Ihrer Magie beraubt
Die Frau ohne Schatten an der Deutschen Oper Berlin

Foto: Matthias Baus

Die jüngste Aufführung von Richard Strauss’ Die Frau ohne Schatten am 08. Februar 2025 an der Deutschen Oper Berlin offenbart eine eigentümliche Spaltung zwischen musikalischem Hochgenuss und szenischer Zerstreuung: Auf der einen Seite thront ein orchestrales Wunderwerk, das Sir Donald Runnicles mit bestechender Meisterschaft entfaltet – auf der anderen Seite steht eine Regiehandschrift von Tobias Kratzer, die in ihrem konsequenten Realismus dem poetischen Zauber des Werks bemerkenswert zuwiderläuft. Gleichwohl gerät der Abend nie ins Belanglose; vielmehr verschmelzen Höhepunkte musikalischer Dramatik mit durchaus packenden, wenn auch der Musik undienlichen, Regieeinfällen. Vielmehr wird die Oper ihrer Magie beraubt.

Bereits in den ersten Takten wird deutlich, dass das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Runnicles’ präziser und zugleich beseelter Leitung zu einer grandiosen Synthese aus penibler Werktreue und leidenschaftlicher Emphase findet. Der Dirigent beherrscht jenes feine Führen zwischen kraftvoller Eruption und introvertierter Zurücknahme auf einer Ebene, die man nur selten erlebt. Es blühen die Streicher in Soli von geradezu ätherischer Anmut auf, während die Blechbläser, untermalt von behutsam gestaffelten Nuancen, eine meisterhafte Spannungsdichte erzeugen. Immer wieder überrascht Runnicles durch feinste dynamische Abschattierungen – ein hochsensibles Dirigat, das Mechanik und Gefühl in wunderbar kongenialer Balance hält. Gerade wenn man glaubt, das Orchester sei in den zarteren Momenten bereits bis an die Grenzen seines Ausdrucks gegangen, folgt eine kontrastreiche Explosion, die epochalen Klang verströmt, ohne je aufdringlich zu werden. Diese Sogkraft ist für ein Werk wie Die Frau ohne Schatten, dessen Partitur extreme Wechsel zwischen fast kammermusikalischer Intimität und klanglichem Superlativ verlangt, schlichtweg essentiell.

Auf dem Podium entfalten die Vokalpartien ein faszinierendes Eigenleben, Daniela Köhler führt die Kaiserin mit dramatischer Hingabe und durchdachter Stimmführung vom ersten noch vorsichtig kolorierten Ton in eine leidenschaftliche, ja triumphale Emphase im dritten Akt. Ihre Risiken – etwa in der differenzierten Gestaltung mancher Phrasen, die unverhofft ins piano abtauchen, ehe sie sich strahlend emporschwingen – lohnen sich: Ihr Timbre, zunächst noch von elegischer Weichheit, gewinnt an Wucht und Gestaltungswillen, sodass ihr Schluss im Finale eine heroische Kantabilität entfaltet.

Noch imponierender gerät der Auftritt der Färberin, die Lise Lindström sehr kurzfristig übernommen hat. Lindström vermag die Rolle mit einer Solide, einem Farbenreichtum und einem Eifer zu verkörpern, als hätte sie monatelang für genau diese Inszenierung geprobt. Ihre Stimme durchmisst mit unangestrengter Souveränität alle Register – von leicht dunklen Tiefen, die das Unglück und den inneren Zwist der Färberin spiegeln, bis hin zu klaren kraftvollen Höhen, welche in den Momenten der Reue und Läuterung den gesamten Zuschauerraum zu elektrisieren vermögen.

Jordan Shanahan als Barak überzeugt stimmlich wie darstellerisch: Sein warmer, doch stets vorwärtsdrängender Bariton verleiht der Figur das gewisse Maß an Kraft und Innigkeit, das den liebenden Ehemann in seinem Seelenkampf glaubhaft macht. Indem er fast unmerklich von behutsamer Zärtlichkeit in verzweifelte Aufwallungen übergeht, entfaltet er eine glaubwürdige Charakterstudie, die das Publikum von der ersten bis zur letzten Minute mitfühlen lässt.

Nicht weniger hervorzuheben ist David Butt Philip als Kaiser. Seine „Mein Falke“-Passage im zweiten Akt wird zu einem funkelnden Höhepunkt des Abends: Mit intensivem Legato, differenziertem Vokalausdruck und einer kaum gebremsten Hingabe meistert er das klanglich anspruchsvolle, hochromantische Pathos dieser Arie, ohne dabei in Aufschneiderei zu verfallen. Obwohl das Inszenierungskonzept ihm – gerade in dieser Arie – nur wenig Raum für innere Einkehr zu lassen scheint, bewahrt er eine lyrische Klarheit, die insbesondere in den großen Ausbrüchen bis zuletzt besticht.

Besonders bemerkenswert war zudem der Auftritt von Marina Prudenskaya als Amme, die sich zwar vor Beginn der Vorstellung hat ansagen lassen, dass sie stimmlich stark angeschlagen sei, davon jedoch kaum etwas zu spüren war. Ihre Darstellung besaß eine Innigkeit und hohe darstellerische Präsenz; jede Phrase, sei sie in dunkler Wärme geerdet oder in schneidend-herber Klangfarbe geführt, wirkte sorgfältig ausgestaltet und druckvoll im Ausdruck. Gerade in den subtilen Zwischentönen ihres Spiels, in denen sich das von ihr ausgehende unheilvolle Raunen mit einer fast fürsorglich anmutenden Anteilnahme vermischte, zeigte sie die Vielschichtigkeit dieser Figur.

