Märchen, Masken und Klanggemälde
Klaus Mäkelä begeistert im Festspielhaus Baden Baden

Foto: Marco Borggreve Royal Concertgebouw Orchestra
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Mit einem Programm, das ganz der Magie der Klangfarben und der musikalischen Fantasie verschrieben war, entführte Klaus Mäkelä das Publikum im Festspielhaus Baden Baden in Märchenreiche, auf einen turbulenten Jahrmarkt und schließlich durch eine schillernde Klanggalerie. Der junge finnische Dirigent und das Orchestre de Paris widmeten den Abend dem französischen Komponisten Maurice Ravel, dessen 150. Geburtstag die Musikwelt in diesem Jahr feiert, und schlugen zugleich einen Bogen von der musikalischen Romantik zur Moderne. Doch dieser Auftritt geriet weit mehr als zur bloßen Präsentation bekannter Orchesterstücke: Mäkelä erwies sich als ein Geschichtenerzähler in Klang, der Poesie und Präzision in vollkommenem Gleichgewicht hält.

Zu Beginn entführte Ma mère l’Oye (Mutter Gans) das Publikum in eine Sphäre zarter Klangpoesie. Mäkelä ließ das Orchestre de Paris den ersten Satz, die Pavane der schlafenden Schönen, wie einen hauchfeinen Schleier entrollen – die Töne schienen eher zu atmen als zu erklingen. Mit äußerst behutsamer Zeichengebung vertraute der Dirigent auf die Wirkung der leisen Töne. Jedes Flüstern der Streicher und jeder silbrig aufblitzende Holzbläserklang fügte sich zu einem zerbrechlichen, doch leuchtenden Klanggewebe. In den miniaturhaften Märchenszenen entfaltete sich Bild um Bild: mal verlor sich Der kleine Däumling in verwehten Pfaden zarter Melodik, mal tanzten fernöstliche Porzellanfiguren im Pagodenreich in schillernden Farben. Besonders bezaubernd gelang das musikalische Zwiegespräch zwischen Schönheit und Biest: das dunkle, brummelnde Kontrafagott als Stimme des Ungeheuers und die lieblich singende Klarinette als die Schöne verliehen dieser Episode liebenswürdigen Humor. Am Ende des Feengartens erhob sich das Orchester zu einem sanft strahlenden Finale – ein funkelnder Schlussakkord, den Mäkelä lange nachhallen ließ. Es war ein Moment reiner musikalischer Magie, in dem der ganze Saal den Atem anhielt.

Kaum war der letzte feine Klang verklungen, schlug das Konzert eine völlig andere Richtung ein: Igor Strawinskys Ballettmusik Pétrouchka katapultierte die Zuhörer mitten hinein in das pralle Leben eines russischen Jahrmarkts. Mit einem Schlag entluden sich grelle Farben und wilde Rhythmen – ein umso wirkungsvollerer Kontrast nach der vorangegangenen Stille. Mäkelä zeichnete die wimmelnden Szenen der Kirmesmusik mit gestochen scharfer Präzision. Die komplexen Rhythmen und übereinander geschichteten Melodiefragmente fügten sich unter seiner Leitung zu einem vielstimmigen, doch transparenten Klangbild. Die Musiker des Orchesters folgten ihm mit spürbarer Verve: Besonders das Blech und das Schlagwerk setzten markante Akzente, ohne jedoch die feine Balance des Gesamtklangs zu gefährden.

Diese Musik trug keinerlei Last, sie war frei von Schwere und wirkte in ihrem Kern nahezu unschuldig, in sich ruhend und unbefleckt.

Im zweiten Bild, wenn der unglückliche Puppenjunge Pétrouchka einsam in seiner Kammer klagt, kehrte überraschend Innigkeit ein. Zart entfaltete eine Soloflöte Pétrouchkas wehmütige Melodie, während Mäkelä diesen fragilen Moment mutig auszukosten wusste – eine stille Klage, die den Saal in gespannte Andacht versetzte. Doch die Idylle währte nicht lange: Schon brachen die wilden Tänze des dritten Bildes über die Zuhörer herein, und Mäkelä trieb das Orchester mit kontrollierter Energie voran. Der Zusammenprall der Puppenfiguren – Pétrouchkas verzweifeltes Aufbegehren gegen den finsteren Mohren – geriet unter seiner Leitung zum packenden musikalischen Drama. Als schließlich Pétrouchkas Geist am Ende über dem dunkler werdenden Jahrmarkt auftauchte, ließ Mäkelä den abschließenden dissonanten Aufschrei nur geisterhaft verklingen. Zurück blieb ein Hauch von Melancholie in der Luft – als streife der Schatten der hölzernen Puppe noch immer durch den Saal und mahne an die Zerbrechlichkeit aller Illusionen. Diese Musik trug keinerlei Last, sie war frei von Schwere und wirkte in ihrem Kern nahezu unschuldig, in sich ruhend und unbefleckt.

