Oper zwischen Gold und Dunkelheit
Die Liebe der Danae als Mahnmal unserer Zeit

Foto: Geoffroy Schied

Richard Strauss’ selten gespielte Oper „Die Liebe der Danae“ ist ein klangliches Juwel, das erst auf den zweiten oder gar dritten Blick in seiner gesamten Strahlkraft erfasst werden kann. Dieses Spätwerk, zwischen 1937 und 1940 komponiert, steht oftmals im Schatten der bekannteren Bühnenwerke des Komponisten. Dabei entfaltet es, wie ein funkelnder Edelstein unter schwachem Licht, eine Leuchtkraft, die bei näherem Hinsehen die gesamte Bühne in schillernde Farben taucht. Für Strauss selbst war diese Komposition ein letztes großes Ausrufezeichen seines Opernschaffens, gewissermaßen ein Vermächtnis, in dem er sich noch einmal von den glühenden Ausdrucksformen seiner früheren Schaffensphasen speist und zugleich einen Bogen schlägt zu jenen reifen, innerlich versunkenen Momenten, die man in seinen späten Werken zu schätzen gelernt hat.

Das Libretto knüpft an die mythologische Geschichte der Danae an, die vom Göttervater Jupiter begehrt wird und sich in einer Welt voller Gold, Macht und Verlockungen zurechtfinden muss. Die Idee einer Frau, die zwischen Göttern und Menschen, zwischen Liebe und Reichtum, zwischen Transzendenz und Erdverbundenheit steht, bietet einen weiten Raum für vielschichtige musikalische wie dramatische Deutungen. Und genau in dieser erzählerischen Weite schöpft Strauss aus dem Vollen: Die Partitur blendet von orchestralem Prunk bis zu feinen kammermusikalischen Momenten alle Farbregister aus, als hätte der Komponist noch einmal alle Errungenschaften seiner langen Karriere eingefangen, um sie in einer einzigen Partitur kunstvoll zu verschmelzen.

Ursprünglich sollte „Die Liebe der Danae“ 1944 in Salzburg zur Uraufführung gelangen. Doch der Krieg und die Zeitumstände verhinderten eine reguläre Premiere. Zwar gab es damals eine szenische Generalprobe, doch vollendet wurde die Einführung in den Opernspielplan erst später. Dass dieses Werk heute nur gelegentlich auf den Spielplänen auftaucht, liegt mitunter an seiner Komplexität. Strauss selbst nannte „Die Liebe der Danae“ nicht ohne Stolz eine seiner am reichsten instrumentierten Opern. Zudem existieren – historisch betrachtet – immer wieder Diskussionen, abgesehen davon, dass man sich die Frage nach der Rolle von Richard Strauss im Nationalsozialismus stellt, wie man ein Werk, das einerseits ein überbordendes Sinnbild für Luxus und Goldgier sein kann und andererseits eine tiefe Sehnsucht nach wahrer, reiner Liebe ausdrückt, inszenatorisch fassbar macht. Doch gerade in dieser Dialektik aus Verschwendung und Hingabe, Verführung und Selbstaufgabe liegt ein ungeheures Potenzial, das in der Aufführung an der Bayerischen Staatsoper in allen Facetten zum Ausdruck kommt.

Von Beginn an spürt man in dieser Münchner Produktion eine eigentümliche Spannung. Es ist, als ob ein feiner Riss durch die glänzende Oberfläche des Geschehens zieht, der jederzeit aufbrechen und einen abgründigen Abgrund entblößen könnte. Diese Ambivalenz, von der auch der Regieansatz lebt, entfaltet sich nicht nur szenisch, sondern dringt tief in die musikalische Substanz ein. Es sind Momente von ausgelassenem, rhythmischem Überschwang, in denen das Orchester wie ein schillernder Karnevalszug durch die Partitur fegt, die beinahe ins Spielerische kippen. Doch kaum hat man sich an diesen witzigen und charmanten Anstrich gewöhnt, bricht eine unheimliche Düsternis herein.

