Karlsruher Wissenschaftler schauen genauer hin
Einblick in die Tiefenschichten des Misserfolgs beim Fußball

Wenn der Ball plötzlich eckig wird: Eine neue Studie untersucht die Psychodynamik von Teamkrisen im Profifußball | Foto: Gabi Zachmann, KIT
  • Wenn der Ball plötzlich eckig wird: Eine neue Studie untersucht die Psychodynamik von Teamkrisen im Profifußball
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Karlsruhe. Die Europameisterschaft steht vor der Tür – und mit ihr die Hoffnung auf Sieg und die Angst vor der Niederlage. Wie sich Misserfolge auf die Psyche der Spieler auswirken und der gefürchteten Abwärtsspirale entgegengewirkt werden kann, haben Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) in einer kürzlich veröffentlichten Studie untersucht. Im "German Journal of Exercise and Sport Research" zeigen sie, wie lang anhaltende Krisen mit unerwarteten Misserfolgen beginnen und sich in der Folge, auf individueller wie auf mannschaftlicher Ebene, psychodynamisch zuspitzen. Für die Praxis fordern die Autoren ein verstärktes Augenmerk auf Strategien zur Prävention beziehungsweise Bewältigung solcher Krisen.

Zum heutigen Beginn der Fußball-Europameisterschaft vergegenwärtigt sich mancher Sportfan noch einmal die teilweise dramatische Misserfolgsgeschichte der deutschen Männer-Fußballnationalmannschaft seit ihrem WM-Triumph in Brasilien. Ob ein neues „Sommermärchen“ die nunmehr zehnjährige Durststrecke beendet, werden die anstehenden Partien zeigen. Offensichtlich ist jedoch, welch negative und anhaltende Dynamik Teamkrisen wie diese entfalten können. Hier setzte das Forscherteam um den Sportpsychologen Professor Darko Jekauc vom Institut für Sport und Sportwissenschaft (IFSS) des KIT an: „Unsere Studie beleuchtet die tief verwurzelten psychologischen und sozialen Mechanismen, die Fußballteams in Krisenzeiten beeinflussen. Die Ergebnisse vermitteln ein ziemlich ganzheitliches Bild davon, wie sich Krisen im Fußball entwickeln und welche Faktoren ihre Entwicklung fördern.“

Im Strudel negativer Dynamiken
Eine qualitative Analyse von ausführlichen Interviews mit sechs aktuellen und drei ehemaligen Profifußballern ergab, dass eine Krise damit beginnt, dass das Team selbstgesteckte oder von außen angetragene Erwartungen nicht erfüllt. Bei den Spielern kann dies zu Druck, Angst, verringertem Selbstvertrauen sowie körperlichen Symptomen wie erhöhtem Blutdruck führen. Auf Mannschaftsebene erweisen sich diese Affekte als Einfallstor für eine toxische, sich selbst verstärkende Gruppendynamik, die von Motivationsverlust, beeinträchtigter Kommunikation, Konflikten und schwindendem Zusammenhalt geprägt ist.

Das Video-Interview mit Professor Darko Jekauc zur Studie „Einblicke von Spitzenfußballern: Verständnis der Abwärtsspirale und der komplexen Krisendynamik“ gibt es hier:  VIDEO

Auf dem Spielfeld, so die Wissenschaftler, bewirke diese Gemengelage häufig eine übertrieben defensive Einstellung, mitsamt dem Wunsch, Fehler zu vermeiden. Die hieraus resultierende geringere Teamleistung führe meist zu weiteren schlechten Resultaten und ziehe den Krisenprozess – den die befragten Sportler als Teufelskreis, negative Spirale oder Strudel bezeichnen – weiter in die Länge.

Krisenresilienz für Fußballer
Die Sportwissenschaftler des KIT und der TU Braunschweig kommen zu dem Schluss, dass ein Krisenmanagement-Training darauf abzielen sollte, Erwartungen zu managen, positive affektive Zustände zu fördern und eine gesunde Motivation aller Teammitglieder zu unterstützen. Vor allem das direkte Umfeld einer Profimannschaft ist hier gefordert: „Besonders in Zeiten hoher Erwartungen und öffentlichen Drucks ist es entscheidend, dass Trainer und Management proaktiv unterstützende Strategien entwickeln, welche die Resilienz der Spieler stärken und die Teamdynamik erhalten“, unterstreicht Jekauc, der am IFSS den Arbeitsbereich Gesundheitsbildung und Sportpsychologie leitet. Interventionen in akuten Krisensituationen schließlich könnten Teambildungsaktivitäten, Konfliktlösungstrainings sowie psychologische Hilfestellung für Athleten, die besondere emotionale Belastungen erleben, umfassen.

„Die Studie lehrt uns, dass es bei einer Teamkrise bei weitem nicht nur um Dinge geht, die auf dem Platz zu sehen sind“, sagt Jan Spielmann, Geschäftsführer des TSG ResearchLab und leitender Sportpsychologe des Bundesligavereins TSG Hoffenheim. „Die Implikationen für die Praxis“, so Spielmann, „liegen auf der Hand: mehr Sensibilisierung für das Thema bei Spielern und Trainerstab, Monitoring und mehr psychologisches Know-how bei der Kommunikation in der Krisenintervention.“ Das TSG ResearchLab plant in Kooperation mit dem KIT bereits aufbauende Studien zum Thema Krisen im Fußball. (jha)

Die Originalpublikation „Insights from elite soccer players. Understanding the downward spiral and the complex dynamics of crises“: https://doi.org/10.1007/s12662-024-00968-0

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Autor:

Jo Wagner

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