Foto erzählt eine ganz besondere Geschichte
Hauenstein vor 80 Jahren

- Der mittlerweile verstorbene französische Fremdarbeiter (STO) Jean Pacreau aus der französischen Schuhstadt Cholet entdeckt bei der Eröffnung des Deutschen Schuhmuseums im Jahre 1996 ein unter Lebensgefahr aufgenommenes Foto von Karl Müller beim Einmarsch der Amerikaner am 23. März 1945 vor 75 Jahren. Er erkennt sich selbst darauf und konnte anschließend auch viel dazu beitragen, warum die Amerikaner das große Dorf ohne weiteres Blutvergießen einnahmen.
- Foto: Willy Schächter
- hochgeladen von Jürgen Bender
Hauenstein. Wir schreiben den Freitag, 23.März 1945 um die Mittagszeit: Für die Hauensteiner ist mit dem Einmarsch der Amerikaner der Zweite Weltkrieg endgültig beendet. Die Nachricht geht wie ein Lauffeuer durch das Dorf, und die Menschen kriechen erleichtert aus Kellern und den Felsen-Unterständen im nahen Wald. Auf dem Kreuzel und auf dem Felsen am Rauschloch sind seit dem Vortag die weißen Fahnen gehisst.
Der erste Hauensteiner Ehrenbürger Karl Kreuter (1876-1965) schreibt 1950: „Die Leute konnten die Keller verlassen, die Kampfhandlungen hatten sich gen Osten verzogen. Diejenigen, die die die Straße vom Hauensteiner Bahnhof nach Wilgartswiesen (gemeint ist die B 10) zu sehen Gelegenheit hatten, bot sich ein furchtbares Bild der Zerstörung: tote Soldaten, tote Pferde, zertrümmerte Geschütze….“
Anders in Hauenstein selbst: In Hauenstein haben einige französischen Fremdarbeiter – insgesamt arbeiteten von 1943-1945 rund 25 junge Franzosen in den Hauensteiner Schuhfabriken - die nervösen Amerikaner „Am Felsen“ von der friedlichen Stille im Ort überzeugen können. Sie fahren mit den einrückenden Amerikanern auf gepanzerten Fahrzeugen und Militär-Jeeps u.a. mit dem jungen Franzosen Jean Pacreau durch das Dorf, „ von der Bevölkerung mit Jubel begrüßt“ (Karl Kreuter).
Was nach 80 Jahren immer noch auffällt: Offiziell ist von diesen Ereignissen am 23. März vor 80 Jahren nur ein Foto erhalten. Aber dieses in der Tat für die Ortsgeschichte historische Foto hat geballten zeitgeschichtlichen Charakter: Unter Lebensgefahr griff der legendäre „Cafétier“ und Konditormeister Karl Müller (1899-1983) zu seiner Balgen-Agfa und bannte das Geschehen an der wichtigsten Kreuzung Haupt-/Landauer Straße/Marktplatz für immer auf Zelluloid.
Karl „Müka“ Müller erzählte oft die Geschichte dieses Fotos in dieser Situation vor genau 80 Jahren „Wenn sie mich beim Fotografieren erwischt hätten, wäre ich am Tag der Befreiung noch verhaftet worden“.
Er versteckte sich unter größter Vorsichtsmaßnahme hinter den Vorhängen seines Schlafzimmers im Obergeschoß seines legendären Café-Müller (heute Brillen-Fachgeschäft) und machte ein Foto, das neben dem geschichtlich-wertvollen Bildinhalt auch noch eine ganz andere Episode enthält, die erst Jahrzehnte später mehr durch Zufall eine wertvolle Deutungserweiterung erhalten hat: und dieser Tag war der 16. Juni 1996, der Tag der feierlichen Einweihung des Deutschen Schuhmuseums.
Der Bürgermeister hatte als besondere Ehrengäste auch die damaligen französischen STO-Fremdarbeiter mit ihren Frauen eingeladen, zumal der Arbeit dieser 25 jungen Männer von 1943-1945 eine besondere Vitrine gewidmet wurde. Und beim Ehrenrundgang mit der französischen Gruppe blieb plötzlich Jean Pacreau -mittlerweile selbst Chef seiner väterlichen Schuhfabrik in Cholet geworden- genau vor diesem Foto und starrte minutenlang auf das Foto von Karl Müller vom 23. März 1945. Er zupfte den Museumsführer zu sich heran, zeigt mit dem Finger auf die rechts auf dem Foto zu sehende Gruppe und artikulierte mit bebender Stimme: Monsieur Willy, celui-ci, c„est moi“ –„ Willy, der da, das bin ich“. Unglaublich nach fünf Jahrzehnten, und ein besonderer Augenblick für alle. Und wenige Sekunden danach entstand nochmals ein ganz besonderes -Foto und zeigt genau den Augenblick, als Jean Pacreau, den man damals wegen seines ähnlichen Aussehens mit dem berühmten Filmschauspieler auch „Jean Gabin“ nannte, sich auf diesem Kriegsende-Foto 50 Jahre später wieder erkannte.
Der Rest ist Geschichte: Jean Pacreau, Hubert Gueniot, Roger Marino und alle anderen jungen Franzosen, die jetzt alle verstorben sind, erzählten von ihren Erinnerungen an das Kriegsende, und wie sie den Amerikanern in aller Hergottsfrühe des 23.März 1945 an den Felsen entgegengingen, um sie zu bitten, das Dorf zu schonen: Eine Geste der jungen Franzosen, die auch heute noch nach 80 Jahren mehr als nur ein Zeichen des Friedens bleibt.
Übrigens: Da vor allem Hubert Guéniot, Roger Marino und Jean Pacreau auch als sehr treue Katholiken galten, die das volle Vertrauen des Pfarrers und Prälaten Georg Sommer (1881-1968) besaßen, führten die jungen Franzosen die amerikanischen Offiziere ins Pfarrhaus. Bei diesem Treffen wurde dann auch der neue Bürgermeister bestimmt. Es war der charismatische Franz Seibel, ein Bürgermeister mit Herzblut und sozialem Engagement, der ab der „Stunde Null“ den Hauensteinern half, die schlimmsten Nachkriegsjahre zu überstehen. Der Unfalltod von Franz Seibel („Grouse Franz“) nur fünf Jahre später im Jahre 1945 war für die Gemeinde ein großer Verlust: “Das Dorf stand tagelang unter Schockstarre“, lesen wir vom Tod dieses großen Bürgermeisters.
Autor:Jürgen Bender aus Annweiler |
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