LinkedIn Beiträge aus der Hölle
Voulez-vous un croissant?

Foto: Marko Cirkovic

Oh, wie unfassbar inspirierend! Ich meine, wer hätte gedacht, dass wir in einer Welt leben, in der ein simple Frage nach einem Croissant die ultimative menschliche Erleuchtung symbolisiert? Lasst uns doch alle kurz innehalten, um diese epochale Großtat zu würdigen, die in den Annalen der Menschheitsgeschichte zweifellos als Meilenstein der Nächstenliebe eingehen wird.

Stellt euch das bitte einmal filmisch vor: Dunkles Paris, 7:22 Uhr, 5 Grad, also quasi sibirische Bedingungen, und da formiert sich vor einer Bäckerei eine Schlange finster dreinblickender Anzug- und Rollkragenpulloverträger, die vermutlich gerade noch über Steuererklärungen oder philosophische Fragen zur Existenz von Croissants nachdenken. Und dann – das Wunder! Einer dieser Anstehenden hebt den Blick, wagt einen emotional verwegenen Augenkontakt mit einem benachbarten Obstverkäufer (dieser natürlich bis oben hin beladen mit metaphorischer Bedeutung), und fragt ehrfürchtig: „Voulez-vous un croissant?“

Fünf Wörter, die einen Sturm der Endorphine auslösen! Der Obstverkäufer – sichtlich gerührt bis in die Haarspitzen – legt seine Hand auf’s Herz, lächelt, und antwortet mit einem eleganten „Non, merci.“ So simpel, so erhaben. In diesem Moment ist es, als ob sich das Universum auftut und sanft wispert: „Habt ihr das gesehen? Hier, genau hier, vollbringt sich die nächste Stufe menschlicher Güte!“ Auf LinkedIn würde man jetzt wahrscheinlich eine orchestrierte Bildcollage von lächelnden Gesichtern, Pastellfarben und einem in der Luft schwebenden Croissant erwarten. Vielleicht noch ein Zitat von Marie Curie oder Elon Musk drunter, irgendwas wie: „Geben ist wichtiger als Nehmen. #StartWithKindness #RandomActsOfKindness #HumanityFirst.“

Wir reden hier von einem Akt der Intergalaktischen Freundlichkeit, der zweifelsfrei Nobelpreis-potenzial hat. Man kann geradezu riechen, wie weltweit Personalabteilungen ihre Führungskräfte-Workshops umschreiben: „Lerne von Pariser Croissant-Fragen!“, „Win-Win-Situationen: Der Obstverkäufer-Lehrsatz!“ oder „Wie Augenkontakt in der Schlange deine KPI um 300% steigert!“ Der CEO von irgendeinem Fortune-500-Unternehmen klopft sich gerade stolz auf die Schulter, weil er in Zukunft genau diese Story bei der Jahres-Kickoff-Veranstaltung vorträgt, um seine Manager zum unermüdlichen Streben nach Empathie und Mitgefühl anzuspornen.

Ich meine, vergessen wir mal all die Nichtigkeiten wie ehrenamtliche Arbeit in Krisengebieten, lebensverändernde medizinische Durchbrüche oder politische Friedensverhandlungen. Die wahre Essenz menschlicher Wärme offenbart sich doch offensichtlich in der Fähigkeit, einer fremden Person ein Croissant anzubieten – und das Ganze dann bitte sehr gefühlsschwanger auf LinkedIn zu teilen. Da blickt die Welt auf. Da leuchten die Augen, da pochen die Herzen. „Hach, was sind wir Menschen doch für herrliche, warmherzige Geschöpfe“, möchte man jauchzen.

Und natürlich – ganz wichtig! – schickt man im Anschluss direkt eine private Nachricht an die inspirierende Person, bedankt sich für die lebensverändernde Lektion und betet still, in Zukunft selbst einmal die Chance zu haben, jemanden da draußen, an einem grauen, kalten Morgen, in einer unscheinbaren Seitengasse von Montmartre, die Frage aller Fragen zu stellen: „Voulez-vous un croissant?“ Damit wir dann auch endlich sagen können: Ich war dabei. Ich habe #RandomActsOfKindness gelebt. Und wenn ihr es auf LinkedIn nicht gelesen habt – habt ihr es denn wirklich erlebt?

In diesem Sinne: Merci, Paris. Merci, LinkedIn. Merci, du güldene Ikone des modernen, sozialvernetzten Hedonismus. Die Welt ist ein besserer Ort, weil du uns daran erinnerst, dass ein gut gestelltes Angebot von Gebäck ein Leuchtturm der Menschlichkeit sein kann. Wo wären wir nur ohne dieses erhabene Nichts, das auf LinkedIn zu einem monumentalen Alles wird?

Autor:

Marko Cirkovic aus Durlach

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