Angesichts Nähe zu Frankreich
Landkreis Südwestpfalz verhängt „eingeschränkte Ausgangssperre“
Südwestpfalz/Hauenstein. „Als weitere kontaktreduzierende Maßnahme aufgrund des Aufkommens von SARS-CoV-2-Infektionen in Rheinland-Pfalz“ verhängt der Landkreis Südwestpfalz per Allgemeinverfügung eine „eingeschränkte Ausgangssperre“ und begründet diese in der Präambel mit der Nähe zu Frankreich: „Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 verbreitet sich im direkt an den Landkreis Südwestpfalz angrenzenden Hochrisikogebiet Grand Est (Frankreich) mit weiteren Infektionen bis hin zu Todesfällen. Es muss alles dafür getan werden, eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Deshalb sind erhöhte Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung erforderlich.“
Diese Allgemeinverfügung wurde erlassen nach Paragraph 28 Absatz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) und sei laut Kreisverwaltung seit heute (21. März 2020) null Uhr in Kraft, dem „Tag nach ihrer Veröffentlichung auf der Internetseite des Landkreises Südwestpfalz“. „Für Verstöße gegen die Regelungen dieser Verfügung wird die Anwendung von unmittelbarem Zwang angedroht.“ (Ziffer 6)
Untersagt wird „das Betreten öffentlicher Orte.“ Dazu zählten insbesondere Straßen, Wege, Gehwege, Plätze, öffentliche Grünflächen und Parkanlagen sowie der Wald. (Ziffer 1) Ausgenommen seien „begründete Betretungen“, darunter Gefahrensituationen, erforderliche Heilbehandlungen, Betreuung von und Hilfeleistung für unterstützungsbedürftige Personen, zur Deckung der „Grundbedürfnisse des täglichen Lebens“, berufliche Zwecke, Unterbringung von Kindern in der Notbetreuung, sowie Trauungen und Bestattungen im engen Familienkreis. Öffentliche Orte gemäß Ziffer 1 dürften maximal zu zweit oder mit Personen die im gemeinsamen Haushalt leben „zügig durchschritten“ werden. Dies gelte auch „zur unabdingbaren Versorgung von Haustieren, die ins Freie verbracht werden müssen“. (Ziffer 2)
Bei der Inanspruchnahme von Ausnahmen sei sicherzustellen, dass grundsätzlich ein Abstand von mindestens 1,50 Metern eingehalten wird.
Verbandsgemeinde Hauenstein wird Verfügung umsetzen
Auf Anfrage war von der Verwaltung der Verbandsgemeinde Hauenstein zu erfahren, dass dort die Allgemeinverfügung des Landkreises umgesetzt werden soll. Ab heute 14 Uhr würde diese per Lautsprecherwagen bekannt gegeben. Man werde schauen, wie sich die Bürgerschaft verhält, nicht mehr und nicht weniger. Schon bisher hielten sich „sehr viele“ an die vorangegangenen Empfehlungen und Verordnungen, wird anerkannt. Zur Frage ob die die Verfügung ausnahmslos inhaltlich zweckdienlich sowie rechtssicher ist wolle man sich zunächst nicht äußern.
Die Durchsage per Feuerwehrfahrzeug: Signal „Martinshorn“ - „Achtung! Achtung! - Aufgrund der Allgemeinverfügung des Landkreises Südwestpfalz weisen wir auf folgendes hin: Wir appellieren an Ihre Vernunft. Bleiben Sie zuhause und vermeiden Sie Menschenansammlungen. Kontrollen werden erfolgen. Weitere Informationen entnehmen Sie bitte der Presse und der Homepage der Verbandsgemeinde Hauenstein.“ Dazu spontan eine Anwohnerin: „Das wirkt gespenstisch und macht mir Angst“.
