Interview mit Martina Berscheid
Tiefgehende Blicke in die Risse der Gesellschaft
Kaiserslautern. Barbara Miklaw vom Mirabilis-Verlag zeigte sich auf der Frankfurter Buchmesse nach der Lesung sehr zufrieden mit Martina Berscheid – Denn sie leuchte in ihren Texten stilsicher und mit viel Empathie die verschiedensten Charaktere in deren sozialen Umfeld aus. Berscheid besitzt ein Faible für eher unscheinbare, stille Menschen. Von Edward Hopper gibt es das berühmte Bild Nighthawks. Menschen sitzen in der Nacht desillusioniert an einer kühlen Bar. Berscheid widmete diesem Titel sogar eine Kurzgeschichte. In ihren Geschichten tritt oft eine Zäsur ein. Das sich mühselig drehende oder auch gut geölte Lebensrad kollabiert hinter der Fassade, wendet sich überraschend in eine neue Richtung. Das sorgt unter Einbezug ihrer ungewöhnlichen Erzählkunst für einen wirkmächtigen subtilen Spannungsbogen. Die Autorin vermittelt oftmals Lichtblicke, doch ein typisches Happy End findet realistischerweise nicht statt. Die Leser wissen aber wohl zu schätzen, dass i.d.R. nach üblen Erfahrungen eine Besinnung auf das Wesentliche einkehrt.
Aber ja doch, ein Hauptthema ist die Liebe und Bindungsstörungen, das Loslassen und das Nichtloslassen im Rahmen der großen gesellschaftlichen Strömungen:
Ich weiß nicht, ob ich begreifen möchte, worauf sie hinauswill. Schon mehrfach hat sie während unseres Gesprächs diesen Weg eingeschlagen, einen dunklen, zugewucherten Pfad, den Fabian und ich vorher nicht gesehen haben.
Nicht sehen sollten.
Nicht sehen wollten.
Ein Weg, der zu Erinnerungen an nächtliche Streitereien führt, bei denen Worte flogen wie Pfeile. Es ging um Geld, das Mama nicht verdiente und das Papa ihr nicht zugestehen wollte, um Urlaube in Frankreich, die dann doch in Tirol endeten. Es ging um Liebe, die nicht benannt wurde, weil sie sich bereits langsam verflüchtigte, und die vergebliche Sehnsucht danach.
Wollte sie uns das zeigen?
(Martina Berscheid: Zitat aus der Geschichte "Kreuzverhör")
Interview mit Peter Herzer
Du bist in Kaiserslautern geboren und warst dort Mitglied der ehemaligen Mitternachtsschreiber. Welche Bedeutung hatten sie für deine literarische Entwicklung?
Berscheid: Eine große Bedeutung. Teil einer Schreibgruppe zu sein, war für mich eine Bereicherung, literarisch, aber auch menschlich. Über die eigenen Texte zu diskutieren, erstes Feedback zu bekommen, bevor man sie in die Welt lässt, ist für Autor:innen meiner Meinung nach von großem Wert, vor allem zu Beginn des Schreibens, wenn noch eine große Unsicherheit bezüglich des eigenen Stils, der Themen, des Spannungsaufbaus etc. besteht. Ich war für diese Unterstützung unheimlich dankbar. Mit manchen ehemaligen Mitgliedern dieser Gruppe besteht bis heute eine ganz enge Freundschaft, und ich vertraue nach wie vor auf deren kritisches Leseauge und ihr ehrliches Feedback. Das hilft mir ungemein.
Zudem hatte ich mit den „Mitternachtsschreibern“ erste Lesungen, was für meine späteren Veranstaltungen sehr hilfreich war. Ich erlangte eine gewisse Routine und konnte lernen, mit der Aufregung, die ich nach wie vor habe, umzugehen.
