der Wahrheitsbegriff schon gar nichts zu suchen: Im Norm¬bereich gehe es nicht um Wahrheit, sondern nur um Geltung. Andererseits stehe die berühmte Pilatusfrage „Was ist Wahrheit?“ (Joh 18,38) gerade im Zusammenhang mit der Rechtsfindung. Das könne als Indiz dafür herhalten, dass Wahrheit und Recht offenbar doch mit¬einander zu tun hätten, und zwar sowohl bei der Rechtsanwendung als auch bei der Rechtsetzung.
Der Referent illustrierte anhand von Beispielen aus dem Zivil- und Strafrecht, welche Rolle die Wahrheitsfrage bei der Rechtsanwendung spielt. Ein gerechtes Urteil beruhe auf rechtsstaats¬gemäßer Wahrheitsermittlung. Diese möge bisweilen umständlich erschei¬nen und berge auch die Möglichkeit, dass ein Schul¬diger freigesprochen werde. Doch gebe es zur rechts¬staatsgemäßen Wahrheitsermittlung keine vernünftige Alternative.
Die Pilatusfrage „Was ist Wahrheit?“ ziele aber nicht nur auf Tatsachenwahrheit. Mit ihr werde auch nach sittlicher Wahrheit gefragt, also danach, was zeitlos als richtig gelten könne. Das führe zu der Frage, wie sich diese höhere Gerechtigkeit (wenn es sie gebe) zu Gesetz und Recht verhalte. Der Referent machte deutlich, dass viele Vorstellungen von Moral und Gerechtigkeit historisch-relativ, also zeitgebunden sind. Der demokratische Verfassungsstaat sei zu Recht skep¬tisch gegenüber absoluten Wahr¬heiten, auch gegenüber angeblich allgemeingültigen „Werten“, und weltanschaulich neu¬tral. Doch gebe es übergesetzliche Fundamentalnormen (gleichsam na¬tur¬rechtliche „rote Linien“), die kein Gesetz außer Kraft setzen könne, ohne seine Rechtsqualität zu verlieren. Extremes gesetzliches Unrecht sei kein Recht. Die Rechtsprechung habe auf dieser Grundlage etwa NS-Gewaltverbrecher, aber auch Mauerschützen und deren Hin¬ter¬männer verurteilt. Schließlich solle man bei aller Zeitgebundenheit vieler Gerechtigkeitsvorstellungen auf den geschichtlichen Saldo schauen: Letztlich liege wohl auch in der mangelnden Nachhaltigkeit des Ungerechten die Wahrheit des Rechts.
Autor:Theo Zimmermann aus Bruchsal |
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