Wünschewagen erfüllt Sterbenden letzte Wünsche
Ein letztes Mal zum Meer....
Lustadt/Ludwigshafen. Ans Meer, nach Hause zur Familie oder noch einmal zu einem Konzert der Lieblingsband: Michael Ott aus Lustadt erfüllt zusammen mit anderen Ehrenamtlichen schwerkranken Menschen einen letzten Wunsch. Dazu hat der Arbeiter-Samariter-Bund bundesweit Krankentransporter, sogenannte Wünschewagen, gekauft. Einer davon fährt in Rheinland Pfalz. Die Fahrzeuge sind für die Bedürfnisse von Schwerstkranken ausgestattet, im Inneren aber wirken sie angenehm. Sie ermöglichen es, dass schwerstkranken Menschen ein letzter Wunsch erfüllt wird. Auch in Baden-Württemberg gibt es einen Wünschewagen, dieser ist in Mannheim stationiert. Redakteurin Julia Lutz hat Michael Ott ein paar Fragen gestellt.
Wie sind sie auf den Wünschewagen aufmerksam geworden?
Ott: Im Sommer 2017 habe ich im Fernsehen eine Reportage über den Wünschewagen gesehen. Ich glaube, es war ein Bericht über den Wünschewagen (WüWa) aus Hessen. Der Bericht hat sehr ausführlich gezeigt, wie eine Wünschefahrt abläuft: Vom ersten Kontakt des Fahrgastes mit den Projektkoordinatoren, über die Planung der Fahrt, bis hin zur Fahrt an sich.
Vor allem hat der Bericht das Schicksal der Fahrgäste gezeigt und wie positiv sich eine Fahrt mit dem Wünschewagen auf die Fahrgäste auswirkt. Das hat mich sofort angesprochen. Nun habe ich ja eigentlich schon genug um die Ohren: Ich bin im Ortsgemeinderat in Lustadt in der Kommunalpolitik tätig, erster Vorsitzender des Karnevalverein Lustavia e. V. und natürlich meine Familie und meine kleine Tochter.
Mir war sofort klar: Beim Wünschewagen mitmachen, das ist mal wirklich eine sinnvolle Tätigkeit. Was nicht heißen soll, dass die anderen Dinge weniger sinnvoll sind. Nach einer kurzen Abstimmung mit meiner Frau war klar, dass ich da mitmachen will. Schon am nächsten Tag habe ich bei der Projektkoordinatorin für Rheinland-Pfalz beim ASB in Ludwigshafen angerufen. Christina Kunde hat mir am Telefon alles genau erklärt. Und wie es der Zufall will: Eine Schulung für Freiwillige war für wenige Wochen nach unsrem Telefonat terminiert.
Ich musste dann noch mal einen Erste-Hilfe-Kurs machen und ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und dann war ich „einsatzbereit“.
Herr Ott, was macht der Wünschewagen und wie empfinden Sie Ihre Arbeit?
Ott: Der Wünschewagen ist eine Einrichtung des Arbeiter-Samariter-Bundes (ABS). Es ist ein Angebot, das sich an schwerstkranke Menschen richtet, deren Leben sich dem Ende zuneigt. Denn dann treten oftmals unerfüllte Wünsche oder Träume in den Vordergrund: Die Reise an einen lebensgeschichtlich bedeutsamen Ort, ein gemeinsamer Familienausflug, der Besuch eines Konzertes oder einer Sportveranstaltung. Der Wünschewagen begleitet und betreut schwerstkranke Menschen jeden Alters bei der Erfüllung ihres letzten Wunsches. Dabei ist die Reise mit dem Wünschewagen für die Fahrgäste und eine Begleitperson kostenfrei.
Sie fahren sterbenskranke Menschen. Hat das Ihre Einstellung zum Tod verändert?
Ott: Ich habe eine sehr offene Einstellung zum Thema Tod. Er gehört wie die Geburt zum Leben dazu. Also nichts, was man tabuisieren müsste. Insofern hat sich da bei mir nichts verändert.
Eines vielleicht doch: Die Begegnungen mit unseren Fahrgästen zeigen, wie schnell sich alles verändern kann. Unsere Fahrgäste sind ja nicht nur ältere Menschen. Das Schicksal macht auch vor den Jüngeren nicht Halt.
