Forschung, öffentliche Hand & Verkehr
Quartiersentwicklung und integrierte Verkehrsplanung

Foto: Stadt Karlsruhe / Matthias Grobe

Es geht um neue Wege, um neue Räume für nachhaltige Planungen. Wie Forschung, öffentliche Hand und Verkehrsbetriebe die Mobilität von morgen gestalten, lässt sich zum Beispiel auf der "POLIS Jahreskonferenz" in der Messe Karlsruhe am 27. und 28. November erleben.

Mobilität im Fokus

EU-weit lag der Anteil von Bus, Metro, Tram und U-Bahn am motorisierten Personenverkehr im Jahr 2022 bei 17 Prozent, in Deutschland sogar mit 15% noch darunter, in Österreich (28%), in Dänemark (20%). Mit Blick auf Service, Angebotsvielfalt, Einfachkeit des Handlings, Sicherheit, Verlässlichkeit und Sauberkeit leider aber auch nicht gerade überraschend.

Während auf dem Land der Privat-Pkw oft noch die praktikabelste Lösung ist, wird das Auto - durch stetig steigende Pkw-Zahlen - in urbanen Zentren immer mehr zu einer Belastung. 2024 ergab eine Studie unter 2.500 Teilnehmenden aus Deutschland, dass mehr als die Hälfte der Befragten die Überlastung der Innenstädte als größtes Problem sieht. Dabei geht es nicht darum, dem Auto den Kampf anzusagen, sondern den Ausbau des ÖPNV- und Radverkehrsangebots zu stärken und eine vorausschauende Stadtplanung voranzutreiben. Alles aber funktioniert nur, wenn eine Grund-Verlässlichkeit und Regelmäßigkeit da ist - und das bestehende ÖPNV-Angebot nicht weiter ausgedünnt wird!

Seit inzwischen fast 25 Jahren ist die jährlich "POLIS Conference" Treffpunkt für europäische Städte und Regionen und deren Verantwortliche in Stadt- und Verkehrsplanung, um diese Herausforderungen gemeinsam anzugehen und sich zu Best Practices auszutauschen. Dieses Jahr findet die Konferenz am 27. und 28. November nach 14 Jahren wieder auf deutschem Boden statt - in Karlsruhe. Immerhin gilt Karlsruhe - Mitglied im "POLIS-Netzwerk" - als eine der deutschen Vorreiterinnen für nachhaltige Mobilität und  zentralen Forschungsstandort zum Themengebiet. Im Folgenden stellen die im Karlsruhe Mobility Lab gebündelten Player ihre Projekte rund um nachhaltige Mobilität und vorausschauende Stadtentwicklung vor.

Zukunft Nord – Quartiersentwicklung, integrierte Verkehrsplanung

Noch ist das 27 Hektar große Areal im Norden Karlsruhes eine Brachfläche. In Zukunft soll das Quartier „Zukunft Nord“ 1.500 Wohnungen und Lebensraum für 3.400 Menschen bieten – unter der Maßgabe der sogenannten "5-Minuten-Stadt" und als nachhaltig mobiler Stadtteil.

Eine "5-Minuten-Stadt" impliziert visionär, dass das Leben im Stadtteil passend geplant & attraktiver wird - ohne dass man für jeden Weg einen Pkw braucht: ob Einkauf in 5 Minuten für den täglichen Bedarf, einfache Zulieferungen (Paket und Pflege), in 5 Minuten zur Grundschule, in 5 Minuten zu einer Pflegeeinrichtung, in 5 Minuten zu einer Arbeitsstelle oder auch zum ÖPNV. In der Folge müsste planerisch enorm Geld in die Hand genommen werden, da Viertel von Grund auf entstehen müssten, dazu der ÖPNV enorm ausgebaut werden - und verlässlich sein!

„Eine integrierte Stadt- und Verkehrsplanung betrachtet Mobilität von Anfang an mit“, so Prof. Dr. Anke Karmann-Woessner, Amtsleiterin des Karlsruher Stadtplanungsamts. Das Ziel ("3 V-Regel") sei, Verkehr zu vermeiden oder ihn zu verlagern und den notwendigen (viele Menschen sind auf individuelle motorisierte Mobilität angewiesen) übrigen Autoverkehr verträglich zu gestalten. "Für 'Zukunft Nord' heißt das konkret, das neue Quartier so zu gestalten, dass Arbeit, Bildung, Einkauf, Kinderbetreuung oder Freizeit in wenigen Minuten fußläufig erreichbar sind", so Karmann-Woessner: Ergänzt werden soll diese Struktur durch eine gute Anbindung an den ÖPNV sowie ein attraktives Netz an Rad- und Fußwegen. Privatautos sollen dabei von der Straße oder wohnungsnahen ebenerdigen Stellplatzbereichen in gemeinschaftliche Tiefgaragen verlegt werden.

„Wenn ein Stellplatz sogar genauso weit von einer Wohnung entfernt ist wie eine ÖPNV-Haltestelle, steigt die Hemmschwelle, das Privatauto für kurze Strecken zu nutzen,“ so Karmann-Woessner. Das klinge zunächst nach einem Zwang zum Umstieg, doch für Stadtplaner ist seit Jahrzehnten klar, dass es eine „Weiter so-Taktik“ in Sachen urbanem Autoverkehr nicht geben kann. In Karlsruhe ist der Wandel von der autogerechten Stadt hin zur nachhaltigen Mobilität bereits in vollem Gange - was aber mitunter zu enormen Spannungen in der Stadtgesellschaft führt.

