Online-Adventskalender Türchen 14: Moritz Heß vom Kinder- und Jugendtelefon des Kinderschutzbunds
Online-Adventskalender 2023. Das Motto unseres diesjährigen Adventskalenders heißt "Helden des Alltags". Bis 24. Dezember stellen wir Euch jeden Tag echte Helden vor. Heute ist das Moritz Heß vom Kinder- und Jugendtelefon des Kinderschutzbunds in Landau.
Landau. In einem schlichten Zimmer in Landau, umgeben von gedämpftem Licht, sitzt Moritz Heß alleine an einem Tisch mit einem Telefon. Es klingelt, Heß nimmt den Hörer ab. An der anderen Seite der Leitung ist ein Kind irgendwo in Deutschland. Heß' sanfte Stimme ruht in der Stille, bereit, jedem Wort des Anrufers Gehör zu schenken. Er ist ehrenamtlicher Berater beim Kinder- und Jugendtelefon des Kinderschutzbunds, ein stiller Anker für jene, die Hilfe in unterschiedlichsten Lebenssituationen benötigen.
von Katharina Schmitt
Der Beginn des Gesprächs kann ganz unterschiedlich sein, doch Heß steckt direkt den Rahmen ab: Das Gespräch ist anonym, es wird nicht aufgezeichnet, er darf mit niemandem über den Inhalt sprechen. "Du bestimmst", erklärt er dem unsicheren Anrufer. Das Kind bestimmt: den Gesprächsinhalt, ob es Hilfe möchte, wann es auflegt, wie viel es preisgeben will. Heß hört erst einmal nur zu.
Moritz Heß ist seit Oktober 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität (RPTU) in Landau. Einmal in der Woche übernimmt er eine Schicht beim Kinder- und Jugendtelefon des Kinderschutzbunds." Mehr geht nicht. Nicht, wenn er seinen Ansprüchen gerecht werden und konzentriert und aufmerksam sein will. Das Studium der Sozialpädagogik hat ihn nach Landau gebracht; hier wurde er auf dieses Ehrenamt aufmerksam. Seit 2021 engagiert er sich selbst.
Verschiedene Hintergründe und Perspektiven
Um ehrenamtlich Kindern und Jugendlichen am Telefon bei Problemen zur Seite zu stehen, absolvieren Interessierte vorab eine Schulung beim Kinderschutzbund. Die Beraterinnen und Berater arbeiten in zwei Schichten à drei Stunden. Zu jeder Schicht gibt es einen hauptberuflichen Hintergrunddienst mit einer psychologischen Fachkraft, an den sich die Ehrenamtlichen wenden können. "Das gibt einem ein gutes Gefühl", so Heß. Außerdem tauschen sich die Berater zwischen ihren Schichten aus, auch um über Belastendes zu sprechen. "Aus welchem Hintergrund die Berater kommen ist egal", erklärt Heß, "jeder bringt aufgrund seiner Erfahrungen eigene Perspektiven mit." Das sei besonders in Rollenspielen bei Schulungen hilfreich. Jugendliche und Rentner, Handwerker und Sozialpädagogen - die Gruppe an Beraterinnen und Beratern ist bunt gemischt. Jeder bringe eigene Erfahrungen mit, die den anderen weiterhelfen. Heß ergänzt mit einem Schmunzeln: "Manche haben Eltern, andere sind Eltern."
Kinder und Jugendliche werden über Suchdatenbanken oder Werbung an Schulen auf das Kinder- und Jugendtelefon des Kinderschutzbunds aufmerksam. Die Anrufer wählen aus den unterschiedlichsten Gründen die Nummer des Beratungstelefons, beispielsweise aus Langweile, wegen Problemen bei Hausaufgaben, Streit mit Eltern oder Freunden, Mobbing, Identitätsfragen, Drogenproblemen, Essstörungen oder auch Ausnahmesituationen und großen Sorgen wie Suizidgedanken. Wer am anderen Hörer abnimmt, bestimmt das Zufallsprinzip. Der Kinderschutzbund hat deutschlandweit Ehrenamtliche am Kinder- und Jugendtelefon sitzen.
