Anthologielesung im Bücherknecht Landau
"Kindheitsträume" wecken vielfältige Erinnerungen

Im Bücherknecht, kurz vor der Lesung. | Foto: Peter Herzer
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Landau. Der Literarische Verein der Pfalz war am Mittwoch, den 17. April zu Gast bei Markus Knecht, Inhaber des Buchladens Bücherknecht und stellte seine 2023 erschienene Jahresgabe "Kindheitsträume" vor. Die Lesung fand im Rahmen der Büchereitage statt. Der Gästeraum war gut gefüllt.

Geschichten sind ein bedeutender Teil der Kultur, man denke da an Grimms Märchen. Sie unterhalten nicht nur, sondern tragen zur Reflektion und Orientierung bei, wecken die Gefühle der Lesenden und Hörer.

Die erste Vorsitzende Birgit Heid schrieb im Vorwort der Anthologie: "Diese Erzählungen versetzen die Lesenden in Wirklichkeiten, deren Gerüche und Geräusche, deren Stimmen und die Atmosphäre entweder vergangen sind oder sich stark gewandelt haben."
Heid wies auf die erfolgreiche ältere Jahresgabe "Kindheiten – Pfälzische Schriftsteller erinnern sich" von 1987 hin, die noch von Erinnerungen an die Kriegszeit geprägt war – plastisch, interessant und aufschlussreich – wie sie in ihrer Anmoderation sagte. Doch was empfindet die folgende Generation? Eine Fortsetzung erschien naheliegend und wurde mit viel Unterstützung verwirklicht. Kinder hatten es in den Nachkriegsjahren mit schwarzer Pädagogik und teils massiver Indoktrination zu tun, waren aber auch geschickt darin, sich Freiräume mit viel Phantasie zu kreieren. Birgit Heid empfahl die vorgetragenen Geschichten als Blumenstrauß der Möglichkeiten, und ja, es gelang offenbar, dem Qualitätsanspruch der Leser und Hörer gerecht zu werden.

Zwischen den Lesungen waren sinnliche, reizvolle Klang- und Geräuschspiele zu hören, wie durch Klangschalen, Rasseln, Glocken und Horn. Vernahm man da nicht auch das Rascheln einer Rezension im Zeitungspapier?
Wolfgang Diehl, Pfalzpreisträger 2023, konnte sich da nicht bremsen, hörte selbst wohl auch hinein in seine Prosa "Vom Lausbub-Saulus zum Dichter-Paulus". In seiner Erinnerung klang die Stimme seines Landschulmeisters voller Hall und Schall und "erreicht(e) in (s)einem Erinnerungsecho inzwischen eine Größe, einen Umfang, einen Klangraum, den sie garantiert nicht hatte. Es war, als wollten sich die Buchstaben in Laute aufblähen und explodieren zu einem wahren Lautspektakel, das alles barg, was Leben beinhalten konnte."  Diehl, Jahrgang 1940, arbeitete nach seinem Studium 10 Jahre als Journalist und wurde dann Lehrer an der Maria-Ward-Schule. Der Beamtenstatus verschaffte ihm Sicherheit und gewisse Freiheiten beim literarischen Wirken. In seiner Geschichte stellt er gleich zu Anfang die Frage: "Wie wird man Schriftsteller?" Der unterschwellige Calvinismus mit dem Ablehnen von unnötiger Bildung war ihm lange im Weg, bis er in der 5. Klasse nach einem vorgetragenen Gedicht eine erste Erleuchtung hatte. Diehl resümierte: Im Alter fände er offenbar wieder zur Kindheit zurück.