In Pirmasens und Zweibrücken gelten abweichende Verfügungen
Die kreisfreien Städte Pirmasens und Zweibrücken, die innerhalb des Landkreises sowie im Bereich des Gesundheitsamtes Südwestpfalz liegen, haben die jüngste Verfügung des Landkreises nicht übernommen, sondern ihre bestehenden Verfügungen erweitert. Dies sei laut Mitteilung der Stadt Pirmasens von heute „in enger Abstimmung mit … dem Landkreis Südwestpfalz … (und) nach Absprache mit dem zuständigen Gesundheitsamt“ erfolgt. Oberbürgermeister Markus Zwick fordere in einem gemeinsamen Schreiben mit Zweibrückens Bürgermeister Christian Gauf die Landesregierung auf, eine klare Position gegenüber einer generellen Ausgangssperre zu beziehen. „Unterschiedliche Ausgangsbeschränkungen von Kommune zu Kommune schaffen Verunsicherung“, so Oberbürgermeister Zwick. Er unterstütze ausdrücklich, dass Bund und Land das Wochenende nutzen wollen, bevor eine so wichtige und weitreichende Entscheidung getroffen werde, die den Alltag womöglich noch stärker als bisher schon einschränke. „Wir selbst haben es in der Hand“, appelliert Oberbürgermeister Zwick an die Vernunft der Bevölkerung.
Information
Die „Allgemeinverfügung über eine eingeschränkte Ausgangssperre“ vom 20. März 2020 ist einzusehen im Internetauftritt des Landkreises.
Meinungsbeitrag: Schuss aus der Hüfte?
Es ist zu begrüßen und anzuerkennen wenn Politiker und Verwaltungen zügig agieren und reagieren sowie Verantwortung übernehmen und Mut zeigen. Zur Verantwortung gehört auch, Erfordernis und Auswirkungen sorgfältig zu prüfen, trotz aller Eile. Zu fragen bleibt, ob wirklich derart „Gefahr im Verzug“ ist, dass am Freitagabend eine Verfügung erlassen werden muss mit Wirkung ab Samstag(!) null Uhr. Verfügungen erlagen Rechtskraft (erst) durch Verkündung. Die „Veröffentlichung auf der Internetseite des Landkreises Südwestpfalz“ genügen zu lassen, dürfte rechtlich Neuland beschreiten.
Die „Zweite Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz“, erlassen gestern (20.März) von der Ministerin für Soziales verlangt „Allgemeinverfügungen der Kreisverwaltungen … sind im Einvernehmen mit dem Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie zu erlassen.“ (§ 3)
Am morgigen Sonntag (14 Uhr) soll der „Große Krisenstab“ von Bund und Ländern per Telefon konferieren, ist zu vernehmen. Verlautbarungen zufolge auch mit dem Ziel, Ausgangsperren zu vermeiden, sowie einen „Flickenteppich“. Zu fragen bleibt, ob (mit anderen) der Landkreis Südwestpfalz einen Tag vorher agieren musste. Es werden die Verfassungen von Land und Bund tangiert.
Die Bürgerschaft muss erforderliche Maßnahmen verstehen und tragen können. Dazu müssen diese einsichtig und nachvollziehbar sein sowie erläutert werden. Ob die als Einziges angeführte Nähe zum angrenzenden „Hochrisikogebiet Grand Est“ geeignet und schlüssig ist für die angeordneten drastischen Einschränkungen im gesamten Landkreis, kann hinterfragt werden.
Die nationale Grenze ist bereits wieder aufgerichtet. Das könnte diesbezüglich genügen. Es sollte bedacht werden welche Eindrücke solche Begründungen bei unsere befreundeten Nachbarn im Elsaß möglicherweise hinterlassen.
Aus Baden-Württemberg meldet das Wissenschaftsministerium, dortige Universitätskliniken würden neun Patienten aus Frankreich aufnehmen, die dringend auf Beatmung angewiesen sind. Ministerpräsident Kretschmann habe die entsprechende Zusage gegeben.
„Es darf kein Wettbewerb entstehen, wer ist der schärfte Hund“, warnte vor wenigen Tagen Robert Habeck, Co-Bundesvorsitzender von B90/Grüne. Heute äußerte sich der Mainzer Oberbürgermeister und Städtebund-Präsident Michael Ebling identisch und schlug alternativ vor: „Wir sollten uns fragen, welche Maßnahme ist am wirksamsten“. Ebenfalls vor wenigen Tagen brachte es der unzweifelhaft sachverständige Vizepräsident des Robert-Koch-Institutes auf den Punkt: „Alles ist gut was Abstand bringt. Dazu gehört auch Aufenthalt im Freien.“ Dem ist nichts hinzuzufügen außer der Appell an unsere Politikerschaft, dieser Faustregel Geltung zu verschaffen - ab sofort auch bei sich selbst.
(Werner G. Stähle)
Autor:Werner G. Stähle aus Hauenstein |
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