Auffällig in deinen Texten, gleich Rosinen im Teig verstreut, sind hoch kreative Wortschöpfungen wie: „Eva wandte sich ab und blickte aus dem Fenster zum Himmel, der dunkelviolett gefärbt war wie ein Körper voller Hämatome." Sind diese ein bewusst eingesetztes Stilmittel oder kommt es dir spontan beim Schreiben?
Berscheid: Tatsächlich tauchen viele Sprachbilder beim Schreiben selbst auf. Das ist auch etwas, das ich besonders liebe: sich in den Worten verlieren, schauen, was da alles aufs Papier drängt, inhaltlich, aber auch sprachlich. Manchmal habe ich das Gefühl, das Schreiben verselbstständigt sich von selbst.
Hin und wieder sind diese Wortschöpfungen oder Sprachbilder auch bewusst gesetzt. Ich habe mittlerweile ein Sammelsurium an Notizbüchern, ohne etwas zu schreiben verlasse ich fast nie das Haus. Darin schreibe ich auf, was mir unterwegs so zufliegt. Manchmal passt es dann zu einem Text, einer Figur, einer Handlung, die ich gerade oder später verfasse.
Schreiben ist ja nicht nur der Akt des Wörter Aneinanderreihens. Schreiben ist auch ganz viel Denken, Sammeln, Aufspüren, Auseinandersetzung.
Kritiker loben deine hohe Empathie und tiefgründige Einblicknahme in soziale Verhältnisse. Prinzipiell fokussierst Du den ganz normalen Mittelschicht-Bürger im Hamsterrad der großen Strömungen, die er offenbar nicht beeinflussen kann. Du vermittelst den Menschen aber regelmäßig die Chance zur Weiterentwicklung. Warum beschleicht einen beim Lesen das Gefühl der Generation X, an einem Hang zu stehen, verbunden mit der unterschwelligen Angst, abzurutschen?
Berscheid: Das Leben bietet keine 100prozentige Sicherheit. Nie. Egal, ob das Beziehungen sind, die Arbeit, soziale oder politische Verhältnisse (wie man derzeit erschreckend an rechten, demokratie- und frauenfeindlichen Strömungen sieht), Gesundheit, der eigene Wohlstand. Ich glaube, momentan beschleicht viele die Angst, dem Leben nicht mehr gewachsen zu sein, es wirtschaftlich nicht mehr zu schaffen. Oder psychisch. Die aktuellen Krisen, Kriege und der zunehmend rauere gesellschaftliche Ton verstärken das natürlich. Aber Hoffnung gibt es immer und ich möchte auch in meinen Texten aufzeigen, dass eine Entwicklung möglich ist, so düster sie zuweilen sein mögen.
Viele deiner Geschichten besitzen etwas Szenisches. Kannst Du dir vorstellen, dass deine Protagonisten eines Tages leibhaftig auf der Bühne stehen?
Berscheid: Oh ja – das wäre wunderbar. Tatsächlich fühlt sich mein Schreiben auch oft so an, als beobachte ich eine Szene, einen Film, den ich nur nacherzählen muss. Beim Schreiben meines Romans „Die Klassenkameradin“ hatte ich bei der Figur „Eva“ sogar eine Schauspielerin vor Augen, die meiner Meinung nach optimal geeignet wäre, sie zu spielen.
Du trägst gern einen passenden Seidenschal zum Cover Deines Erzählbands „Fremder Champagner“ – „The more you see“ von Florian L. Arnold. Hat es damit eine besondere Bewandtnis?
Berscheid: Meine liebe Verlegerin vom Mirabilis Verlag hatte die schöne (Marketing-) Idee, das Cover auf Schals zu drucken – das Tuch zum Buch. Wenn ich ihn trage, ist das aber nicht nur Werbung. Eher wie eine Art Talisman und Ausdruck von Verbundenheit und auch Dankbarkeit, dass mein Buch in diesem tollen Verlag erschienen ist.
Ein klares JA für eine starke Demokratie – einen solchen Aufruf wirst Du sicher unterschreiben. Was bedrückt dich gegenwärtig am meisten?
