Protest gegen Finanzpolitik des Landes
Ortsbürgermeister und Ortsgemeinderat in Freisbach geschlossen zurückgetreten
Freisbach. Was vor einigen Monaten mit der faktischen Bankrotterklärung einer kleinen Ortsgemeinde im Landkreis Germersheim begann, gipfelte am heutigen Dienstagabend mit der symbolischen Bankrotterklärung eines ganzen Bundeslandes. Denn wahrlich: eine gute Figur machte sie nicht, die Landespolitik - in der letzten Sitzung des Freisbacher Ortsgemeinderates, der wie angekündigt und erwartet gemeinsam mit Ortsbürgermeister Peter Gauweiler geschlossen zurückgetreten ist. Es war ein Medienspektakel in der Freisbacher Sport- und Kulturhalle - aus ganz Deutschland waren Fotografen, Journalisten und Kamerateams angereist, um mitzuerleben, wie ein kleines Dorf der großen Politik geschlossen den Kampf ansagt.
Fehler im System
Grund für den Rücktritt - diese geschlossene, symbolträchtige Aktion - war die vorausgegangene Diskussion um den Haushalt der Ortsgemeinde Freisbach und die damit verbundene Kritik an den seit Jahresbeginn geltenden Änderungen des Landesfinanzausgleichsgesetzes und an der Kommunalaufsicht, die diese umsetzt. Besagter Haushalt wurde von dieser Kommunalaufsicht mehrfach nicht genehmigt - zu viele Schulden, zu wenige Sparmaßnahmen, zu viele Ausgaben. Aber in Freisbach war man sich einig: Weitere Sparmaßnahmen seien nicht möglich, ebenso wenig wie die gewünschte und vorgeschlagene Steuererhöhung - denn selbst die größtmögliche Anhebung aller der Kommune zur Verfügung stehenden Steuern hätte nicht den gewünschten Ausgleich des Haushalts gebracht.
So kam es in Freisbach zu einer vorläufigen Haushaltsführung spätestens ab Ende September, die lediglich Ausgaben erlaubt, zu denen die Ortsgemeinde rechtlich verpflichtet ist - etwa Gehälter und Abgaben und die unbedingt notwendig sind. Selbst die Möblierung eines zur Erweiterung der örtlichen Kita angeschafften Containers stand auf der Kippe. Viele Eltern fuhren in die Ferien ohne zu wissen, ob ihr Kind im September einen Kita-Platz im Ort bekommt. Nur eines der Beispiele, die Gauweiler anführte, um zu erklären, warum man sich zu diesem drastischen Schritt entschlossen hat. "Bei der Diskussion um die Möblierung eines leeren Containers für den Kindergarten habe ich mir dann gedacht, diesen Scheiß mache ich nicht mehr mit. Ich kann meinen Familien hier im Ort doch nicht die Kita-Plätze absagen", erklärte ein sichtlich bewegter Ortsbürgermeister.
Schon lange zahle die Ortsgemeinde keine freiwilligen Leistungen mehr aus, habe die Unterstützung der Vereine weitgehend eingestellt, selbst auf ihre eigenen Auslagen verzichteten die ehrenamtlichen Ratsmitglieder schon seit Jahren, um Freisbach handlungsfähig zu halten. Zuletzt habe man als weitere Einsparmaßnahme auf den barrierefreien Ausbau der Bushaltestellen verzichtet. Barrierefreiheit - eine Leistung, zu der Kommunen eigentlich rechtlich verpflichtet sind, die einzig den Bürgern zugute kommt - ebenso wie zur Bereitstellung von Ganztageskinderbetreuung.
Eine Kita, ein Gräberfeld und eine sanierte Sporthalle - kein Luxus, kein kommunales Prestigeobjekt
Dementsprechend im Freisbacher Haushalt 2023/24 - Geld für einen Kita-Neubau, da eine Sanierung auf dem alten Grundstück wesentlich kostspieliger geworden wäre, Geld für eine Teilsanierung der Sport- und Kulturhalle, da man dort bereits seit Jahren mit einem Legionellenbefall zu kämpfen habe und der Bau aus den 1970er Jahren auch sonst nicht mehr den heutigen Vorgaben entspreche. Ein weiterer Punkt auf der Ausgabenliste: Ein anonymes Rasengräberfeld für den Friedhof - etwas, das man seinen Bürgern bieten müsse, um im Bereich der Bestattungen konkurrenzfähig bleiben zu können.
"Alles kein Luxus", wie Peter Gauweiler betonte. "Alles Dinge, die wir brauchen, um die uns von Bund und Land auferlegten Aufgaben zu erledigen." Und genau da krankt, nicht nur nach Meinung der Freisbacher Räte das System: Das Land fordert vom Kreis, der fordert von den Verbandsgemeinden, die fordern von den Ortsgemeinden - und die könnten es sich allenfalls von den Bürgern und vom Gewerbe holen. "Aber wie, wenn nur ein paar Kilometer im nächsten Kreis die Steuern viel niedriger sind und vielen ein Umzug dann auch nicht mehr schwer fällt." Außerdem könne er den Bürgern keine Steuererhöhung zumuten, die letztlich für sie keinerlei Mehrwert bringe, den einen genehmigungsfähigen Haushalt habe man damit immer noch nicht. "Letztlich bliebe uns nichts, als bis zum 30. September auf einen Lotto-Gewinn zu hoffen", machte Gauweiler die Ausweglosigkeit der Situation deutlich.
