Zum Equal Pay Day im Gespräch mit Ljubow Chaikevitch von FRAU VERHANDELT
Mit Plan B und klaren Vorstellungen in die Gehaltsverhandlungen
Equal Pay Day. „Als ich mein Studium beendet habe und dann auf Jobsuche war, wusste ich noch nicht einmal, dass Gehälter verhandelbar sind. Auch ich musste das erst lernen“. Ljubow Chaikevitch hat Wirtschaftswissenschaften studiert und 2018 in Karlsruhe das Unternehmen FRAU VERHANDELT gegründet. Ihr Anliegen ist es, die Differenz zwischen Gehältern von Männern und Frauen, die in Deutschland bei gleicher Arbeit und Ausbildung durchschnittlich immer noch bei sechs Prozent liegt, abzubauen und Frauen zu einer fairen, angemessenen Bezahlung zu verhelfen.
Frauen verdienen generell weniger – in Deutschland liegt der Pay Gap unbereinigt bei 19 Prozent: In erster Linie ist das so, weil sie seltener in Führungspositionen und häufiger in Teilzeit arbeiten. „Aber was mich wirklich erschreckt hat, ist die Tatsache, dass Frauen in Deutschland auch heute noch bei gleicher Arbeit und gleicher Qualifikation schlechter bezahlt werden. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, zu analysieren, warum das so ist und dagegen anzugehen“, sagt die 33-Jährige.
Vorbereitet sein auf alle möglichen Fragen - und Antworten
Aber warum ist das so? Die Spurensuche führte schnell zur Erkenntnis: Es liegt nicht nur an den Vorurteilen der Personaler und historisch geprägten Geschlechterrollen. Oft sind es auch die Verhandlungsstrategien, die bei Frauen grundliegend anders sind als bei Männern. Sie selbst habe für sich eigentlich immer erfolgreich verhandelt, und sei deshalb häufiger von Freundinnen und Bekannten um Hilfe gebeten worden. So hat sie 2018 ihr Unternehmen FRAU VERHANDELT gegründet und bietet unter diesem Dach auch kostenlose Livetrainings für selbständige und angestellte Frauen an, berichtet Ljubow Chaikevitch.
In ihrer Community auf Facebook und Instagram hat sie zudem eine Plattform geschaffen, auf der sich mittlerweile rund 30.000 Frauen regelmäßig austauschen und gegenseitig unterstützen.
Auf die Frage, was Frauen denn bei Bewerbungsgesprächen oder Gehaltsverhandlungen anders machen als Männer antwortet sie ganz klar und deutlich: „Frauen verhandeln schlichtweg seltener als Männer, fragen seltener schon beim Einstieg nach einem bestimmten Gehalt und werden deshalb mit ihren Vorstellungen auch häufiger abgeschmettert.“ Damit solche Erfahrung möglichst bald der Vergangenheit angehören, bietet sie auf ihrer Webseite auch ein kostenloses Training für Frauen an.