Alternative Kontaktversuche
In einer Schicht hat Heß meist nur rund zwei Minuten Pause zwischen einzelnen Telefonaten, die Länge der einzelnen Gespräche ist unterschiedlich. Test- und Scherzanrufe schätzt Heß auf zwei Drittel der gesamten Anrufe, ein Drittel seien "echte Anrufe". Doch auch die vermeintlichen Scherzanrufe seien wichtig, wenn auch deutlich darauf hingewiesen wird, dass solche "Scherze" die Leitung für Andere blockieren. "Wir nennen sie auch alternative Kontaktversuche", führt Heß aus. "Meistens ist es ein Test, vermeintliche Langweile, aber häufig mit einem wichtigen Hintergrund. Aus diesen 'Scherzanrufen' entwickeln sich oft echte Gespräche."
Gute Gespräche
"Ich versuche den Kindern vor allem zuzuhören", betont Heß. Ihm hilft dabei der eigene thematische Hintergrund aus seinem Studium, aber auch die Beratungserfahrung und die Schulung des Kinderschutzbunds. Darin wird neben thematischem Input vor allem Wert auf Rollenspiele gelegt. "Die Rolle des Anrufers einzunehmen und zu spüren, wie man sich nach einer bestimmten Frage fühlt, hat mich gut vorbereitet", betont Heß.
"Danke, das hat mir geholfen" sind Worte, die Heß Kraft und Bestätigung geben. Und der Grund, warum er diese Beratungen macht. Auch sein Denken hat sich verändert: Ein Gespräch kann auch ohne Lösung des Problems ein gutes Gespräch sein. "Es ist wertvoll, wenn sich jemand das erste Mal öffnet", so Heß. Anfangs war sein Anspruch an sich selbst sehr hoch, inzwischen weiß er kleine Schritte mehr zu schätzen. "Vermeintlich kleine Schritte können große werden und für wichtige Veränderungen sorgen", weiß Heß heute.
Wenn ein Kind in einer schlimmen Situation anruft, versucht Heß, ohne die Situation zu verharmlosen, daran zu erinnern, dass Menschen da sind, denen etwas an dem anrufenden Kind liegt. Oft hört Heß aber auch einfach nur zu, "Wenn du willst, erzähl ruhig erstmal, ich höre dir zu" können seine startenden Worte sein. Er versucht mit einem optimistischen Blick auf das "Leuchten", so nennt es Heß, im Leben der Kinder und Jugendlichen hinzuweisen: Was steht auf der Habenseite, was gibt Halt? "Manchmal reicht aber auch ein anerkennendes 'Krass, dass du es so lange ausgehalten hast'", so Heß. "Oder einfach die Frage 'Was müsste sich verändern, dass es noch schlimmer wird?' Da merken dann viele, dass es noch viel schlimmer sein könnte." Ansätze müssen dann nicht die komplette Lösung des Problems sein, aber Fragen wie: Was kann ich selbst verändern? Wie kann ich besser damit umgehen?
Abruptes Auflegen
Doch viele Anrufer haben richtig große Probleme und das, was sie Heß erzählen, kann mitunter sehr belastend sein. Im Gegensatz zu einem Therapeuten hat er keine sechs Therapiesitzungen, sondern nur dieses eine Gespräch. "Es kann vorkommen, dass mein Gegenüber am anderen Hörer einfach auflegt", bedauert Heß. Wie es dann weiterging oder wieso die Verbindung abrupt abbrach, wird er nicht mehr erfahren: Selbst, wenn der Anrufer noch einmal anruft, ist es unwahrscheinlich, dass er beim zweiten Mal genau in Landau landen wird. "Klar, frage ich mich dann auch, ob ich etwas falsch gemacht oder etwas Falsches gefragt habe. In solchen Gesprächen kommen viele Gefühle hoch", erklärt Heß nachdenklich.
Wichtig ist es, dass die Beraterinnen und Berater eine gewisse Distanz wahren, gleichzeitig aber auch nicht abstumpfen. Heß beschreibt: "Wir sollten Empathie haben, aber kein Mitleid. Wir dürfen Traurigkeit oder Wut empfinden, aber in einem Rahmen, der aushaltbar ist. Es geht immer um die anrufende Person und nicht um einen selbst."
Wut empfindet Heß trotzdem manchmal. Besonders wütend macht es ihn, wenn Kinder und Jugendliche davon berichten, dass sie sich in ihrem Zuhause nicht mehr sicher fühlen. "Das Zuhause und die eigene Familie sollten ein sicherer Ort sein, eine Zuflucht", betont Heß mit Nachdruck. "Dort sollte man sich nicht fürchten müssen!" Doch mittlerweile weiß er, dass solche Situationen keine Einzelfälle sind. Und er weiß, dass er genau in diesen Situationen eine Hilfe sein kann.
