Auch während der Hochphase der Corona-Pandemie hat die Lebenshilfe Südliche Weinstraße Menschen mit Behinderung die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht.
„Wenn die Menschen nicht in die Werkstatt kommen dürfen, kommt die Werkstatt eben zu ihnen“
„Wir bleiben zuhause!“ Was auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie als Slogan allgegenwärtig war, bedeutete für Menschen, die in besonderen Wohnformen leben, eine gewaltige Herausforderung: Über viele Wochen hinweg durften sie aufgrund der gesetzlichen Vorgaben weder Besuch von ihren Familien empfangen noch die Wohneinrichtung verlassen. Darüber hinaus waren die Werkstätten im Land auf behördliche Anordnung für Menschen mit Behinderung geschlossen und diese von der Arbeit freigestellt. „Der gewohnte strukturierte Tagesablauf und die damit verbundene Sicherheit fielen plötzlich weg. Das war eine sehr harte Zeit für alle Beteiligten“, erinnert sich Joachim Graf. Er leitet unter anderem das Wohnheim Lazarettgarten in Landau, eine Einrichtung der Lebenshilfe Südliche Weinstraße.
Zwar konnte die Südpfalzwerkstatt ab dem 7. Mai ihre Pforten wieder für Mitarbeiter mit Behinderung öffnen, jedoch galten strenge Sicherheitsvorkehrungen, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und die Gesundheit der Menschen zu schützen – insbesondere für vulnerable Personen. Für jene, die beispielsweise aufgrund von Vorerkrankungen zur Risikogruppe zählen, hieß es weiterhin: „Wir bleiben zuhause.“
Speisesaal wird zum Gruppenraum
„Als die Menschen nicht in die Südpfalzwerkstatt kommen durften, musste die Südpfalzwerkstatt eben zu ihnen kommen“, erinnert sich Gruppenleiterin Ursula Nether. Zwischen dem 18. Mai und dem 9. Juli begleitete sie bis zu zehn Personen bei der Arbeit – vor Ort im Wohnheim Lazarettgarten. Dort wurde der Speisesaal im Dachgeschoss kurzerhand zu einem Gruppenraum umfunktioniert, der es den Bewohnern ermöglichte, aus Sicherheitsgründen Abstand voneinander zu halten. In erster Linie verpackten sie Kleinteile für einen Kunden aus der Möbelindustrie, später bedruckten sie Eiskratzer. „Die Arbeit musste gut transportierbar sein und den Voraussetzungen der Mitarbeiter mit Behinderung entsprechen“, berichtet Ursula Nether. Gleichzeitig achtete sie darauf, die von ihr begleiteten Personen individuell zu fördern und ihnen neue Fertigkeiten zu vermitteln, zum Beispiel den Umgang mit einem Durchlaufschweißgerät für Folien. „Wer es bedient, braucht neben einer guten Feinmotorik viel Sorgfalt und Konzentrationsfähigkeit“, betont die Gruppenleiterin.
Der logistische Aufwand war nicht zu unterschätzen. So musste Ursula Nether morgens zunächst in der rund 20 Fahrminuten von der Wohneinrichtung entfernten Südpfalzwerkstatt die Arbeitsmaterialien vorbereiten, ehe sie die Arbeitsplätze entsprechend einrichten konnte. Nach dem Arbeitsende für die Bewohner desinfizierte sie die Tische und verteilte dann die Arbeitsergebnisse in die entsprechenden Gruppen in der Südpfalzwerkstatt.
Unterschiedliche Modelle
„Insgesamt haben wir vom Werk Offenbach 1 aus Menschen an 14 Stationen beliefert“, führt Rehaleiter Christof Müller aus. „Wir waren jedoch nicht in allen Fällen mit Mitarbeitern vor Ort. Mit einigen Wohneinrichtungen hatten wir ein kontaktloses Modell vereinbart, um das Infektionsrisiko zu minimieren.“ Letzteres galt auch für die acht Stationen der Werke Herxheim und Offenbach 3: „Die Wohneinrichtungen empfingen keine Besucher. Bebilderte Anleitungen zu den einzelnen Arbeitsschritten und Muster erleichterten sowohl die Arbeit für die Bewohner als auch die Begleitung durch die Mitarbeiter der jeweiligen Wohneinrichtung“, erläutert Rehaleiterin Petra Schürmann. An zwei Stationen versorgten Mitarbeiter des Werks Offenbach 2 insgesamt mehr als 50 vulnerable Personen kontaktlos mit Werkstatt-Aufgaben. Ein Gruppenleiter aus dem Werk Wörth begleitete zwölf Menschen, die in einer besonderen Wohnform leben.