Ehrenamt in Gefahr
Dass ein Rat und ein Ortsbürgermeister so nicht mehr arbeiten können und wollen, ist verständlich. Zumal die Situation sich schon seit Jahren zugespitzt hat. "Es geht vielen anderen Ortsgemeinden ja nicht anders, aber irgendjemand muss ja mal anfangen und ein Zeichen setzten. Das waren jetzt eben wir", führt der Bürgermeister aus, der sich Nachahmer wünscht. "Leicht sei ihm der Schritt nicht gefallen" erklärte der Ortsbürgermeister. Und nach fast 25 Jahren im Amt hätte er sich eigentlich einen anderen Abgang gewünscht. Auch den Räten und Rätinnen hörte man an, dass ihnen der Schritt nicht leicht gefallen ist. Sie alle sind zurückgetreten, weil sie sich gerne in diesem Ehrenamt engagiert haben - und genau deshalb hat es jetzt dieses Signal nach Mainz gebraucht.
Wie geht es weiter?
Mit dem Rücktritt des Ortsgemeinderates werden nun Nachrücker angeschrieben, übernehmen diese das Amt, muss innerhalb von drei Monaten ein neuer Ortsbürgermeister gewählt werden. Nehmen sie das Amt nicht an, muss in diesem Zeitraum auch ein neuer Rat gewählt werden. Gauweiler bleibt im Amt, bis das Land einen offiziellen Verwalter für die Gemeinde gefunden hat - längstens jedoch bis 31. August.
Was den Haushalt der Ortsgemeinde betrifft, so bleibt es beim Sparkurs. Denn wenn bis zum September keine maßgeblichen Sparmaßnahmen gefunden werden - und das wird ohne handlungsfähigen Rat nicht passieren - tritt die vorläufige Haushaltsführung in Kraft. Das heißt es können dann nicht einmal mehr schon versprochene Zuschüsse für die Durchführung von Festen und ähnlichem ausgezahlt werden. Bitter für Freisbach - ein großes Signal für die Politik, die jetzt in Zugzwang ist. Man wisse, dass sich in Sachen Finanzen jetzt nicht über Nacht alles ändern werde, sagte Gauweiler, aber dennoch hoffe er, dass man den Fehler im System erkenne und behebe.
Die Freisbacher Bürger stehen hinter der Entscheidung ihres Rates - eine bis auf den letzten Stehplatz gefüllt Sport- und Kulturhalle und minutenlanger Applaus für die Redebeiträge der Kommunalpolitiker zeigte, hier steht ein Dorf hinter seinen Politikern und respektiert deren unermüdlichen Einsatz bis zur letzten Konsequenz - dem gemeinsamen Rücktritt.
So klingt das in der offiziellen Stellungnahme des Ortsbürgermeisters Peter Gauweiler:
Auf Grund des neuen Landesfinanzausgleichsgesetzes zum 1.1.2023, das die Finanzbeziehungen zwischen dem Land und den Kommunen regelt, und der zeitgleich erfolgten Neuausrichtung der Kommunalaufsicht durch das Land Rheinland-Pfalz erhält die Ortsgemeinde Freisbach keine Haushaltsgenehmigung. Mangels dieser Genehmigung und der Unmöglichkeit einen von der Kommunalsicht geforderten Haushaltsausgleich durch Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen zu erreichen, sind nach der Sitzung die Mitglieder des Ortsgemeinderates und auch der Ortsbürgermeister Peter Gauweiler von ihren Ehrenämtern zurücktreten.
Ortsbürgermeister und Ratsmitglieder bedauern diesen Schritt sehr, sehen aber durch die Entscheidung des Landes Rheinland-Pfalz und in deren Folge der zuständigen Kommunalaufsicht keine Möglichkeit ihre ehrenamtliche Tätigkeit zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger unter diesen finanziellen Auflagen und Vorgaben weiter auszuüben.
Im zu genehmigenden Doppelhaushalt 2023/2024 der Ortsgemeinde Freisbach beträgt das zu erwartende Defizit im Ergebnishaushalt des Jahres 2023 rund 640.000 Euro, des Jahres 2024 rund 615.000 Euro. In den Haushalten sind nur Ansätze für Pflichtaufgaben und keinerlei Ansätze für freiwillige Leistungen vorgesehen. Auch bei einer Steuererhöhung der Grundsteuer B auf aus Sicht des Ministeriums sowie des Rechnungshof Rheinland-Pfalz rechtlich mögliche 995 Prozent, bliebe der Haushalt der Ortsgemeinde weiterhin unausgeglichen.
Autor:Heike Schwitalla aus Germersheim | |
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