In diesen dunkleren Passagen scheint die Atmosphäre zu vibrieren, eine unbestimmte Angst zieht durch die Reihen, sodass man als Zuhörerin oder Zuhörer spürt: Hier geht es um mehr als nur um mythologisches Liebeswerben oder Goldscheine. Unter dem klangprächtigen Teppich lauert eine Unruhe, ein unheilvolles Pochen, das an das Herz der Zeit rührt, in der Strauss lebte. Man meint geradezu jene bittere Erkenntnis herauszuhören, dass nichts ewig währt, dass Wohlstand und Machtdemonstration stets auf einem fragilen Grund fußen. So wird der Abend zu einer Wanderung durch Extreme: Mal leuchtet das Klangbild in prickelnder Helligkeit, mal senkt es sich zu einer beinahe brachialen Schwere herab.

Diese Widersprüchlichkeit – Witz und Furcht, Leichtigkeit und peinigende Schwere – bildet eine der zentralen Säulen dieses Abends. Sie verleiht „Die Liebe der Danae“ eine Komplexität, die man woanders vergeblich sucht. Und wer sich am Ende fragt, weshalb dieses Stück nicht längst zum Standardrepertoire gehört, wird womöglich mit dem leisen Verdacht nach Hause gehen, dass die musikalischen und szenischen Anforderungen so hoch sind, dass nur wenige Häuser den Mut und das Können aufbringen, diese ungewöhnliche Oper in all ihren Schattierungen zu zeigen.

Strauss’ Partitur steckt voller Kontraste, so als habe der Komponist alle Stile, die er über Jahrzehnte perfektioniert hatte, in einen einzigen großen Klangkessel gegossen. Der erste Akt springt einem beinahe kess und augenzwinkernd entgegen, mit einer rhythmischen Verspieltheit, die an alte Tanzszenen seiner früheren Werke denken lässt. Es ist das Spiel der Ironie, das unbeschwerte Augenzwinkern, das in Strauss’ Opern immer wieder durchscheint, hier aber besonders deutlich hervortritt. Gleichzeitig lässt sich ein Hauch des revolutionären Geistes Richard Wagners vernehmen, dessen auch dessen tiefgründige Dramaturgie in subtilen Nuancen in die Partitur eingeflossen sind und ihr einen fast mystischen Tiefgang verleihen.

Doch dann folgt der zweite Akt, und man taucht in eine tief berührende Klangwelt ein, die sich mal wie ein Sturm über die Bühne legt, mal ganz ruhig und sanft. In diesen Passagen wird die Seele des Stückes fühlbar. Die Musik schwillt zu einem gewaltigen Epos an, in dem Blech und Streicher in monumentalem Wechselgesang sich überbieten. Dann plötzlich, an scheinbar unscheinbaren Stellen, tritt der Klang zurück, zieht sich in kammermusikalische Einsamkeit zurück, um eine fragende Oboe, einen raunenden Fagotton oder eine sanft flirrende Violine in den Mittelpunkt zu stellen. Jene Momente sind wie das Flimmern eines letzten Lichts in einer Dämmerung, die alles zu verschlingen droht. Er verzichtet bewusst auf die permanente Klangwucht und gönnt uns Augenblicke stiller Ergriffenheit, die sich ins Herz brennen.

Der letzte Akt führt diese Erfahrung auf die Spitze. Er überhöht den gesamten dramaturgischen Bogen, zeigt im Orchester einerseits die ganze Epoche in ihrer kolossalen Mächtigkeit, wagt zugleich aber subtile Pianissimi, so zart wie die Andeutung eines Traums, den man nicht zu Ende denken will. Holzbläser erstrahlen in solistischer Schönheit, während die Streicher in geschmeidigen Bögen die Bühne in goldenes Licht tauchen. Es ist ein Moment, in dem sich die Zeit dehnt, ein Augenblick der Hingabe. Und während die Handlung ihrem Finalpunkt zustrebt, spürt man eine innere Unruhe, als ob ein Tor zur Gegenwart aufgestoßen würde, durch das die Schatten unserer heutigen Welt unweigerlich hindurchtreten.

