"Otterberger Stube": Armut hat viele Gesichter
Otterberg. Der Weg über die Treppe hinunter in den Keller der Otfried-Preußler-Grundschule in Otterberg ist schmal. Wer die Stufen hinabsteigt, ist entweder einer der ehrenamtlichen Helfer der "Otterberger Stube" oder einer der Bedürftigen, der Lebensmittel erhält. Ähnlich den "Tafel"-Vereinen werden auch hier noch verwertbare Lebensmittel gegen einen geringen Obolus ausgegeben, um sie vor der Mülltonne zu bewahren und damit arme Menschen zu unterstützen. Nur steht hier die protestantische Kirchengemeinde dahinter.
Von Monika Klein
Es gibt viele Definitionen für Armut. Heruntergebrochen bedeutet arm zu sein, unter einem Mangel zu leiden. Dabei kann es sich um Existenzielles wie ausreichend Nahrung handeln, aber auch um finanzielle Mittel. In unserer Gesellschaft hängt beides miteinander zusammen. Den Menschen, die zur "Otterberger Stube" kommen, fehlt es in erster Linie an Geld. Geld, das, müssten sie es für Lebensmittel ausgeben, eine Lücke reißen und an anderer Stelle Verzicht und Entbehrung bedeuten würde.
59 Familien mit bis zu zehn Kindern, sieben Paare und zwölf Einzelpersonen kommen aktuell regelmäßig zum "Einkaufen" hierher. Einer davon ist Klaus Schmadel. Der 68-Jährige aus Otterbach ist Diplom-Chemiker und hat 1994 promoviert. Etwa 30 Jahre lang hat er in seiner beruflichen Laufbahn nicht gearbeitet, entsprechend gering ist seine Rente. Hinzu kommen Grundsicherung und eine Aufwandsentschädigung für eine Nebentätigkeit. Nach Abzug der laufenden Kosten bleiben ihm noch etwa 400 Euro monatlich zum Leben. "Das reicht kaum. Wenn ich nicht hierher kommen könnte, wäre es schwierig über die Runden zu kommen", erzählt er.
Schmadel steht mit seinem Trolley und einer Tasche in einem der Kellerräume. Auf den Tischen ringsum sind Körbe mit Obst und Gemüse abgestellt. "Wollen Sie Spitzkohl? Und Champignons? Und Kürbis?", will Ute Cherdron, eine der ehrenamtlichen Helferinnen, von ihm wissen. Der Rentner bejaht, packt ein und greift beim Verlassen des Raumes nach einem Kräutertopf. Ob er Scham empfinde? "Nein", antwortet er und schüttelt den Kopf.
Schmadel gehört zu dem einen Drittel Deutscher, die die "Otterberger Stube" aufsuchen, zu zwei Dritteln sind es Flüchtlinge und Migranten. Vor neun Jahren hat Harry Albrecht die Pfarrstelle der protestantischen Kirchengemeinde Otterberg angetreten und damit sieben Jahre nach der Gründung der "Otterberger Stube". Der Pastor geht davon aus, dass diese Einrichtung nicht dem "Tafel"-Verbund angeschlossen ist, weil man so freier in der Entscheidung sei und keine vereinsrechtlichen Vorgaben erfüllen müsse.
Scham kann eine Rolle spielen
Ob Scham manche Armen davon abhält zu kommen, kann Albrecht nicht wirklich einschätzen. "Ich kann nur vermuten, dass es so ist. Es gibt ja auch arme Deutsche. Bei den Zugezogenen ist das nicht so, sie haben kein öffentliches Ansehen zu verlieren." Jenny Krämer sieht das ähnlich. "Ich denke schon, dass mehr Leute kommen würden, aber sie wollen sich nicht an die Treppe stellen." Die stellvertretende Leiterin denkt dabei an Alleinerziehende, Senioren oder auch an Menschen, die ein Quäntchen zu viel und damit keinen Anspruch auf die Lebensmittel haben.