Nach der Pause eröffnete sich dem Publikum mit Bilder einer Ausstellung eine letzte, grandiose Klangwelt. Mäkelä geleitete das Publikum durch Modest Mussorgskys berühmten Bilderzyklus – in der Orchesterfassung von Maurice Ravel – wie durch eine imaginäre Galerie. Gleich zu Beginn intonierte das Orchestre de Paris die markante Promenadenmelodie mit strahlendem, festlichem Klang, als würde ein Besucher feierlich den ersten Schritt in die Ausstellungshalle setzen. Mäkelä nahm dieses Thema sehr majestätisch und dennoch fließend, sodass es zum bindenden roten Faden des Werkes wurde. Dann entfaltete er jedes musikalische Gemälde mit großer Liebe zum Detail. Beim ungestümen Gnomus huschten schrille Klanggestalten unruhig durch den Raum; abgründige Bassfiguren und grelle Holzbläserrufe ließen die unheimliche Kreatur geradezu plastisch vor Augen treten. Im Gegensatz dazu breitete sich im Alten Schloss eine wehmütige Ruhe aus. Ein Altsaxophon sang sein einsames Lied, getragen von einem sachten Pulsieren der Streicher – hier schuf Mäkelä einen Moment voll stiller Andacht und zeitloser Schönheit.

Mit jedem neuen Bild wechselten Atmosphäre und Farbe: Leicht und verspielt neckten sich die Holzbläser im Tuilerien-Garten, während im schweren Bydlo das langsame Voranschreiten eines Ochsenkarrens in dunklen, erdigen Orchesterfarben eindringlich spürbar wurde. Mäkelä verstand es hervorragend, diese Kontraste herauszuarbeiten, ohne den übergreifenden Zusammenhang des Zyklus zu verlieren. In der berückend wilden Schilderung der Hütte der Baba Yaga jagte er das Orchester zu entfesselter Intensität an, nur um im letzten Moment zur majestätischen Apotheose anzusetzen: dem Großen Tor von Kiew. Hier liefen alle Kräfte zusammen – das Blech schmetterte in glänzendem Forte, und dann traten die hauchzarten, ruhigen Kontraste in überirdischer Schönheit hervor. Das Schlagwerk entfachte ein feierliches Glockengeläut, und über allem erhob sich ein prachtvoller Klangdom. Mäkeläs präzises Dirigat stellte sicher, dass diese massive Klangentfaltung nie in bloßen Lärm abglitt, sondern transparent und würdevoll blieb. Der Schlussakkord hallte imposant nach, bis schließlich die Stille Einzug hielt – ein erhabener Moment, in dem man die Größe dieses musikalischen Monuments körperlich nachspüren konnte.

Am Ende dieses vielgestaltigen Abends stand begeisterter Applaus. Klaus Mäkelä und das Orchestre de Paris hatten das Publikum auf eine Reise mitgenommen, die die Sinne ebenso ansprach wie den Geist. Die klar durchdachten interpretatorischen Entscheidungen des jungen Maestros – von der fein austarierten Dynamik in Ravels filigraner Partitur bis zur straffen Dramaturgie in den Klangwelten Strawinskys und Mussorgskys – zeugten von erstaunlicher Reife und künstlerischer Vision. Dabei verlor Mäkelä nie die poetische Seele der Werke aus dem Blick: Jeder Moment durfte atmen und wirken, jede Klangfarbe erzählte eine Geschichte. So geriet das Konzert nicht nur zur Feier von Ravels musikalischem Erbe, sondern auch zum Ausblick auf eine Zukunft, in der ein Dirigent wie Mäkelä mit feinem Gespür Traditionen lebendig hält und zugleich neue Wege weist. In größerer künstlerischer Perspektive zeigte dieser Abend, wie Musik vergangener Epochen in den Händen einer jungen Generation zu neuem Leben erwachen kann. Es war ein beseeltes, inspirierendes Erlebnis.

Angesichts des bevorstehenden Endes der Berliner Philharmoniker bei den Osterfestspielen in Baden Baden mochte man einst eine gewisse Wehmut verspüren. Doch spätestens nach diesem Abend erscheint jene Lücke alles andere als ein Verlust. Vielmehr tut sich ein Raum für Neues und Großartiges auf, ein Raum, den Klaus Mäkelä mit seiner unverwechselbaren Hingabe und seiner sublimen Klangvorstellung erfüllen könnte. Man kann nur hoffen, dass er dem Festspielhaus Baden-Baden noch lange erhalten bleibt. Denn selten erlebt man derart reine Momente in der Musik, in denen die Zeit stillzustehen scheint und sich Klänge in wahre, unbeschwerte Poesie verwandeln.

Autor:

Marko Cirkovic aus Durlach

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