Transformation auch historisch gewachsener Siedlungsstrukturen

Neben den Vorzügen solcher stadt- und verkehrsplanerischen Projekte für die urbanen Zentren ist in Karlsruhe auch das Umland im Blickfeld der Planer: 66.000 Menschen pendeln aktuell täglich nach Karlsruhe ein. Das "Karlsruher Modell" zeigt die Möglichkeit für speziell konzipierte Stadtbahnen auf, auch das Eisenbahnschienennetz zu nutzen - und so die Region zu erschließen. Dieses "Tram-Train-System" verknüpft die innerstädtischen Straßenbahnstrecken mit regionalen Eisenbahnstrecken, ohne dass ein Umstieg von der Straßenbahn auf den Zug nötig wäre – allerdings nur bei einem verlässlichen Angebot für Pendler ein Vorteil.

Verkehrsinfrastruktur und Mobilitätsverhalten

"Verkehrsinfrastruktur und Mobilitätsverhalten beeinflussen, wie Räume genutzt und entwickelt werden", so Verbandsdirektor Dr. Matthias Proske vom "Regionalverband Mittlerer Oberrhein". Wichtig sei, zu verstehen, welche Wechselwirkungen zwischen Verkehrsverhalten, Siedlungsstruktur und Siedlungsentwicklung bestehen. Die Regionalplanung schaffe dabei die Grundlagen, Mobilität weiterzuentwickeln, gerade auch im Hinblick auf wirtschaftliche Entwicklung und Lebensqualität. „Im neuesten Entwurf des Regionalplans wurden zum Beispiel Schienen- und Radschnellverbindungen als Freihaltetrassen festgelegt. Das bedeutet, dass diese Strecken vor einer konkurrierenden Nutzung freigehalten werden“, so Proske.

Infrastruktur-Ausbau und Gestaltung neuer Mobilitätsräume sind dabei aber nur ein Teil, um nachhaltige Mobilität voranzutreiben. Drängender ist die Herausforderung, dass der urbane Raum begrenzt ist, dass ÖPNV-Angebote nicht nur zu Stoßzeiten an ihre Grenzen kommen - und ländliche Gegenden nicht oder nur unzureichend bedient werden.

Intermodal und on-demand: Integrierte Lösungen

Bereits 2017 erfolgte der Startschuss für das Projekt "regiomove", das Verkehrsmittel verschiedener öffentlicher und privater Anbieter in einer App zusammenführt. Das Angebot reicht von Straßenbahn und Bus bis zum Car- und Bike-Sharing und On-Demand-Verkehr zur Erschließung von Gegenden mit geringer ÖPNV-Abdeckung – inklusive Routenplanung und Ticketing. Das intermodale System, das 2020 ausgerollt wurde und nun vom KVV geführt wird, verzeichnet rund 150.000 Nutzende, die in der Mobilitätsplattform aktiv sind. Inzwischen ergänzen Mobilitätsports an wichtigen Knotenpunkten: Diese Ports bieten vor Ort Zugang zur regiomove-Plattform und werden individuell an die Standorte angepasst, ausgestattet mit Fahrradservice, Stellplätzen oder Schließfächern. Ihr Ziel: Nutzenden den Umstieg zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln zu erleichtern.

Die Idee von serviceorientierten Ports an zentralen Umsteigepunkten greift auch das Karlsruher Forschungsprojekt "Country2City" Bridge auf. Auch hier sollen die Anknüpfung verschiedener Verkehrsmittel und die Stadt-Land-Verbindung verbessert werden. „Wir erforschen, wie eine optimale Kombination von autonomen Fahrzeugkonzepten und dem klassischen ÖPNV sowie deren Übergänge gestaltet werden können. Ebenso soll die Auswirkung solcher Systeme auf die städtische und verkehrliche Entwicklung untersucht werden“, sagt Dr. Matthias Vollat, der das Projekt unter Federführung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) in Zusammenarbeit mit der Albtal-Verkehrsgesellschaft leitet.

Voraussetzung: Flexibilität und Zuverlässigkeit

Damit das Angebot eine wirkliche Alternative darstellt, müssen Flexibilität und Zuverlässigkeit mit der des Privat-Pkw vergleichbar sein. „So wie es bei der Paketverfolgung in Teilen schon möglich ist, den Routenverlauf des Fahrzeugs live zu verfolgen, möchten wir auch eine genaue Verfolgung jenes Fahrzeugs ermöglichen, das für meine Abholung vorgesehen ist", so Vollat. Denn letztendlich ist es der Kunde, der das System annehmen muss.

Infos: Im Rahmen der "POLIS Conference" stellen Karlsruher Player einige ihrer Projekte vor, ob am Stand des "Karlsruhe Mobility Lab" oder im Konferenzprogramm. Die Themen reichen dabei von Luftqualität und Klimaschutz (27.11., 9 Uhr) bis zu autonomem Fahren (27.11., 16.45 Uhr). Verschiedene Exkursionen stellen dazu unter anderem das Radwegenetz vor, die Kombilösung oder das neue VBK-Elektrobusdepot, www.messe-karlsruhe.de

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