Man kann sich dem Finale dieser Oper kaum entziehen. Unausweichlich mündet die Handlung in eine Szenerie, die gleichermaßen Warnung und Trost verspricht. Die Musik erhebt ihre Stimme zu einem flehenden Ruf – nicht nur in Richtung der mythologischen Götter und der Menschen, sondern unverkennbar auch in die Zeit hinein, die wir heute durchleben. In diesen dramatischen Schlussmomenten scheint das Werk zu verkünden, dass das alles stets Teil der Geschichte war und bleiben wird. Doch dort, wo alles verzweifeln könnte, keimt bei Strauss auch ein Funke des Optimismus: In der opulenten Klangpracht leuchtet ein Hoffnungsschimmer, als wäre die Liebe selbst das unbesiegbare Element, das allem Zerstörerischen zum Trotz weiterleben wird.

Besonders berührend ist der Eindruck, dass uns hier ein leiser Appell erreicht. Jenseits der spektakulären Akkorde und eindringlichen Chöre klingt das Vorspiel zu einer Welt, die sich immer wieder neu erfinden muss, um nicht an ihrer eigenen Habgier zu scheitern. Dieses Finale lässt uns die Verletzlichkeit unseres Daseins spüren. Es fordert zum Innehalten auf, zum Ersinnen einer Welt, in der die goldene Fassade nicht über den innersten Werten thront. Wer der Aufführung aufmerksam folgt, wird genau an diesem Punkt erschaudern, denn in der musikalischen Wucht liegt eine Wahrheit, die man kaum in Worte fassen kann. Sie ruft uns zu: Es gibt mehr als Reichtum, mehr als Macht – es gibt das Herz, das pocht und in all seiner Zerbrechlichkeit die einzige Brücke zur wahren Erfüllung darstellt.

Das Bayerische Staatsorchester unter der Leitung von Sebastian Weigle zeigt sich an diesem Abend als ein Klangkörper, der mit Ruhe und Bedacht gleichermaßen agiert wie mit leidenschaftlicher Energie. Jede Schattierung der Partitur wird präzise herausgearbeitet, ohne je verkopft zu wirken. Man spürt Weigles liebevolle Arbeit mit den Musikerinnen und Musikern, denn er balanciert meisterhaft zwischen den leisen, fast zerbrechlichen Tönen und den kraftvollen Ausbrüchen, die sich wie Wellen an den Strand des menschlichen Gefühlslebens werfen – auch wenn der ursprünglich in Strauss’ Werk mitschwingende, feinsinnige Witz in dieser Aufführung weitgehend herausgenommen wurde, wodurch das emotionale Spektrum in eine strengere, weniger verspielte Richtung gelenkt erscheint.

Gerade die komplexen rhythmischen Passagen im ersten Akt, die eine gewisse kecke Leichtigkeit verlangen, geraten geschmeidig und augenzwinkernd. Im mittleren Teil, wo sich das Orchester zu schwelgerischem Glanz aufbäumt, hat Weigle den Mut zur Größe und lässt die Klangpracht in vollem Umfang strahlen. Doch er kennt auch das Geheimnis der Zurücknahme: Wenn die Handlung ins Innerliche abgleitet, wählt er eine transparente, fast kammermusikalische Klanglichkeit, in der einzelne Instrumente wie kostbare Juwelen hervortreten. Dieses stete Atmen des Orchesters, das Nachschwingen und Zurückhalten, ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis genauer Probenarbeit und einer inspirierenden Dirigierhandschrift. Man hat jederzeit den Eindruck, die Partitur werde neu geboren, entfaltet sich vor den Ohren des Publikums, als habe sie an diesem Abend zum ersten Mal den Weg in die Welt gefunden.

