Alkoholismus und Corona
Suchtberatung rechnet mit zeitversetztem Ansturm

Erst im Laufe dieses und des nächsten Jahres wird sich der durch Corona gesteigerte Alkoholkonsum auch in der Suchtberatung widerspiegeln | Foto: Mwabonje/Pixabay
  • Erst im Laufe dieses und des nächsten Jahres wird sich der durch Corona gesteigerte Alkoholkonsum auch in der Suchtberatung widerspiegeln
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Germersheim/Region. In Deutschland wird seit Beginn der Corona-Pandemie mehr Alkohol verkauft. Bundesweit gingen laut dem  Marktforschungsinstitut "GFK"  gut ein Drittel mehr Weinflaschen über die Ladentheken als im gleichen Zeitraum 2019. Auch bei klaren Spirituosen wie Gin oder Korn betrug die Steigerung 31,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Angst, Stress, Sorge um den Beruf, die durch Corona eingeschränkte Bewegungsfreiheit können zu Suchtverhalten führen und das ist in Deutschland nur allzu oft der Griff zur Flasche.
"Wir gehen davon aus, dass sich der Alkoholkonsum in den häuslichen Bereich verlagert hat und deshalb in der Öffentlichkeit weniger wahrnehmbar ist. Eine Zunahme des Konsums vermuten wir besonders bei Menschen, deren Alkoholkonsum vor Corona noch nicht als pathologisch einzuordnen war - möglicherweise bis hin zu einem bedenklichen Alkoholkonsum (täglicher Konsum und mehr als 100 Gramm reiner Alkohol pro Woche)", sagt Michael Manz von der Suchtberatung im Caritas-Zentrum Germersheim.  
Konsumenten illegaler Drogen bereitet ein Lockdown und die häusliche Isolation zu Beginn der Corona-Krise ganz andere Probleme, sie müssen sich ihre Suchtmittel ja überhaupt erst einmal beschaffen - das meist auf der Straße. Ein Problem, dass es beim Alkohol nicht gibt. "Da hängt das Konsummuster dann von der jeweiligen Verfügbarkeit der Substanzen ab", sagt Manz. 

Rückfallgefährdung steigt

Mit Corona sei besonders auch die Rückfallgefährdung trockener Alkoholpatienten angestiegen, vermutet er, weil sowohl alternative Verhaltensweisen wie das Pflegen von Hobbys und sozialen Kontakten erschwert wurde, als auch die soziale Kontrolle sich gleichzeitig drastisch reduzierte. "Außerdem ging durch die Schließung der Selbsthilfegruppen eine wichtige Anlaufstelle verloren", sagt er. Zudem weißt Manz darauf hin, dass die Corona-Zeit auch für Menschen mit einem pathologischen Internetgebrauch besonders schwierig ist und war. "Hier ergab sich eine schwierige Situation, weil eine verstärkte Internetnutzung im Alltag notwendig war und auch gesellschaftlich akzeptiert wurde", sagt der Suchtexperte.

Mit dem Verbot der Präsenzberatung in den Beratungsstellen verlagerte sich die Beratungstätigkeit vor allem auf das Telefon. "Dazu verzeichneten wir eine eher moderate Zunahme bei den Beratungsanfragen über unser Online-Beratungsportal", berichtet Manz. Seit Juni seien nun grundsätzlich Präsenzberatungen in der Beratungsstelle wieder möglich, aber in einem limitierten Umfang und unter konsequenter Einhaltung eines Hygienekonzepts - zum Schutz der Ratsuchenden und der Berater. "Soweit möglich und sinnvoll führen wir aber auch weiterhin Beratungen telefonisch und über unsere Online-Plattform durch", berichtet Manz. In Sonderfällen komme auch eine Beratung im Freien in Betracht. Besonders schwierig: Gruppenaktivitäten und Hausbesuche können immer noch nicht wieder durchgeführt werden.

Auswirkungen zeitversetzt

"In der Anfangsphase des Lockdowns hatten wir eine deutliche Reduzierung der Neuanfragen zu verzeichnen", erinnert sich Manz. "Bei den Kunden in der laufenden Beratung ergab sich dagegen teilweise ein höherer Gesprächsbedarf und auch eine höhere Beratungsfrequenz, die wir am Telefon bedienten". Aber auch das andere Extrem sei vorgekommen: Manche unserer Kunden zogen sich zeitweise zurück, um auf die Wiederaufnahme der Präsenzberatungen zu warten.
Seit Juni sei die Zahl der Neuanfragen wieder gestiegen, habe aber das Niveau in der Zeit vor dem Lockdown noch nicht wieder erreicht. "Erfahrungsgemäß dauert es längere Zeit von der Entwicklung eines Suchtproblems bis zur Kontaktaufnahme zu einer Beratungsstelle. Weil Scham und Hemmungen überwunden werden müssen oder die Betroffenen zunächst versuchen, selbst mit der Situation klar zu kommen. Insofern gehen wir davon aus, dass sich ein zusätzlicher Beratungsbedarf aus der Lockdown-Situation heraus erst zeitversetzt im nächsten Jahr zeigen wird", vermutet Michael Manz.

Ansprechpartner suchen

Dass es einen Anstieg des Alkoholkonsums gab, weiß auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: "Versuchen Sie, Ihren Tagesablauf so weit wie möglich aufrechtzuerhalten, sich auf Dinge zu konzentrieren, die Sie kontrollieren können, und versuchen Sie, entspannt zu bleiben – zum Beispiel durch tägliche Bewegung, Hobbys oder Entspannungsübungen", rät sie auf ihrer Internetseite www.kenn-dein-limit.de. "Halten Sie die räumliche Distanzierung ein, aber isolieren Sie sich nicht sozial: Rufen Sie Freunde, Kollegen, Nachbarn und Verwandte an oder schreiben Sie ihnen. Bitten Sie jemanden, dem Sie vertrauen, Ihnen als Ansprechperson zur Verfügung zu stehen – entweder persönlich oder am Telefon."

Was Suchtexperten wissen: Desinfektionsalkohol kann in häuslicher Isolation und in Zeiten von Corona leicht für Konsumzwecke zugänglich werden. Es ist daher wichtig, solche Produkte außerhalb der Reichweite von Personen zu halten, die sie möglicherweise missbrauchen könnten.

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Autor:

Heike Schwitalla aus Germersheim

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