Majestätische Nüchternheit
Víkingur Ólafsson debütiert im Festspielhaus Baden Baden

Foto: Andrea Kremper

Am frühen Abend des 10. November 2024 im Festspielhaus Baden-Baden: Das ausverkaufte Konzert, angeführt vom gefeierten Pianisten Víkingur Ólafsson und dem renommierten London Philharmonic Orchestra unter der meisterhaften Leitung von Edward Gardner, versprach ein unvergessliches Erlebnis für alle Anwesenden. Der pünktliche Beginn um 17:00 Uhr, war nicht realisierbar. Ein faszinierendes, subtiles Detail prägte den Beginn des Abends: Während das Orchester sich einzustimmen begann, läuteten die Saalglocken draußen den Einlass der verspäteten Zuschauer herbei. Dieses interessante Zusammenspiel von Innen- und Außenwelt schuf eine witzige Brücke, in den letzten Sekunden des Einstimmens ahmten Musiker des Orchester die Klänge der Saalglocken nach – zunächst die zarte Harfe, gefolgt von der Oboe. Dieses spielerische Nachahmen der Glocken war ein echter Ausdruck englischen Humors und setzte einen vielversprechenden, leicht humorvollen Ton für den Abend. Trotz einer Verzögerung beim tatsächlichen Konzertbeginn steigerte diese humoristische Einleitung die Vorfreude des Publikums nur noch weiter.

Das Konzert eröffnete Johannes Brahms’ Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 in d-Moll, op. 15. Unter der Leitung von Edward Gardner entfaltete sich der erste Satz, Maestoso – Poco più moderato, mit einer grandiosen und epochalen Präsenz. Die kraftvolle Einleitung des London Philharmonic Orchestra schuf eine monumentale Klanglandschaft, die den Saal mit tiefen Emotionen und dramatischer Intensität erfüllte. Gardner dirigierte das Orchester mit einer beeindruckenden Präsenz und Präzision, die eine fast greifbare Atmosphäre von Größe und Erhabenheit erzeugte.

Víkingur Ólafsson am Klavier präsentierte sich als wahres musikalisches Genie. Seine Spielweise zeichnete sich durch eine bemerkenswerte Bestimmtheit aus, die zugleich von anmutiger Leichtigkeit und Zielstrebigkeit getragen wurde. Ólafsson legte ein Charisma an den Tag, das von tiefen Emotionen, verspielten Ideen und einer majestätischen Nüchternheit geprägt war. Jede Note, die er anschlug, schien mit einer klaren Vision und einem inhärenten Verständnis für die musikalische Struktur und die emotionale Tiefe des Werkes durchdrungen zu sein. Seine Darbietung war nicht nur technisch brillant, sondern auch von einer intuitiven Sensibilität geprägt.

Ein herausragendes Merkmal des ersten Satzes waren die „Ausbrüche“ – plötzliche, kristallklare Klangexplosionen, die Víkingur Ólafsson am Klavier meisterhaft mit dem präzisen und ausdrucksstarken Spiel des Orchesters verbanden. Diese Ausbrüche, so kräftig und gleichzeitig so kontrolliert, waren wie ein Juwel, das durch die Hände des Pianisten in Form von Klängen unglaublich präzise geschliffen wurde. Sie entfalteten sich wie das Funkeln eines Diamanten im Zuschauerraum. Diese dynamischen Kontraste schufen eine faszinierende Balance zwischen Chaos und Kontrolle, Kraft und Feinheit. Es entstand hier ein interessanter Kontrast, einen Kontrast, den ich so noch nicht kannte: In den Ausbrüchen bleibt die Kontrolle ungebrochen, während in den ruhigen Stellen Ólafsson sich in einer tiefen Weite wiederfand. Diese Weite besaß  eine Offenheit, etwas, das den Geist förmlich frei machte.

Im zweiten Satz wird dies besonders spürbar: Das Orchester nimmt sich hier fast komplett zurück und lässt dem Klavier den ganzen Raum. Dieser Raum wird gefüllt mit Musik, die den Raum des Herzens sucht, die den ganzen Saal erfüllt mit einer schwer greifbaren Sehnsucht. Es ist, als ob die Töne selbst auf der Suche sind, nach etwas Tieferem in der Hoffnung, unsere Welt erfüllen zu können.

Die Musik des zweiten Satzes, Adagio, füllt den Raum mit einer tiefen, greifbaren Sehnsucht, die den Zuhörer in eine fast ewige Weite entführt. Ólafsson interpretiert dieses Werk mit einer solchen Feinfühligkeit, dass dieser ruhige Satz eine introspektive Tiefe offenbart, die den Geist erhebt und eine emotionale Freiheit vermittelt. Die Klänge breiten sich wie sanfte Wellen aus, die den Saal durchdringen und eine Atmosphäre schaffen, die den Geist beflügelt.