Nicht minder eindrucksvoll sind die Leistungen der Sängerinnen und Sänger. Malin Byström in der Rolle der Danae strahlt von ihrem ersten Auftritt an eine besondere Aura aus. Ihre Stimme ist klar und durchscheinend, dabei zugleich von einer feinen Zerbrechlichkeit, die dem Charakter der Titelheldin nur zugutekommt. Vor allem in den emotional anspruchsvollen Passagen, in denen Danae zwischen Sehnsucht, Zweifel und Hingabe schwankt, offenbart Byström eine stimmliche Flexibilität, die selbst heikle Höhen mühelos bewältigt und dabei die Tiefe der Figur nie aus dem Blick verliert. Am Ende mag man merken, dass die Partie ihre Spuren hinterlässt – doch genau darin liegt der Zauber: Sie gibt alles, verausgabt sich im positiven Sinne, sodass ihre Darstellung glaubhaft und ergreifend wirkt.

Christopher Maltman als Jupiter ist eine Entdeckung. Sein Timbre umschmeichelt die Ohren, entfaltet Wärme und Glanz zugleich, und seine Darbietung füllt den Raum mit der Anziehungskraft eines Göttervaters, dem nichts und niemand widerstehen kann. Die Bandbreite seiner Stimme reicht von schmeichelnder Verführung bis zur majestätischen Autorität. Er vermittelt die Größe Jupiters, ohne jemals plump zu erscheinen.

Auch Andreas Schager hinterlässt in seiner Rolle einen kraftvollen Eindruck. Er setzt seine Stimme differenziert ein, nimmt sich an den richtigen Stellen zurück und stemmt sich in den großen Ausbrüchen souverän gegen das Orchester. Dieser feine Umgang mit Lautstärke, Dynamik und Emphase zeugt von einem besonderen Gespür für die Dramaturgie der Partitur.

Ya-Chung Huang als Merkur überzeugt mit einem strahlenden Klang, der die schalkhaften Facetten der Figur unterstreicht. Immer wieder blitzt in seiner Interpretation eine humorvolle Note auf, ohne den Ernst der Lage zu untergraben. Vincent Wolfsteiner als Pollux schwankt in der Durchsetzungskraft, bringt jedoch eine nuancierte Farbe in das Ensemble ein und überzeugt mit einer eindringlichen, ästhetischen Darstellungsweise.

Das Ensemble überzeugt durch seine harmonische Einheit. Sarah Dufresne als Semele und Evgeniya Sotnikova als Europa beeindrucken mit ihrer stimmlichen Präsenz. Emily Sierra als Alkmene, Avery Amereau als Leda und Erika Baikoff als Xanthe tragen ebenso zu einem runden Gesamteindruck bei. Die Vier Könige – Martin Snell, Bálint Szabó, Paul Kaufmann und Kevin Conners – sowie die Vier Wächter – Bruno Khouri, Yosif Slavov, Daniel Noyola und Vitor Bispo – vervollständigen dieses gelungene Gesamtbild.

Nichts wirkt hier deplatziert oder ungenau, kein Augenblick bleibt ungestaltet. Es ist ein lebendiges Gefüge, das eine große Achtung vor dem Werk und seiner Vielschichtigkeit verrät.

Claus Guth hat sich mit seiner Inszenierung für einen Zugriff entschieden, der die Handlung in ein filmisches luxuriöses Hochhausambiente verlegt, das an den Trump Tower erinnern soll – ein Ort, der für Glanz und Glamour, aber auch für Dekadenz und moralische Fragwürdigkeiten steht. Von Beginn an wird man so in eine Welt versetzt, in der Gold nicht nur mythologisch schimmert, sondern als reales Statussymbol in Glas und Beton widerhallt. Die Figuren bewegen sich in dieser modernen Szenerie wie Spieler auf einem großen Schachbrett, auf dem die Regeln zwar verlockend einfach erscheinen – Gold und Macht triumphieren –, die Konsequenzen aber umso katastrophaler sein können. Besonders auffällig ist dabei die Rolle des Merkur, dessen gewandte und schelmische Darstellung starke Parallelen zu Loge aus Wagners Ringzyklus aufweist; auch Loge, der mit scharfzüngigem Witz und zwielichtigen Intrigen agiert, vermag es, das Geschehen mit einer unheilvollen Eleganz zu untermalen und den Blick auf die verborgenen Machtstrukturen zu lenken.