Berscheid: Der Rechtsruck und die misogynen Strömungen, die damit verbundene Gewalt, gegen Frauen und Andersdenkende, gegen queere Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund. Von Gleichberechtigung waren wir ja sowieso noch ein gutes Stück entfernt, aber es drohen Rückschritte, die mich sehr beunruhigen. Was beispielsweise in Afghanistan passiert, ist so erschreckend. Aber nicht nur dort, überall auf der Welt. Umso wichtiger ist es, die Demokratie zu stärken, aufzuklären, zusammenzuhalten.
Ich glaube, es ist wichtig, für sich eine gewisse Konstante zu schaffen, zumindest einen oder ein paar Menschen zu haben, auf die man sich verlassen kann. Sich mit Gleichgesinnten zusammentun, wie bei den Demos für Demokratie und Toleranz, habe ich selbst als sehr bestärkend empfunden. Solidarität, Freundschaft und Zusammenhalt sind von unschätzbarem Wert, das erlebe ich selbst immer wieder und bin sehr dankbar dafür.
Viele kleine Verlage krebsen aufgrund der gestiegenen Papier- und Energiepreise am Limit. Ist das für dich spürbar oder bist Du derzeit einfach happy?
Berscheid: Für mich persönlich ist es – derzeit - nicht spürbar, ich bin sehr froh über die Veröffentlichung meiner beiden letzten Bücher, den Zuspruch und den vielen positiven Rückmeldungen. Aber ich bekomme die Krise natürlich mit. Mein erster Roman „Das Echo unseres Schweigens“ ist ja auch in einem kleinen Verlag erschienen, der leider der Pandemie quasi zum Opfer gefallen ist.
Es sind jedoch gerade die kleinen, unabhängigen Verlage, die für literarische Vielfalt sorgen, die abseits vom Mainstream publizieren, Talente und wichtige Stimmen fördern, Experimentelleres zulassen. Das kommt vermutlich auch durch die Aufmerksamkeit einiger Blogger, die über diese Bücher und Verlage berichten. Auch der Verlagspreis 2024, den ja auch meine Verlegerin vom Mirabilis Verlag erhalten hat, richtet den Fokus auf Verlage und Literatur abseits des Mainstreams. Mein Bewusstsein hat sich diesbezüglich vollkommen gewandelt. Ich lese sehr viel aus unabhängigen Verlagen, bestelle Bücher in Buchhandlungen, besuche deren Stände auf Messen. Was die Förderung dieser Verlage angeht, da würde ich mir wünschen, dass kulturpolitisch und finanziell gerne noch mehr getan wird. Und dass sich Leserinnen und Leser zunehmend dort umschauen, denn: Es lohnt sich!
Biografische Notiz
1973 geb. in Kaiserslautern. Abitur und Studium Biologie an der RPTU. 1999 journalistische Ausbildung in Frankfurt. Von 2000 bis 2004 PR-Referentin in einem Softwareunternehmen. Tätigkeiten als Volkshochschuldozentin, Alltagshelferin und im Einzelhandel in der Gesundheitsbranche. Berscheid liebt Rockmusik und setzt sich für notleidende Hunde ein.
Als Autorin veröffentlichte sie seit 2010 in Anthologien und Literaturzeitschriften, schrieb Romane und Erzählbände.
Hans-Bernhard-Schiff-Literaturpreis der Stadt Saarbrücken für die Kurzerzählung "Seit" (2015).
2020 stand ihr Manuskript "Die Klassenkameradin" auf der Longlist des Blogbuster Preises.
Berscheid wohnt in Homburg/Saar.
Buchtipp:
Martina Berscheid: Die Klassenkameradin. Roman. Edition Schaumberg 2023, ISBN 978-3-910306-06-6.
Martina Berscheid: Fremder Champagner. Erzählungen. Mirabilis, Klipphausen/Miltitz 2024, ISBN 978-3-947857-25-8
Autor:Peter Herzer aus Kaiserslautern |
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