Man möchte, dass dieser zweite Satz niemals endet, niemals aufhört – und irgendwie schafft er es auch. Er dehnt diesen zweiten besonderen Satz, der durchaus nicht kurz ist, dennoch in eine ungreifbare Ewigkeit. Ólafsson gelingt es, die Zuhörer in eine zeitlose Welt zu versetzen, Die Kombination aus der intensiven Klarheit und der tiefen emotionalen Weite des zweiten Satzes schafft eine dynamische und harmonische Symbiose.

Im abschließenden Rondo. Allegro non troppo entfaltete sich das Brahms-Konzert in einer majestätischen Ekstase. Die Energie, die sich hier frei setzte, war wie Balsam für die Seele. Die klaren, präzisen Ausbrüche des Orchesters kombinierten sich mit Ólafssons lebendigen und dennoch kontrollierten Klavierpassagen zu einer dynamischen und mitreißenden Schlussphase. Die lebendige Energie und die präzise Ausführung machten diese Aufführung zu einem unvergleichlichen Erlebnis, das die Herzen der Zuhörer im Sturm eroberte.

Nach einer kurzen, erfrischenden Pause folgte Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 3 in Es-Dur, op. 55 „Eroica“. Edward Gardner führte das London Philharmonic Orchestra mit beeindruckender Expressivität und Präzision. Der erste Satz, Allegro con brio, wurde mit einer kraftvollen und zugleich graziösen Intensität dargeboten. Gardner setzte extreme Akzente, die den dramatischen Charakter der Sinfonie unterstrichen und eine fesselnde Spannung im Saal erzeugten. Die dynamischen Wechsel und die rhythmischen Akzente wurden mit solcher Präzision ausgeführt, dass die Musik eine packende Energie entfaltete.

Der zweite Satz, Marcia funebre. Adagio assai, vermittelte eine tiefe Schwere und Dunkelheit, die die zeitlose Macht und Tragweite von Beethovens Werk eindrucksvoll zur Geltung brachten. Das Orchester spielte mit einer solchen Präzision und Einfühlsamkeit. Es war, als ob die Tonalität unserer Zeit eingefangen und in die Herzen der Anwesenden übertragen wurde, wodurch die universelle Relevanz von Beethovens Komposition deutlich wurde. Die tiefgründige Emotionalität dieses Satzes schien die Seele des Publikums zu berühren und eine stille Reflexion über die Bedeutung von Freiheit und menschlicher Stärke zu fördern.

Das Scherzo. Allegro vivace begeisterte mit einer unglaublichen Ausdruckskraft. Es war fröhlich und gleichzeitig ambivalent, scharf und feierlich, durchzogen von einer leichten Aggressivität. Dieser Satz wirkte wie eine unruhige Feier. Die Verspieltheit des Scherzos stand im faszinierenden Kontrast zur ernsten Tiefe des vorherigen Satzes und demonstrierte die Vielseitigkeit und das breite emotionale Spektrum der Sinfonie. Die rhythmischen Akzente und die dynamischen Wechsel boten eine mitreißende Mischung aus Energie und Kontrolle, die das Orchester mit beeindruckender Präzision meisterte.

Im Finale. Allegro molto entfaltete sich die Musik in einem festlichen Reigen der Vielfalt und Tonalität. Jedes Detail schien ausgearbeitet, und die lebendige Energie des Orchesters führte zu einem fulminanten und bewegenden Abschluss der Sinfonie. Die Kombination aus kraftvollen Ausbrüchen und fein nuancierten Passagen schuf ein wahres Fest für die Seele, das den Saal mit einer überwältigenden Lebensfreude und musikalischen Fülle erfüllte. Gardner dirigierte das Finale mit einer solchen Leidenschaft und Präzision, dass die Musik in einem strahlenden Crescendo gipfelte, das die Zuhörer in ekstatische Begeisterung versetzte.

Die perfekte Balance zwischen technischer Präzision und emotionaler Tiefe machte diesen Abend zu einem wahren Höhepunkt und zu einem Erlebnis, dass das Erlebnis und die Klanggewohnheit auf ein neues ausweitet.

Als Zugaben präsentierte der Pianist den zweiten Satz der vierten Orgelsonate von Johann Sebastian Bach, in einer Bearbeitung von August Stradal, sowie „Le Rappel des oiseaux“ von Jean-Philippe Rameau. Im Anschluss an die „Eroica“ spielte das Orchester die „Valse Triste“ von Jean Sibelius.

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Autor:

Marko Cirkovic aus Durlach

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