„In wenigen Schritten können Frauen das ändern“, ist sich Ljubow Chaikevitch sicher: „Zuerst erarbeitet man sich seinen eigenen Marktwert, fragt sich: Was ist meine Arbeit wert, was kann ich, worin bin ich gut, welche Erfolge kann ich vorweisen. Weiß ich das, verbessere ich das eigene Mindset und werde mir bewusst darüber, was ich dem Unternehmen bieten kann“, fasst sie gebürtige Russin zusammen. Dabei könne es schon helfen, eine Art Erfolgstagebuch zu führen und darin berufliche Highlights und Erfolge zu notieren, auf die man später bei Gehaltsverhandlungen oder Bewerbungsgesprächen zurückgreifen kann. „Ich muss meinem zukünftigen Arbeitgeber vermitteln können, wie er von meiner Einstellung profitieren kann, denn so eine Verhandlung ist letztlich nur erfolgreich, wenn beide Parteien danach zufrieden sind und wissen, wie sie voneinander profitieren“, sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin. Dabei sei es wichtig, dass man mit einer detaillierten Vorbereitung in ein solches Gespräch geht: „Ich muss meine Ziele vorab genau definieren: Was will ich verdienen, wie viele Urlaubstage will, möchte ich ein Home Office, Fortbildungen – auch die Themen außerhalb des Gehalts sind da immens wichtig.“ Die Vorbereitung auf eine Gehaltsverhandlung oder ein Bewerbungsgespräch mache 80 Prozent von dessen Erfolg aus, ist sich Ljubow Chaikevitch sicher. „Ich muss meine `magischen Zahlen` definieren und für mich vorab schon wissen, was ist beim Gehalt das unterste Limit, was ist die `Juhu-Grenze`, wo liegt der Bereich dazwischen, das sind quasi meine Leitplanken im Gespräch. Dann kann ich handeln. Ist die `Juhu-Grenze` erreicht, sage ich zu, liegt man unterhalb des tiefsten Gehaltslimits, sagt man ab und bei allem dazwischen nimmt man sich Zeit zum Nachdenken“, erklärt sie das strategische Vorgehen. Dabei sei ein Plan B extrem wichtig. „Je mehr Angebote ich vor einem Bewerbungsgespräch gesammelt habe, desto höher, desto besser kann ich pokern, davor sollte Frau nicht zurückschrecken, Absagen sind – von beiden Seiten völlig in Ordnung. Aber wenn ich nach einer Absage nicht weiß, wie ich meine Miete bezahlen soll, weil ich keinen Plan B habe, ist das natürlich wesentlich schwieriger.“
Frauen vernetzen sich und helfen sich gegenseitig
Wichtig sei es auch, so die 33-Jährige, sich auf so genannte „Totschlagargumente“ vorzubereiten: „Wir haben aktuell kein Budget“, „das ist den Kollegen gegenüber nicht fair“ – darauf kann Frau die richtigen Antworten finden und auch da liefert „frau verhandelt“ Ideen: „Jeden Donnerstag sammeln wir solche Argumente auf Instagram und diskutieren gemeinsam über die besten Antworten darauf“, erzählt Ljubow Chaikevitch.
Ihr Unternehmen bietet in einer Facebook-Gruppe und auf Instagram eine kostenlose Plattform für Frauen, die sich über Verhandlungsstrategien und Erfahrungen aus Bewerbungsgesprächen austauschen wollen. Rund 30.000 Frauen in ganz Deutschland nutzen das bereits, rund 600 von ihnen hat Ljubov bereits mit ihren Online-Kursen zum Karrieresprung verholfen. „Das sind ganz unterschiedliche Frauen, manche sind schon in Führungspositionen und wollen sich verändern, andere kommen gerade aus dem Studium und stehen vor dem Einstieg in den Beruf. Ich berate Frauen aus allen Einkommensschichten - selbständig, angestellt – ganz unabhängig von ihrem Bildungsniveau. Jede kann zu mir kommen und meine Hilfe in Anspruch nehmen“, sagt die Karlsruherin. „Ich merke einfach immer wieder, wie wichtig das Thema ist und will meinen Teil dazu beitragen, die Stellung der Frauen im Berufsleben zu verbessern.“
Info und Kontakt
https://frauverhandelt.de
https://www.instagram.com/frauverhandelt
https://www.facebook.com/frauverhandelt
Zum Equal Pay Day
Frauen in Deutschland verdienen laut Statistischem Bundesamt im Schnitt 19 Prozent weniger als Männer. Diese prozentuale Differenz zwischen Männer- und Frauenlohn im Verhältnis zum Männerlohn wird als Gender Pay Gap oder geschlechterspezifische Lohnlücke bezeichnet. Rechnet man den Prozentwert in Tage um, würden Frauen 69 Tage, vom 1. Januar bis zum 10. März 2021, umsonst arbeiten. Deshalb findet der Equal Pay Day in diesem Jahr am 10. März statt.
Die Equal Pay Day Kampagne wurde 2008 durch den Business and Professional Women Germany initiiert und wird seitdem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert. Weitere Informationen gibt es unter www.equalpayday.de
Autor:Heike Schwitalla aus Germersheim | |
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