Guth baut in seine Regie immer wieder humorvolle, fast schon absurde Elemente ein, die manchmal wie ein plakatives Zeichen in den Raum geworfen werden. So wird die Bühne zu einem Ort, wo sich Ironie und Düsternis die Hand reichen. Doch hinter diesem Spiel lauert stets eine diffuse Symbolik, die den Zuschauer nie mit eindeutigen Interpretationsmustern alleine lässt. Man fragt sich, wohin diese Reise geht, und fühlt sich bisweilen in einen Thriller versetzt, bei dem der nächste Schritt nicht vorhersehbar ist.

Erst im Finale klärt sich das Bild, wie ein Nebelschleier, der plötzlich vergeht und den Blick auf eine schonungslose Wahrheit freigibt. In klaren Tableaus zeigt Guth das Ausmaß dessen, was ungebremste Gier und Machtgelüste anrichten können – nicht nur in vermeintlich fernen vergangenen Zeiten, sondern in unserer heutigen Welt. Man mag sich fragen, ob dieser moralische Zeigefinger wirklich sein muss, doch betrachtet man die Konsequenzen der Geschichte, so liegt es nahe, genau hier den Finger in die Wunde zu legen. Denn die Zerstörung, die in „Die Liebe der Danae“ angelegt ist, bleibt keine abstrakte Idee. Die Vergangenheit hat sie Wirklichkeit werden lassen, und die Gegenwart trägt die Gefahr in sich, sie zu wiederholen.

Das Bühnenbild von Michael Levine führt uns in eine Welt von schimmerndem Glas und Spiegeln. Der Reichtum, der bei Strauss’ Göttern in mythologischen Dimensionen waltet, erscheint hier als mal funkelnde, mal trübe Skyline. In dieser Blendwirkung verlieren die Figuren bisweilen die Orientierung, genau wie das Publikum, das sich fragt, was real und was nur Fassade ist. Das hohe, kühle Ambiente des Trump Towers gibt der Handlung eine enge, fast beklemmende Atmosphäre. Wo sich einst antike Mythen abspielten, herrscht nun eine greifbare, fast schmerzlich konkrete Welt, in der Machtkämpfe auf glatten Büroflächen ausgetragen werden.

Besonders eindrucksvoll ist, wie Guths Regie und Levines Bühnenbild Hand in Hand gehen: Kleine wie Große Requisiten oder auffällige Farbdetails lenken den Blick auf Themen wie Habgier und Selbstüberschätzung, ohne sich in Belehrungen zu verlieren. Und so entsteht eine Stimmung, die schwankt zwischen Hochglanz-Inszenierung eines zeitgenössischen Lebensstils und einer dystopischen Vorahnung künftiger Zusammenbrüche. Man hat das Gefühl, jene goldene Spiegelwand könnte in tausend Splitter zerspringen und einen Sturm aus Reflexionen freigeben, die unsere eigene Geschichte beleuchten.

Diese Münchner Aufführung von „Die Liebe der Danae“ lässt niemanden kalt. Man fragt sich unweigerlich, warum dieses Werk nicht häufiger auf dem Spielplan steht. Vielleicht ist es tatsächlich seine Vielseitigkeit und emotionale Tragweite, die eine intensive Vorbereitung verlangt und viele Häuser abschreckt. Doch die Belohnung ist groß, wenn man sich auf „Die Liebe der Danae“ einlässt: Sie offenbart nicht nur die reiche Farbpalette eines reifen Richard Strauss, sondern führt auch tief in Abgründe, die von zeitloser Aktualität sind.