Vielleicht regt das gelegentlich zum Nachdenken an und bringt mich dazu, das „Hier und Jetzt“ zu genießen und mit dem Moment zufrieden zu sein. Das ständige streben nach „noch mehr“, immer noch höher hinaus zu wollen, noch mehr zu erreichen… Was bringt das alles, wenn man plötzlich todkrank wird?
Sie geben unheilbar Kranken also ein Geschenk? Könnten die Verwandten nicht ihre Angehörigen abholen und mit ihnen einen Tag verbringen?
Ott: Der WüWa setzt dort an, wo der Fahrgast beziehungsweise seine Familie nicht weiterkommen. Unsere Fahrgäste sind aufgrund ihrer weit fortgeschrittenen Krankheit so weit eingeschränkt, dass sie selbst (auch mit Hilfe ihrer Familie) diese letzte Reise nicht bewältigen können. Oft sind die Familien mit der Krankheit der Angehörigen auch ein Stück weit überfordert. Ein vermeintlich leicht zu organisierender Ausflug kann dann zu einer zusätzlichen Belastung werden. Da hilft der Wünschewagen.
Der Wünschewagen ist mit einem Tragestuhl (ein Rollstuhl, den mal sehr komfortabel tragen kann) ausgerüstet, mit dem wir unsere Fahrgäste aus den Wohnungen heraustragen können. Dort, wo kein Aufzug vorhanden ist, tragen wir die Fahrgäste mit dem Tragestuhl auch die Treppen herunter.
Wir wollen es dem Fahrgast so angenehm wie nur möglich machen.
Wie viele Fahrten haben Sie bisher miterlebt?
Ott: In der kurzen Zeit, in der ich als Freiwilliger beim WüWa mitmache, habe ich bereits sechs Fahrten begleitet. Da war schon alles dabei: Die Fahrt zum Freizeitpark, noch mal ans Meer, ans Grab der verstorbenen Ehefrau, ein Fußballspiel, ein Ärzte-Kongress, wo die Projektkoordinatoren einen Vortrag gehalten haben.
Welche Erinnerung ist bislang die intensivste?
Ott: Das war direkt meine erste Fahrt: Wir haben eine junge Familie in einen Freizeitpark begleitet. Unser Fahrgast, die Mutter, war in Begleitung ihres Mannes und ihrer Kinder.
Ich glaube, dass der Fahrgast selbst am lockersten mit seinem Schicksal umgegangen ist. Sehr berührend für mich war die Situation der Kinder: Sie müssen jeden Tag miterleben, wie sich der Zustand der Mutter verschlechtert. Und sie wissen genau, wohin das führt: Zum Tod. Das hat mich sehr aufgewühlt. Ich denke, dass ich die Stunden mit dieser Familie nie vergessen werde.
Was sagen Ihre Fahrgäste und deren Verwandte, nachdem ihr Wunsch in Erfüllung gegangen sind?
Ott: Wenn die Wunschfahrt zu Ende ist, verabschieden wir uns von unserem Fahrgast und von der Familie, beziehungsweise von den Begleitpersonen. Uns wird während der Fahrt, aber vor allem auch bei der Verabschiedung eine sehr große Dankbarkeit entgegengebracht. Wir haben dem Fahrgast ja geholfen, einen „letzten Wunsch“ in Erfüllung gehen zu lassen. Man umarmt sich, es rollt das eine oder andere Tränchen. Wohlwissend, dass man sich nie mehr begegnen wird. Für die Angehörigen ist es genauso: Sie sind glücklich, dass ihr Familienmitglied einen schönen Tag verbringen konnte. Sie erleben, wie es unserem Fahrgast gut geht, wie er noch mal so richtig aufblüht und einen Tag lang voller positiver Emotionen ist.
Erfahren Sie später noch einmal, wie es den Mitfahrern geht?
Ott: Nein, und das möchte ich auch nicht. Natürlich ertappe ich mich dabei, dass ich gelegentlich darüber nachdenke, wie es dem Fahrgast wohl gerade geht. Das klingt jetzt schon schlimm, denn die eigentliche Frage lautet ja: „Lebt mein Fahrgast noch?“ Damit möchte ich mich aber nicht belasten. Das ist der Abstand, den man beibehalten sollte.