In verschiedenen Werken gab es zudem unterschiedliche Sonderwege. So holten Familienmitglieder oder Gruppenleitungen Aufgaben ab und brachten die Arbeitsergebnisse in die Werkstatt. In einem Fall war eine Gruppenleitung der Südpfalzwerkstatt mit 14 Personen an einem externen Standort im Einsatz, in einem anderen unterstützten die ambulanten Dienste der Lebenshilfe Südliche Weinstraße die Tätigkeit im heimischen Umfeld.
Tagesstruktur schafft Sicherheit
„Die Menschen, die auf diese Weise ihrer Arbeit nachgehen konnten, waren hochmotiviert. Auch die Angehörigen hatten viel Verständnis für die besondere Situation und haben uns hervorragend unterstützt“, freut sich Barbara Biewer, Rehaleitung Werk Wörth. „Für die Menschen, die bei uns leben, war es von großer Bedeutung, mit einer geordneten Tagesstruktur wieder ein stärkeres Gefühl von Sicherheit zurückzubekommen“, ergänzt Mona Iffrig. Sie leitet das Konrad-Lerch-Wohnheim Haus 1 und das Konrad-Lerch-Wohnheim Haus 2. Insgesamt zehn Bewohner erledigten dort vorübergehend Werkstatt-Aufträge. „Darüber hinaus“, so Mona Iffrig, „trägt die Arbeit dazu bei, die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit der Menschen zu erhalten.“
Auf dem Weg dorthin galt es freilich, einige Herausforderungen zu meistern. „Die Menschen mussten sich erst daran gewöhnen, dass ihr Wohnort plötzlich auch ihre Arbeitsplatz ist, wo zeitweilig entsprechende Regeln gelten“, erinnert sich Ursula Nether, die durch regelmäßige Unterweisungen dazu beigetragen hat, die pandemiebedingten Hygieneregeln im Bewusstsein der Bewohner zu verankern. Doch schon nach wenigen Tagen waren die Gruppenleiterin und die Gruppe ein eingeschworenes Team. Stolz blickt Ursula Nether auf einen besonderen Erfolg zurück: „Einer der Bewohner, dessen Motivation in der jüngeren Vergangenheit etwas nachgelassen hatte, war plötzlich wieder mit vollem Eifer bei der Sache.“
Wie die Zusammenarbeit mit den Lebenshilfe-Kollegen im Lazarettgarten verlaufen ist? Ein Lächeln breitet sich auf dem Gesicht von Ursula Nether aus, ehe sie antwortet: „Die Kollegen haben mich von Anfang an offen aufgenommen und hervorragend unterstützt.“ Joachim Graf teilt diese Einschätzung: „Diese Konstellation war ein Glücksgriff für alle Beteiligten.“
Auch Alexander Rupp, Geschäftsbereichsleitung Wohnen und Familie, lobt die vorbildliche Zusammenarbeit und wechselseitige Unterstützung innerhalb der Lebenshilfe Südliche Weinstraße: „Unsere Bewohner haben durch den Einsatz der Kollegen aus der Südpfalzwerkstatt und der Integrationshilfen enorm profitiert. So wurde die Betreuung innerhalb der Tagesstruktur gesichert. Außerdem ergab sich die Möglichkeit, sinnhafte Arbeit im privaten Rahmen zu verrichten.“
Die Kollegen des Konrad-Lerch-Wohnheims, so Alexander Rupp weiter, „haben durch die Mitarbeiter der anderen Lebenshilfe-Einrichtungen in einer besonders schwierigen Phase eine wichtige Entlastung erlebt“. Zwei Mitarbeiter sind nach den Erfahrungen der zurückliegenden Monate sogar dauerhaft in den Wohnbereich gewechselt. „Nicht zuletzt hatten unsere Integrationshelfer, die aufgrund der behördlich angeordneten Schließung von Schulen und Kindertagesstätten sowie der gesetzlichen Vorgaben in ihrer Tätigkeit stark eingeschränkt waren, die Möglichkeit, ihren Verdienst aufzubessern.“
Krise stärkt Zusammenhalt
Martin Heger, Geschäftsbereichsleitung Arbeit, zieht ebenfalls ein positives Fazit: „Man hat sich gegenseitig geholfen. Dinge des täglichen Lebens wurden ausgetauscht – ob Masken, Hygieneartikel oder Lebensmittel. Werkstatt-Mitarbeiter waren in der Tagesbetreuung tätig, Mitarbeiter aus dem Bereich der Ambulanten Dienste haben in der Werkstatt Masken genäht. Einrichtungsübergreifende Notbetreuungen wurden ermöglicht. Während der Pandemie haben wir die Kollegen der unterschiedlichen Einrichtungen sowie ihre Aufgaben im Einsatz für Menschen mit Behinderung intensiv kennen und verstehen gelernt. Letztlich hat die Corona-Pandemie die Lebenshilfe Südliche Weinstraße nur noch enger zusammengeschweißt.“
Autor:Dennis Christmann aus Offenbach |
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