Das Finale, jene berührende Mischung aus Mahnung und Hoffnung, gibt der Oper eine Tiefe, die weit über den Moment hinausweist. Wir werden Zeugen eines Dilemmas, das nicht nur in der Götterwelt um Danae tobt, sondern in unserer Gegenwart weiterlebt: Die Sehnsucht nach Gold, nach ewigem Glanz, kann zur Falle werden, wenn sie unser Herz gefangen nimmt und uns die Menschlichkeit vergessen lässt. Gleichzeitig steckt in dieser Partitur – in diesen strahlenden Akkorden am Ende – eine Kraft, die uns zur Umkehr drängt. Die Empfindung von Liebe, Hingabe und Demut kann die härteste Schale sprengen.

Gerade deshalb ist es so wichtig, dieses Werk wieder und wieder auf die Bühne zu bringen. Es ist eine rare Perle, die nach unterschiedlichen Sichtweisen und Interpretationen verlangt. Die aktuelle Produktion an der Bayerischen Staatsoper setzt die Messlatte dabei hoch: In den Händen von Sebastian Weigle und dem staatsopern-erprobten Ensemble glüht „Die Liebe der Danae“ in jeder Faser. Claus Guths Regie verleiht ihr ein modernes Gewand, das einem Thriller gleicht, und ermöglicht einen Blick auf unsere eigene Gegenwart. Ob wir uns von diesem Fingerzeig berührt fühlen oder ihn als zu plakativ empfinden, bleibt eine Frage der persönlichen Wahrnehmung. Doch unbestreitbar ist, dass diese Aufführung eine Dichte erreicht, die besonders ist.

Am Ende verlässt man den Zuschauerraum in einer eigenartigen Mischung aus betörender Erfüllung und gedanklicher Unruhe. Man spürt die Größe einer Oper, die mehr ist als nur ein opulenter Klangrausch. Sie ist ein flammendes Plädoyer für Menschlichkeit inmitten von Verlockung, Gier und Hochmut. Wer aufmerksam hinhört, dem raunt die Musik zu, dass jede Zeit ihre Danae hat, die nach Rettung strebt und inmitten der verlockenden Goldströme eine reine Seele bewahren möchte.

So verbleibt man in einer nachdenklichen Stimmung, mit dem Wunsch, dieses Werk häufiger zu erleben, häufiger zu hinterfragen und die darin liegenden Wahrheiten immer wieder neu zu durchleuchten. Sie ist nicht nur ein seltener Opernschatz, sondern auch eine immerwährende Erinnerung daran, wie eng in dieser Welt das Glänzende mit dem Abgründigen verwoben sein kann – und wie groß die Hoffnung bleibt, wenn wir nur genau hinhören.

Damit schließe ich meine Betrachtung der gestrigen Aufführung und ihrer klanglichen Faszination, die in vollendeter Intensität Richard Strauss’ Vermächtnis auf die Bühne brachte. Wer allerdings nicht nur den Nachhall dieser musikalischen Fülle spüren, sondern auch die Brücke in unsere Gegenwart schlagen möchte, ist eingeladen, weiterzulesen und sich mit einem Epilog zu befassen, der am heutigen Wahltag die politischen und gesellschaftlichen Resonanzen beleuchtet – eine Verbindung von Oper und Wirklichkeit, die sich gerade in dieser Inszenierung so unmittelbar (an/ge)bietet.

Epilog am Wahltag, 23. Februar 2025

Noch liegt die Erinnerung an den gestrigen Opernabend in der Luft. Manch einer wird die spannungsgeladenen Szenen, die gewaltige Musik und die prägnanten Bilder der Inszenierung noch vor Augen haben, während der heutige Tag eine völlig andere Dramatik entfaltet: die Bundestagswahl. Es ist, als würde sich das Schwergewicht politischer Entscheidungen unmittelbar an jenen Zauber anschließen, der erst vor wenigen Stunden auf der Bühne gewirkt hat. Doch so unterschiedlich Oper und Wahltag anmuten, sie vereint die Frage nach unserem Umgang mit Macht, Verantwortung und dem Miteinander.