Nicht unerwähnt bleiben sollte die rundum gelungene Leistung des restlichen Ensembles, darunter Patrick Guetti als Geisterbote, der durch seine sonor-dunkle Resonanz die unheilvolle Macht des unsichtbaren Keikobad ahnen lässt. Hye-young Moon als Hüter brilliert in ihren teils nur kurz aufblitzenden, aber stets pointiert gestalteten Interventionen, sie runden das stimmlich hochwertige Gesamtbild ab und demonstrieren, mit welcher Hingabe hier selbst kleinere Partien vokal und darstellerisch lebendig ausgestaltet werden.

All diese Höchstleistungen auf musikalischer Ebene kontrastieren jedoch bemerkenswert mit der szenischen Umsetzung, die zuvörderst durch eines auffällt: ihre Insistenz auf Realismus und Thrillereffekte. Tobias Kratzer verlegt die Handlung gleichsam in eine Welt des dauernden „Zu-viel-Sehens“ – im ersten Akt mag diese Herangehensweise noch bedingt dienlich erscheinen, da sie der Musik genug Raum lässt, ihre suggerierende Kraft zu entfalten. Allerdings fehlt in dieser ersten Phase bereits die Magie welche Strauss’ Partitur und Hofmannsthals Libretto eigentlich eröffnen.

Zwar wird man nicht müde, der Regie ein Lob für ihre unbestreitbare handwerkliche Präzision zu zollen: Die Bühne bietet ein pausenlos spannungsgeladenes Szenario, für Monotonie bleibt kein Raum, nun ja, bis auf die langweilige Bühnengestaltung selbst. Die Figuren bewegen sich in einer Art unentrinnbarem Thriller, der eine gewisse Sogwirkung entfaltet und das Publikum bis zum Finale in Atem hält. Doch eben darin liegt das Dilemma: Die Frau ohne Schatten zählt zu jenen Werken, die vor allem von ihrem Rätselcharakter und ihrer metaphysischen Dimension leben. Hofmannsthal selbst konzipierte das Libretto als „Märchenspiel von größter Innerlichkeit“, und hier wird – so die subjektive Empfindung – ein Großteil jener Theatralik, jener fragilen Magie geopfert zugunsten einer spannungsorientierten, realistisch gemünzten Erzählweise. Das Resultat: Man fühlt sich kurzweilig unterhalten, ja fast an einen Kinoabend erinnert, doch das tiefere Eindringen in die Symbolik der Schattenraub-Thematik bleibt unterbelichtet.

Gerade in dieser Oper dürfte man sich weitaus mehr Kontemplation, mehr unbestimmtes Schweben zwischen Traum und Wirklichkeit wünschen. Stattdessen dominieren harter Realismus, explizite Szenenbilder und ein sich kaum wandelndes Ambiente, das zwar fesselt, aber das Publikum so sehr in die banale Realität reißt, dass Strauss’ und Hofmannsthals geistige Höhenflüge an einigen Stellen seltsam wirken. Die kühle, bewusst de-magisierte Ästhetik konterkariert den hymnischen Schluss, in dem die Verwandlung, die Erlösung und die Zusammenführung von Barak und Färberin, Kaiser und Kaiserin doch eigentlich in einem fast überirdischen Licht erstrahlen sollen.

Gewiss: Kratzer versteht es, seinen Regieansatz mit einem ironischen Augenzwinkern aufzubrechen. Das winzige LCD-Display im ersten Akt, die pompöse LED-Wand im zweiten – gewiss lässt sich diese Karikierung seiner eigenen Medientechniken lesen als humoristischer Kommentar. Nur fragt man sich am Ende, ob man dem Werk mit solchem Realismus und der Selbstironie tatsächlich gerecht wird. Das Finale, das in Strauss’ Musik zur Apotheose einer wiedergefundenen Liebesfähigkeit gerät, wird hier indes zwar nicht vollständig untergraben, doch man fühlt sich durch den "Unsinn" beinahe vom gedanklichen Kern abgelenkt.

Und dennoch beschließt die Vorstellung in einer denkwürdigen Versöhnung. Einerseits sind die inhaltlichen Widersprüche offensichtlich: Man hört das grandiose Orchester, man spürt die singuläre Strahlkraft der Solisten, und man erahnt in jedem Takt jene seelische Tiefe, die Die Frau ohne Schatten einst zu einem Mythos des 20. Jahrhunderts machte. Gleichzeitig wird man – szenisch – in eine realistisch bebilderte Gegenwart gestoßen, die das Wunder des Augenblicks seltsam prosaisch erscheinen lässt. Dass am Ende trotzdem das Potential für eine gründliche innere Erschütterung durchscheint, dürfte vornehmlich der herausragenden musikalischen Leistung geschuldet sein. Vielleicht liegt es aber auch an einzelnen Regieansätzen, die den tieferen Sinn immerhin punktuell aufscheinen lassen: Kratzer komponiert einige Momente – besonders in den Zusammenführungen von Barak und Färberin – von einer intensiven, feinnervigen Gebrochenheit, bei der die geforderte Magie, gerade im Schlussbild doch durchzublitzen vermag.

Autor:

Marko Cirkovic aus Durlach

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