Krämer ist seit Beginn im Jahr 2008 dabei, seitdem hat sie durchmischte Erfahrungen gemacht – mit den Bedürftigen und mit den Mitmenschen. "Manche mäkeln, dass sie dieses oder jenes nicht wollen, aber die meisten sind dankbar. Wir fragen aber auch gezielt, was sie wollen, oder wir wissen es", sagt sie. Ihr sei auch schon zugetragen worden, dass Lebensmittel in den Müll geworfen werden. "Aber beobachtet habe ich das noch nie." Ärgern kann sie sich über die Vorurteile und Anfeindungen, die den Zugezogenen oft genug entgegengebracht werden – und nicht selten von finanziell gut gestellten Personen. Sie wünscht sich mehr Menschlichkeit. "Man muss doch auch sehen, dass sie so viel verloren und was sie durchgemacht haben."
So jemand ist Asya aus der Ukraine. Ihren Nachnamen will die 57-Jährige, die in Otterbach wohnt, nicht nennen. "Ich versuche, jede Woche zu kommen, sonst würde das Geld nicht reichen", erzählt sie. Im März 2022 ist sie nach Deutschland geflüchtet – nur mit einem Rucksack, den Kleidern auf ihrem Leib und einer Corona-Infektion. Sie zeigt auf ihre Winterjacke. "Die und andere Kleider habe ich von den Ärzten und Krankenpflegern aus dem Krankenhaus bekommen." Tränen steigen auf. "Danke, danke Deutschland, danke."
Für Asya ist der Krieg nicht über 2000 Kilometer entfernt. Sie zieht ihr Smartphone aus der Tasche und wischt übers Display, um Fotos von ihrem Heimatort zu zeigen, der stark umkämpften Stadt Charkiw. Erst in der Nacht wurden ihr die Aufnahmen zugeschickt. Zu sehen sind die aufgerissene Fassade eines Wohnblocks, meterhohe Trümmerhaufen, kurz: Bilder der Zerstörung. "Das ist das Viertel, in dem ich gewohnt habe. Auch mein Haus ist kaputt." Ihre Stimme bricht, sie atmet tief durch. Noch einmal sagt sie: "Danke, danke, danke. Ich bin sehr dankbar in Deutschland zu sein."
Offiziell öffnet die "Otterberger Stube" um 12 Uhr, aber schon vorher stehen die Türen offen für diejenigen, die zum Bus und zum Sprachunterricht nach Kaiserslautern fahren, und für die Ehrenamtlichen. "Hallo, hier kommt die letzte Fuhre." Barbara und Bernhard Urbanczyk stellen zwei Tragekörbe mit Milchprodukten ab, die von Wolfgang Bäcker in die Kühlschränke eingeräumt werden. Das Trio gehört zu den Helfern, die die Lebensmittel aus 14 Märkten und Discountern sowie von Bäckereien und einem Obst- und Gemüseladen abholen und einräumen. Insgesamt sind es 25 Menschen, meist rüstige Rentner, die sich einbringen. Freiwillige sind willkommen.
In diesem Raum schwängert der Duft nach Backwaren die Luft. In Regalen liegen Brotlaibe und Brötchen, in Tüten sind diverse Kaffeeteilchen verpackt. Leyla Türk aus Niederkirchen und ihr Mann kommen mit zwei Taschen und einem Trolley herein. Vor einem Jahr ist die siebenköpfige Familie aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Die Sprachbarriere ist groß, eine Unterhaltung selbst mit Übersetzungssoftware auf dem Smartphone nicht wirklich möglich.
Draußen an der Treppe hat sich eine Menschengruppe versammelt. Jeder hat einen Zettel mit einer Nummer bekommen. Die Räumlichkeiten sind beengt, es soll geordnet zugehen. Zwischen den beiden Ausgaben gibt es ein Durchgangszimmer, in dem Regale stehen. Gespendete Tassen, Teller und anderer Hausrat und Bekleidung werden hier zum kostenlosen Mitnehmen ausgelegt. Noch vor wenigen Minuten lag in einem der Fächer eine Kinderjeans. Jetzt ist der Platz leer.
Autor:Monika Klein aus Kaiserslautern |
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