Die Inszenierung, in der ein gescheiterter Monarch an die Gestalt eines aktuellen US-Präsidenten erinnert, wirft ein ebenso leuchtendes wie düsteres Licht auf die Vergänglichkeit glanzvoller Fassaden. Das gestrige Finale hinterlässt die Frage, wie rasch ein einst strahlendes Bild ins Wanken geraten kann, wenn seine scheinbare Größe nur auf persönlichen Ambitionen und lautstarker Selbstdarstellung fußt. Nun, einen Tag später, treten wir an die Wahlurnen, um ein ganzes Land auf einen politischen Kurs zu bringen. Dabei zeigt sich ein merkwürdiges Spiegelbild: Wo gestern eine theatralische Fallhöhe in Mythos und Gold besungen wurde, da blicken wir heute auf sehr reale Machtkämpfe, auf kämpferische Rhetorik und extrem zugespitzte Positionen.

Seit Monaten wirkt das Land unruhig. Die Schlagzeilen kreisen um gegensätzliche Lager, um scheinbar unvereinbare Sichtweisen. Dabei spürt man eine tiefe Sehnsucht nach Orientierung und nach einer Mitte, die nicht statisch, sondern lebendig ist. Eine Mitte, die die vielen Facetten unserer Gesellschaft aufnimmt wie ein resonanter Klangkörper und die Extrempole nicht als Fundament begreift, sondern als Warnung, wohin Spaltung führen kann. In Strauss’ Oper wendet sich die Titelheldin Danae schließlich ab vom oberflächlichen Schein und findet in einer menschlichen, von Mitgefühl getragenen Entscheidung ihre Erfüllung. Dieses Sinnbild könnte man heute auf die politische Landschaft übertragen: Anstelle des bloßen Spektakels, des grellen Scheinwerferlichts oder lauter Halbwahrheiten braucht es die innere Stimme, die sich für Gemeinsinn einsetzt.

Gerade in der Vorwahlzeit wurde deutlich, wie durch Social Media und hektische Talkshow-Formate die Töne schärfer wurden. Nicht wenige Beobachter verglichen die momentanen Eruptionen der Sprüche und Versprechen mit den klanglichen Eruptionen eines groß besetzten Orchesters, das von einer einzigen Kraftprobe zur nächsten eilt. Doch wer Strauss’ spätes Werk genau verfolgte, weiß, dass neben den explosiven Ausbrüchen auch leise Passagen existieren. Dort kommt eine feine Innenschau zum Ausdruck, eine Stimme, die in Ruhe verharrt, in Empathie lauscht und die Schönheit der Vielstimmigkeit erkennt.

Die Gesellschaft könnte sich eine Scheibe von dieser Komplexität abschneiden. Statt im Dauerton des kriegerischen Fortissimo zu verharren, könnte sie die unterschiedlichen Stimmen in ein sorgfältiges Gleichgewicht bringen. Wir sind kein monolithischer Block, sondern ein bunter Chor. Wenn wir einander zuhören, entzünden wir jene Leuchtkraft, die nicht vom Zerschellen der Extreme lebt, sondern von der Harmonie der Vielfalt. Hierin liegt jedoch eine Herausforderung: Das Anerkennen der Andersartigkeit ist mehr als ein bloßes Lippenbekenntnis. Es braucht den Willen, selbst bei scharf dissonanten Klängen nach dem gemeinsamen Grundton zu suchen, anstatt nur in Kategoriesystemen von Richtig und Falsch zu verharren.

Der gestrige Abend war eine eindrucksvolle Mahnung, wie kostbar es ist, wenn man sich nicht allein von Reichtum, Macht oder Geltungsdrang verführen lässt. Diese Inszenierung, die einen gescheiterten Trump als König Pollux zeigte, erinnert uns vor allem daran, dass Hochmut ein kurzlebiges Phänomen ist. So wie er im Schein seines eigenen Turms gefangen war, kann auch eine politische Strömung sich rasch an ihre selbst errichtete Fassade ketten, bis sie kollabiert. Der Glanz, der gestern noch funkelte, kann sich über Nacht in Staub verwandeln.

