Gelungene Personenführung im Mantel des Schreckens
Salome in Stuttgart
Wenn nach der Vorstellung zum Schlussapplaus erst einmal das Blut von der Bühne gewischt werden muss, weiß man, dass man wieder an der Staatsoper Stuttgart zu Gast war. Nicht zu "Sancta", sondern zur Wiederaufnahme von Richard Strauss' "Salome". Ein Abend, der in vielerlei Hinsicht unter die Haut ging und die Gemüter bewegte.
Die Inszenierung, basierend auf der Arbeit von Kirill Serebrennikov und umgesetzt durch die feinsinnige Personenregie, beeindruckte durch ein intensives Zusammenspiel von Bühne und Video. Ilya Shagalovs Videokonzept ergänzte die Handlung mit starken visuellen Eindrücken, die das Geschehen auf der Bühne erweiterten und vertieften. Doch trotz dieser gelungenen Aspekte ließ der Gesamteindruck Raum für Kritik.
Der Mantel, der über das Stück gelegt wurde, wirkte in seiner Gestaltung beinahe erdrückend. Die Entscheidung, reale Aufnahmen von Enthauptungen auf der Leinwand zu zeigen, überschritt für viele die Grenze des Erträglichen. Geschrei mitten in der Musik und Folter wurden in einer Intensität dargestellt, die einige Zuschauer dazu veranlasste, den Saal vorzeitig zu verlassen. Ich zählte rund sieben Personen, die nicht zurückkehrten. Ob es die expliziten Gewaltdarstellungen waren oder andere Gründe, bleibt offen. Doch es gab nicht viele offensichtliche Gründe, die Oper zu verlassen, abgesehen von diesen extremen Szenen.
Musikalisch hingegen gab es wenig zu beanstanden. Simone Schneider in der Rolle der Salome bot eine kraftvolle und nuancierte Darstellung. Ihre Stimme durchdrang den Saal mit einer Mischung aus Unschuld und Verderbtheit, die der Figur eine faszinierende Tiefe verlieh. Ihre Interpretation der jungen Prinzessin war sowohl vokal als auch schauspielerisch überzeugend, was dem Publikum einen tiefen Einblick in die zerrissene Seele Salomes gewährte.
David Steffens als die Stimme des Jochanaan und Luis Hergón als sein körperliches Ebenbild schufen gemeinsam ein beeindruckendes Porträt des Propheten. Steffens' mächtiger Bass verlieh den Verkündigungen Jochanaans eine fast übernatürliche Autorität, während Hergóns Präsenz auf der Bühne die körperliche Gefangenschaft und gleichzeitig die innere Freiheit der Figur widerspiegelte.
Chad Shelton als Herodes nutzte seine großen Momente voll aus. Nicht nur stimmlich überzeugte er mit einem ausdrucksstarken Tenor, auch schauspielerisch brachte er die Zerrissenheit und Paranoia des Tetrarchen eindringlich zum Ausdruck. Seine Beziehung zu Salome und Herodias war von einer komplexen Dynamik geprägt, die er mit feiner Nuancierung darstellte.
Sophie Koch in der Rolle der Herodias bot eine solide Leistung. Ihre Mezzosopran-Stimme verlieh der Figur die nötige Autorität und Bitterkeit, ohne dabei in Klischees zu verfallen. Sie stellte eine Frau dar, die in ihrem eigenen Machtstreben gefangen ist und dennoch die Kontrolle über die Geschehnisse zu verlieren droht.
Die Nebenrollen waren allesamt hochwertig besetzt. Moritz Kallenberg als Narraboth brachte die verzweifelte Liebe des jungen Hauptmanns zu Salome glaubhaft auf die Bühne. Lana Maletić als Page ergänzte das Geschehen mit subtilen Akzenten. Die fünf Juden, dargestellt von Torsten Hofmann, Heinz Görig, Leopold Bier, Joseph Tancredi und Andrew Bogard, boten ein gelungenes Ensemble, das die religiösen und philosophischen Diskussionen mit Leben füllte.
Die Soldaten, verkörpert von Jasper Leever und Aleksander Myrling, sowie der Kappadozier Marius-Sebastian Aron und die Sklavin Elena Salvatori, rundeten das Ensemble ab und trugen wesentlich zur atmosphärischen Dichte der Inszenierung bei.
Das Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung von Tomáš Hanus spielte präzise und mit großer klanglicher Schönheit. Die komplexe Partitur von Strauss wurde technisch einwandfrei umgesetzt, und die orchestrale Farbenpracht entfaltete sich in vollem Umfang. Doch vielleicht war es gerade diese technische Perfektion, der es an emotionaler Tiefe mangelte. Die Leitung durch Hanus wirkte stellenweise zu kontrolliert, zu bedacht, wodurch die explosiven Momente der Musik an Intensität verloren. Die Ausgestaltung blieb in manchen Passagen flach und hätte mehr Risikobereitschaft vertragen können, um die emotionalen Abgründe der Handlung musikalisch noch deutlicher hervortreten zu lassen.
Die Bühnenbildgestaltung ergänzte die düstere Atmosphäre der Oper. Das kahle Setting trug wesentlich zur Wirkung des Abends bei. Die kalte und bedrückende Umgebung spiegelte die innere Leere und Verderbtheit der Figuren wider. Allerdings hätte hier und da etwas mehr Symbolik oder visuelle Vielfalt der Inszenierung gutgetan, um zusätzliche Ebenen zu eröffnen.
Das Kamerakonzept war großartig umgesetzt und fügte der traditionellen Bühnendarstellung eine moderne Dimension hinzu. Die Live-Projektionen und Videosequenzen von Ilya Shagalov ermöglichten dem Publikum einen intensiveren Zugang zu den Emotionen und Details, die sonst vielleicht übersehen worden wären. Insbesondere in den Momenten zwischen Salome und Jochanaan verstärkten die Nahaufnahmen die Spannung und das psychologische Spiel der Figuren.
Die Entscheidung, reale Gewaltszenen einzubinden, bleibt jedoch umstritten. Einerseits unterstreichen sie die Brutalität und Dekadenz der Handlung, andererseits stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit und dem ethischen Umgang mit solchen Bildern. Kunst darf und soll provozieren, doch sollte sie auch verantwortungsvoll mit den Emotionen und Grenzen des Publikums umgehen.
Für Liebhaber von intensiven musikalischen und szenischen Erfahrungen bietet diese "Salome" sicherlich viele lohnende Momente. Wer jedoch auf der Suche nach einer ausgewogenen Interpretation ist, die die Tiefe der Partitur und der Charaktere voll ausschöpft, könnte an einigen Stellen enttäuscht werden.
Am Ende des Abends, nachdem das Blut von der Bühne gewischt und der letzte Applaus verklungen war, blieb ein nachdenkliches Publikum zurück. Ein Publikum, das sich vielleicht fragte, ob Provokation um der Provokation willen der richtige Weg ist, um die zeitlosen Themen von Macht, Begierde und Verderbtheit zu vermitteln. Oder ob es nicht vielmehr die subtilen Töne sind, die länger nachhallen und nachhaltiger wirken.
Autor:Marko Cirkovic aus Durlach |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.