Einmal erhielten wir am Morgen nach der Wünschefahrt eine Rückmeldung aus einer Pflegeeinrichtung: Unser Fahrgast konnte die ganze Nacht nicht schlafen, weil er noch so sehr voller Freude war, dass sein letzter Wunsch in Erfüllung gehen konnte. Das berührt sehr und bestärkt, weiter für den Wünschewagen zu arbeiten.
Gab es Momente, die Sie trotz all Ihrer Erfahrung traurig gemacht haben?
Ott: Ja, da habe ich zwei Beispiele. Was traurig macht, ist nicht das Schicksal des Fahrgastes an sich. Das soll jetzt nicht gefühlslos klingen. Natürlich ist das alleine schon schlimm genug. Traurig macht es mich, wenn unser Fahrgast noch jung ist und eventuell sogar noch kleine Kinder hat. Ich denke, dass die Krankheit und der Verlust eines Elternteils für die Kinder noch sehr viel schwieriger zu verarbeiten ist, als für einen Erwachsenen.
Oder ein anderer Fall: Unser Fahrgast lebt alleine. Versorgt wird sie von der Sozialstation, kann aber allein nicht aus dem Bett aufstehen. Eine Hospizfachkraft und die anderen Mitbewohner im Mehrfamilienhaus kümmern sich um sie. Und die Tochter wohnt um die Ecke und kümmert sich so gut wie nicht um ihre eigene Mutter. Das ist sehr schlimm, macht mich traurig und entspricht nicht dem, wie ich mir ein intaktes und generationenübergreifendes Familienleben vorstelle. Das habe ich selbst ganz anders und viel positiver erlebt.
Trotz all des Leids: Haben Sie auch lustige Momente erlebt?
Ott: Ja, auf alle Fälle! Die Fahrten sind ja dazu da, einen letzten Wunsch zu erfüllen. Die Fahrgäste freuen sich natürlich darauf, dass HEUTE einer ihrer letzten Wünsche in Erfüllung gehen wird. Und wenn man sich freut, dann ist man auch locker drauf, die Krankheit und die ganze Last rücken für einen Tag in den Hintergrund. Vielleicht ist das auch eine unserer Aufgaben: An diesem einen Tag die Fahrgäste von ihrem Schicksal abzulenken. Ich erinnere mich an eine ältere Dame, die sehr entzückt war, den Tag mit zwei „so netten jungen Männern“ verbringen zu dürfen. Sie hat sich ausgemalt, wie das wäre, wenn wir abends noch tanzen gehen könnten. Natürlich wusste sie, dass das aufgrund ihrer Erkrankung nicht geht.
Wie finanziert sich der Wünschewagen?
Ott: Der Wünschewagen finanziert sich ausschließlich aus Spenden sowie über freiwillige, ehrenamtliche Mitarbeit und ASB-Eigenmittel. Das oberste Ziel: Die Reise mit dem Wünschewagen ist für alle Fahrgäste kostenfrei. Um das hohe Niveau der Betreuung jederzeit gewährleisten zu können, ist finanzielle Unterstützung jederzeit willkommen sowohl von Privatpersonen als auch von Unternehmen.
Erfüllen Sie eigentlich alle Wünsche, die Ihre Fahrgäste äußern?
Ott: Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. Jeder Fall wird individuell geprüft. Generell kann man sagen, dass keine Fahrten durchgeführt werden, deren Ziel es ist, das Leben zu verkürzen. Dazu gehören zum Beispiel Fahrten in die Schweiz. jlz
Info
Wer Interesse hat an diesem Ehrenamt, kann sich mit dem ASB Rheinland Pfalz in Verbindung setzen, Telefon 0621-5919088 oder 06241-9787913 oder per E-Mail: wuenschewagen@asb-rp.de.
Spendenkonto:
Bank für Sozialwirtschaft
IBAN: DE18 6602 0500 0007 7901 17
BIC: BFDWDE33KRL
Autor:Wochenblatt Archiv aus Germersheim |
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