Nun haben wir am 23. Februar 2025 die Möglichkeit, unseren Stimmen Ausdruck zu verleihen. Manche werden in den Wahlergebnissen eine Richtungsentscheidung sehen: Werden wir uns dem Sog der Extreme hingeben, der jede abweichende Meinung stigmatisiert? Oder gelingt es uns, der Versuchung des schnellen Urteils zu widerstehen und gemeinsam an einer Zukunft zu bauen, die offene Türen für Diskussionen bereithält?

In jenen Diskussionen darf es keine Nachsicht gegenüber unmenschlichen Attitüden geben. Wenn sich Hass und Verleumdung zu lautstarken Schlachtrufen aufschwingen, braucht es deutliche Grenzen. Und doch ist es wichtig, differenziert zu bleiben: Nicht jede gegenläufige Sichtweise zielt darauf ab, andere zu unterdrücken oder auszugrenzen. Oft sind es lediglich Ausdrucksformen einer eigenen Lebenswirklichkeit, die sich in der großen Mitte einbinden lassen. Wer pauschal alle Andersdenkenden brandmarkt, unterminiert den eigentlich so wichtigen Konsens, der eine pluralistische Gesellschaft zusammenhält.

Strauss hat uns mit seinen komplexen Kompositionen gelehrt, wie innig Gegensätze in ein stimmiges Ganzes überführt werden können. So könnte man auch das politische Nebeneinander begreifen: Wir stehen auf einer gemeinsamen Bühne, mögen aus unterschiedlichen Richtungen kommen, doch sollten gemeinsam zum Gelingen des Abends beitragen. Eine Gesellschaft, die Tag für Tag einen neuen Akt schreibt, muss sich stetig wandeln. Niemand besitzt den einzigen, unfehlbaren Plan. Doch wenn wir in gegenseitiger Achtung und mit wachsamer Haltung handeln, fügen wir das Mosaik des Gemeinwohls zusammen.

Diese Wahl ist kein Schlussakkord. Sie ist ein markanter Einschnitt, der zugleich eröffnen kann, was künftig möglich sein wird. Indem wir heute unsere Stimmen abgeben, setzen wir auch ein Signal dafür, welche Art von Inszenierung wir für die nächsten Jahre wünschen. Wollen wir ein Spektakel, das auf einem goldenen Turm die Illusion vom allmächtigen Einzelnen feiert, oder ein Ensemble-Spiel, in dem jede und jeder wichtige Töne beisteuert?

Möge dieser Tag von dem Bewusstsein getragen sein, dass in der Vielzahl der Stimmen eine reiche Klangpalette schwingt, die nicht zu einem schrillen Crescendo der Feindseligkeit werden muss, sondern zu einem großen Zusammenklang. Und möge der gestrige Abend uns daran erinnern, wie schnell selbst der strahlendste Monarch fallen kann, wenn die Basis bröckelt. Ein Land, das in die Zukunft blickt, braucht stabile, kluge und respektvolle Strukturen – keine aufgeblasenen Kulissen, die mit dem ersten Sturm in sich zusammenfallen.

So könnte die Stimme, die wir heute in der Wahlkabine abgeben, mit einer stillen, aber weitreichenden Überzeugung verbunden sein: Dass wir das Gemeinsame stärken, die Extreme in ihre Schranken weisen und jene Mitte kultivieren, die nicht einfach zaudernd oder schwankend ist, sondern lebendig, mitfühlend und klug. Dann wird der Klang, der sich aus all unseren Stimmen erhebt, zu einer Melodie der Hoffnung, in der wir uns selbst erkennen können – über den heutigen Tag hinaus.

Autor:

Marko Cirkovic aus Durlach

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