Zurückhaltung und Verständnis
Zum Beispiel kann er im Gespräch versuchen, die Hürde herabzusetzen, sich professionelle Hilfe zu suchen – kann erklären, was es heißt in Therapie zu sein, dass es ein unverbindliches Erstgespräch gibt. Bei Suizidankündigungen oder auch häuslicher Gewalt dürfen die Berater keine rechtlichen Schritte einleiten. "Du bestimmst" ist einer der ersten Sätze, die Heß den Anrufern am Telefon vorgibt. Ohne den Wunsch der Kinder können die Beraterinnen und Berater nicht eingreifen. Das heißt auch, dass er nicht versucht, Jugendliche mit Suizidgedanken den Suizid auszureden. "Das kann sehr belastend sein. Aber auch, wenn man nicht weiß, wie es ausgeht, ist es schön, wenn die Kinder noch einmal mit jemandem reden konnten", erklärt Heß seinen Umgang mit solch einer schwierigen Situation. Heß versucht in solchen Gesprächen viel mehr, gemeinsam eine Perspektive zu entwickeln oder dafür zu sorgen, dass der Wunsch der Kinder weniger stark ist. Dafür muss Heß die Hintergründe in diesem einen Gespräch verstehen.
"Eine zurückhaltende Haltung prägt die Beraterfunktion", sagt Heß. "Wir versuchen die Situation zu verstehen und die positiven Aspekte aufzuzeigen, vielleicht auch zu vermitteln." Einfach mal zuzuhören, das sei auch hilfreich für Heß' Gesprächsführung im Alltag. In der Schulung wurde Heß vermittelt, dass der Beitrag, den die Telefonberaterinnen und -berater leisten, zwar ein kleiner ist, für die Person, der sie helfen, ist es jedoch ein großer Beitrag. Daher freut es Heß besonders, wenn er Lichtblicke im Leben der Kinder und Jugendlichen erzeugen kann. Manchmal eben auch dadurch, dass ihnen einfach mal jemand zuhört.
Weitere Informationen:
Das Kinder- und Jugendtelefon feiert in diesem Jahr bereits das 40-jährige Bestehen. Es ist Montag bis Samstag von 14 bis 20 Uhr unter den Telefonnummern 0800-1110333 oder 0800-116111 erreichbar. Kinder und Jugendliche, die eine Beratung über einen längeren Zeitraum wünschen, können sich an die E-Mail-Beratung des Kinderschutzbunds wenden. Weitere Informationen zu unterschiedlichen Beratungsinformationen sind online unter www.nummergegenkummer.de zu finden. Die Schulungen des Kinderschutzbunds Landau finden jedes Jahr im Herbst statt. Wer mithelfen und sich engagieren will, kann sich an Vanessa Lang vom Kinderschutzbund per E-Mail an kjt@blauer-elefant-landau.de wenden.
Adventskalender Türchen 14: Verlosung von Wochenblatt-Tischkalendern
Das Wochenblatt startet jedes Jahr einen großangelegten Fotowettbewerb. Gesucht werden die schönsten Impressionen aus der Pfalz, die Leser, Fotografen und Profis einschicken. In einer Leserumfrage werden die schönsten Kalendermotive ermittelt. Das Ergebnis sind die begehrten Wochenblatt-Kalender mit wunderschönen Pfalz-Motiven, die heute verlost werden. Die Teilnahme am Gewinnspiel ist nur heute möglich.
Bitte beachten Sie unsere besonderen Teilnahmebedingungen für Gewinnspiele unter https://www.wochenblatt-reporter.de/s/agb
Die Teilnahme am Gewinnspiel ist kostenfrei. Im Gegenzug zur kostenfreien Teilnahme dürfen Ihre Daten zur Zusendung unseres redaktionellen Newsletters verwendet werden, Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. b EU-DS-GVO. Möchten Sie den Newsletter nicht mehr erhalten, können Sie diesen jederzeit über die vorgesehene Abmeldemöglichkeit oder per E-Mail an widerruf@wochenblatt-reporter.de abbestellen. Beachten Sie bitte, dass in diesem Fall die Teilnahme am Gewinnspiel nicht möglich ist.
Informationen zur Verarbeitung Ihrer Daten durch die SÜWE Vertriebs- und Dienstleistungs-Gesellschaft mbH & Co. KG, insbesondere Ihren Rechten nach Art. 13 EU-DS-GVO, können Sie unserer Website unter https://www.wochenblatt-reporter.de/s/datenschutz entnehmen oder auf jedem anderen Wege bei uns anfordern.
Autor:Katharina Wirth aus Herxheim |
1 Kommentar
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.