Das Wilhelm-Hack-Museum macht's möglich
Abstrakte Kunst trotz schlechter Augen erleben und be-greifen
(Ein Interview mit Frau Mong Lan Phan, Betroffene)
Ilona Schäfer:
Teilhabe sehbeeinträchtigter Menschen an abstrakter und auch bildnerischer Kunst, ein nicht ganz einfaches Thema. Muss das im Widerspruch zueinander stehen?
Mong Lan Phan:
Viele Menschen tun sich mit abstrakter Kunst schwer und scheuen deshalb den Weg ins Kunstmuseum. Das gilt insbesondere für Leute, die schlecht sehen oder noch nie etwas sehen konnten. Mit zunehmender Sehverschlechterung haben sie leider auch oft ihr früher vorhandenes Interesse für Kunst verloren. (So war es bei mir)
Das ist schade.
Ilona Schäfer:
Es muss aber nicht so bleiben?
Mong Lan Phan:
Nein, das WHM macht seit Frühjahr 2019 Menschen mit Beeinträchtigungen ein tolles Angebot: für sehbeeinträchtigte Kunstinteressierte gibt es Führungen, in denen Darstellungen ausführlich durch Kunsthistorikerin Eva Wick beschrieben werden. Eva Wick sammelt bereits seit 6 Jahren praktische Erfahrung in der Vermittlung von Kunst für sehbeeinträchtigte Menschen in folgenden Museen:
Kunsthalle Mannheim,
Kurpfälzisches Museum, Heidelberg
Wilhelm Hack Museum, Ludwigshafen (Gewächse der Seele)
Ilona Schäfer:
Das hört sich ja wirklich gut an. Aber wie sieht das in der Praxis aus? Normalerweise muss ja zu Kunstwerken ein gewisser Abstand eingehalten werden...
Mong Lan Phan:
Passend zum Motto der aktuellen Ausstellung “Darf ich dir meine Sammlung zeigen”, die ganz im Rahmen des 40-jährigen Jubiläums des Museums steht, wurden für diese Führungen vor allem - aber nicht ausschließlich - eigene Meisterstücke des Hauses ausgewählt. So gibt es ein professionell von der Blindenstudienanstalt in Marburg erstelltes Tastbild des Malers Max Ernst oder eine Miniatur einer Bob Bonies Skulptur zum Anfassen.
Ilona Schäfer:
Eine Miniatur lässt aber die Ausmaße des Originals nicht unbedingt gut erkennen?
Mong Lan Phan:
Darum dürfen blinde Personen ausnahmsweise mit extra für diesen Anlass erworbenen Baumwollhandschuhen auch die Originalskulptur erkunden. Ein weiteres Hilfsmittel, mit dem das WHM arbeitet, ist ein Tablet. Mit diesem ist es extrem schlecht, aber gerade noch ausreichend sehenden Menschen möglich, Fotos der Kunstwerke soweit zu vergrößern, dass sie individuell gut erkennbar werden. Ist das Augenlicht ganz erloschen, helfen Tastbilder weiter. Leider gibt es noch nicht sehr viele, aber man arbeitet daran.
Struktur, Raum und abstrakte Kunst bekommen so eine ganz andere Bedeutung und werden be-geifbar, denn oft nimmt auch das räumliche Sehvermögen mit voranschreitender Sehverschlechterung ab, wenn es denn je vorhanden war.
Zur Erklärung: räumliches Sehen ist nur möglich, weil wir mit beiden Augen gleichzeitig sehen können. Verschlechtert sich zB nur ein Auge durch eine Verletzung oder verschlechtern sich beide Augen sehr unterschiedlich stark und schnell, guckt man automatisch mit dem besseren Auge. Das Sehen auf dem schlechteren Auge wird vom Gehirn unterdrückt, man kann nur noch 2-dimensional sehen. Entfernungen, Höhen, Tiefen (Treppen, Skulpturen), Bewegungen, Geschwindigkeiten von bewegten Dingen (fahrende Pkw) können nicht mehr richtig eingeschätzt werden. Hell-Dunkel-Sehen ist gestört, ein Schatten oft nicht als solcher wahrgenommen, sondern als festes Hindernis oder dunkler fester Gegenstand. (Ist das ein Schatten oder ein dunkler Bordstein?)
Deshalb erlebt man als sehbeeinträchtigter Mensch eine Skulptur anders, wenn man sie ertastet als wenn man sie sieht. Und deshalb sind gut beleuchtete Kunstwerke mit wenig Schatten oder Blendungen so wichtig.
Unabhängig von dieser Führung gibt es Film- und Hörbeiträge zur Geschichte des Museums, die man sich mit bereitgestellten Kopfhörern in Ruhe anhören kann. Und selbstverständlich bietet das Museum immer mal wieder Konzerte der verschiedensten Genres an – von Klassik, Jazz, Percussion bis hin zu aufgeleger Musik durch DJs im Rahmen der ART LOUNGE, die für sehbeeinträchtigte Menschen interessant sein können.
Ilona Schäfer:
Welche Voraussetzungen sollten erfüllt sein um an diesem Angebot teilnehmen zu können?
Mong Lan Phan:
Ein Schwerbehindertenausweis ist nicht notwendig, auch schlecht sehende Menschen, etwa Senioren, ohne anerkannte Schwerbehinderung sind gerade bei der Führung für Sehbehinderte willkommen. Hauptsache, die Lust und das Interesse für Kunst ist da oder wird wieder geweckt.
Ilona Schäfer:
Interessant ist da doch gewiss auch der hack-museumsgARTen?
Mong Lan Phan:
Unbedingt! Man kann den Hackgarten ja mit all seinen Sinnen erkunden: Riech- und Tastbeet(e), ein bunt umhäkeltes Fahrrad, eine große Spinne aus verschiedenen Materialien laden ebenso zum Erkunden mit den Händen ein wie die Minibeete am Zaun. Konzerte, Rolfs Wasserspiel und Baluba, der Torwächter sorgen für akustische Akzente.
Kaffee, Kuchen und Feste regen den Geschmacksinn an, und zum Sehen gibt es generell mehr als genug.
Ilona Schäfer:
Sind weitere Angebote geplant, die sehbeeinträchtigten Menschen den Zugang zur Kunst erleichtern können?
Mong Lan Phan:
Das WHM arbeitet daran. U.a. ist auch ein Werk von Piet Mondrian im Gespräch, die “Komposition mit Rot, Schwarz, Blau und Gelb”. Aber wir möchten ja nicht alles vorweg nehmen, lassen sie sich also überraschen...
Ein Termin für eine weitere Führung speziell für sehbehinderte Menschen steht schon fest:
Sonntag, den 12. Januar 2020, um 15 Uhr.
Ilona Schäfer:
Haben Sie vielen Dank für dieses interessante und auch lehrreiche Gespräch.
Autor:Ilona Schäfer aus Ludwigshafen |
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