Birgit Heid vertrat die erkrankte Lilo Beil. In „Dämmerstündchen“, angesiedelt im Jahr 1958, ist das Kind Margarete die Protagonistin. Sie liegt krank im Bett, was insbesondere wegen des liebevollen Umsorgens und der Schulfreiheit, sie hasst Mathematik, in der zweiten Hälfte ihrer Lägerigkeit wohltuenden Charakter annimmt. Eines Tages belauscht sie ein Gespräch ihrer Eltern im Nachbarzimmer. Sie sprechen über die Gräueltaten der Nazis. Aber sie selbst hätten doch so vieles nicht gewusst. Schweigen und Verdrängen aus Angst wirken belastend. Die Mutter erzählt mit Schrecken, dass Müttern die Kinder von der Brust weggenommen und diese vor ihren Augen erschossen wurden. Von da an, beschließt Margarete, war ihre Kindheit zu Ende.
Die bekannte Krimi-Autorin Lilo Beil gibt an, dass ihre Geschichten autofiktional sind, Phantasie und Realität vermischen sich. Texte wie „Dämmerstündchen“ mögen als Schlüsselerlebnis eine Erklärung sein, warum in ihren Romanen die Nazizeit einen Schwerpunkt bildet. Birgit Heid las mit viel Empathie, die passende Mimik und Gestik holten das Publikum in die Tiefen der Geschichte ab.

Heinz Ludwig Wüst brachte aus Gleisweiler seine Prosa "Das erste Mal" mit. In der Grundschulzeit galt er als vorlaut und geradeheraus, aber eine Volkshochschulprofessorin erkannte sein lyrisches Talent, was zu seinem ersten öffentlichen Vortrag führte. Das in der Kurzgeschichte erwähnte Mundartgedicht "Wärschtl" konnte er nach Wunsch eines Gastes in der Pause im Stehgreif aufsagen, was mit viel Applaus belohnt wurde.

Die witzig-ironische Geschichte von Ursula Dörler aus Stelzenberg spielt in der Wirtschaftswunderzeit. Die Eltern sitzen fein am mit weißem Tuch gedeckten Tisch. Das noch kleine Kind balanciert unter ständiger Ermahnung mit einem Glas Johannisbeerensaft, was eine wissenschaftliche Faszination ausübt. Der Vater schreitet haptisch, ungeschickt ein, seine Hand kollidiert mit dem Glas – schon ist das Malheur passiert. Alles vollgespritzt! War jedoch nicht Schuld des Kindes! Von Dörler schön stimmlich moduliert.

Lothar Seidler, Kleinverleger und Autor aus Heidelberg, überzeugte mit seiner Kurzprosa "Schreibbewegungen". Er wuchs in Nürnberg auf und schildert mit seinem Hang zu absurden Situationen seine Zeit als ABC-Schütze. Doch wen erschießen sie eigentlich? Frühbegabt, er konnte schon vor der Schule lesen, scheitern regelmäßig Versuche, ihn in ein Schema F zu zwängen. Sein schwarz-humoriger Stil kam beim Publikum gut an.

Maria Theresia Gauß aus Wörth bildete mit "Die Fahrzeuge" den Schluss der Lesung. Sie wuchs in einem bäuerlichen Umfeld auf. Besonders wichtig war der Traktor mit dem Anhänger, der Rolle, mit der alles mögliche hin und her transportiert wurde. Selbstverständlich auch von Kindern gesteuert. In einer Zeit, wo im Ort nur wenige Autos existierten, strömten die Menschen zusammen, wenn ein Händler mit seinem Gefährt die Runde machte. Eine kleine Sensation. So das Schmuckauto, Blumenauto, der Schrotthändler und auch das Bettenauto mit versteckter Damen-Spitzenwäsche. Ein weiterer Höhepunkt: Die Kirmeswagen. Die Autorin schildert eine analoge Vergangenheit, in der Kinder unbeschwert auf den Straßen spielen konnten. Von einer nostalgischen Verklärung ist die Autorin aber weit entfernt.

26 Mitglieder des Literarischen Vereins sind mit ihren Texten in der Anthologie vorzufinden, die vom Bezirksverband Pfalz gefördert wurde.
 
Kindheitsträume – Pfälzer Autorinnen und Autoren erinnern sich. Wellhöfer Verlag 2023, ISBN 978-3-95428-300-2, 198 Seiten. 14€

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Autor:

Peter Herzer aus Kaiserslautern

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