Bahnhof Ludwigshafen: Ergebnis überzogener Ziele - Welche Pläne gibt es für die Zukunft?
Bahnhof Ludwigshafen. Einst als modernster Hauptbahnhof Deutschland gefeiert, ist das Denkmal der Nachkriegsarchitektur heute in der unglücklichen Lage, nicht gepflegt zu werden. Zwar werden die Vorplätze um den Bahnhof als Teil des Stadtentwicklungskonzepts City West in den nächsten 30 Jahren komplett umgestaltet. Doch was mit dem Gebäude passiert, das der Deutschen Bahn (DB) gehört, steht noch nicht fest. Als Fehlinvestition der DB verkommt er seit Jahrzehnten zum Stiefkind. Dabei könnte man die lichtdurchflutete Halle und die Flachdächer mit Potenzial zu Terrassen oder Gründächern stilvoll modernisieren.
Bahnhof Ludwigshafen: Überdimensionierte Planung in Zeiten von Wirtschaftsboom und überschwappenden Haushalten
Die 60er Jahre standen auch in der Chemiestadt für Wirtschaftsboom und Fortschrittsglaube, wie überall in Deutschland. Die Bevölkerung wuchs rasant. Angesichts der Bevölkerungsprognosen der 50er und 60er setzte die Stadtentwicklung auf Verkehrs- und Wohnungsbau. Mit Ingenieurskunst schien alles möglich. Das spiegelte sich auch in der Architektur wider.
Die typischen Gebäude der Nachkriegszeit gelten oft als kühne Experimente. Denn die Technik machte enorme Sprünge und die Menschen glaubten, dass es aufwärts geht. Die Architektur der 60er ist pragmatisch und der Zukunft zugewandt. Manche Nerds beschreiben sie als elegant. Der Futurismus zeigt sich am Hauptbahnhof durch die wabenförmigen Flachdächer, die an Dekotafeln aus den damaligen Fernsehshows erinnern sowie an den geometrischen Formen der ganzen Anlage.
Heute stellt man sich in vielen Städten die Frage: Weg mit den Bauten der Vorkriegszeit, die mit dem Vorurteil "hässlich" kämpfen, oder lassen sie sich neu entdecken und liebevoll sanieren? Weil Deutschland reich an diesen besonderen Neubauten aus den 50er, 60er, und 70er Jahren ist, findet derzeit bei vielen Architekten ein Umdenken statt. Viele dieser Gebäude, berühmte Bauten wie Umstrittenes werden modernisiert. Frisch saniert können selbst Bahnhöfe im betondominierten Stil der 60er neu erblühen, wie sich am Cottbuser Hauptbahnhof zeigte. Mit dem lange grau und seelenlos wirkenden Gebäude betreibt Cottbus heute Stadtmarketing.
Allein die großen Flachdächer des Hauptbahnhofs Ludwigshafen bieten Architekten viel Raum für Inspiration sowie die lichtdurchflutete Halle und die Kulisse des imposanten Pylons der Schrägseilbrücke. Was die Deutsche Bahn mit ihrem Ludwigshafener Hauptbahnhof vorhat, will sie auf Anfrage des Wochenblatts nicht beantwortet. Die Presseanfrage bleibt ohne Reaktion.
Der 1969 gefeierte Bahnhof Ludwigshafen
Bei seiner Einweihung im Mai 1969 wurde er als modernster Bahnhof Deutschlands beworben, dank seiner Architektur und Technik. Der damaligen Bundesverkehrsminister Leber sprach von einem Zeichen für den "Fortschrittswillen der Deutschen Bundesbahn". Mutig wurden vier Ebenen übereinander gestapelt: Unterirdisch verlaufen mehrere S-Bahn-Tunnel. Im EG halten an acht Bahnsteigen Regionalzüge und oben führen zwei Gleise Züge von Mannheim nach Mainz. Darüber schwingt sich die elegante Pylonbrücke als Teil der Hochstraße Süd. Die Stadt erschloss das Gelände, baute Straßenbahntunnel und verlegte Straßen und Kanalisation, was auch durch Zuschüsse von Bund und Land ermöglicht wurde. Die Bahn finanzierte das Bahnhofsgebäude, das ihr bis heute gehört. Doch angesichts der überschätzten Bevölkerungsprognosen aus den 60ern blieb die Belebung der Bahnhofsanlage aus. Auch der weitere zukunftsfähige, schnelle Strukturwandel Ludwigshafens kam nicht wie vorhergesagt. Die Anlage erscheint für einen Regionalbahnhof heute riesenhaft. Anfang hielten noch Schnellzüge, die wegen zu geringer Auslastung bald aus dem Fahrplan genommen wurden. Zudem stellte sich heraus, dass der Hauptbahnhof (Hbf) Ludwigshafen mit rund 1.300 Metern Fußweg zu weit von der belebten Innenstadt entfernt lag. Daran konnten selbst die Zufahrtsstraßen und der große Vorplatz mit Parkplätzen nichts ändern. Auch nicht die neuen, teils unterirdisch verlaufenden Strecken des S-Bahn-Netzes. Der alte abgerissene Kopfbahnhof hatte zwar das Gelände des heutigen Rathauscenters beansprucht, aber dieser lag in Nähe von BASF und mitten in der City. Nachdem die Haltestelle Ludwigshafen Mitte am Berliner Platz 2003 freigegeben war, verlor der neue Bahnhof weiter an Bedeutung. Denn die Bahnen, die über Neustadt nach Kaiserslautern, über Schifferstadt nach Germersheim oder Speyer sowie über Worms nach Mainz fahren, halten auch am Drehkreuz LU Mitte.
Bahnhof Ludwigshafen: Resultat überdimensionierter Stadtplanung
In den 60er Jahren prosperierte BASF zum Weltkonzern. Ludwigshafen gehörte bundesweit zu den Städten mit den größten Steuereinnahmen. Der Wirtschaftsstandort war auch zum Drehkreuz geworden: für Chemieprodukte sowie für Pendler. Der alte Sackbahnhof in Nähe des Rheinufers war bereits mehr als ausgelastet.
Die Stadtentwicklung bemühte sich seit den 50ern um die Verlegung des alten Kopfbahnhofs, an durchgehende Gleise zwischen Mainz und Mannheim, die 1959 von DB freigegeben wurden. Denn das Umspannen am Kopfbahnhof kostete Zeit, weshalb die DB 1962 in die Verlegung des Bahnhofs einwilligte. Auch vorläufige Konzepte für die Hochstraßen über die bebaute City entstanden. Am Rande des Westends verkaufte das Chemieunternehmen Benckiser der Stadt ein Grundstück. Dort liefen Gleise von Mannheim/Heidelberg in Richtung Oggersheim sowie in Richtung Mainz.
Auf Ratsbeschluss hin begann 1966 der Bau, 400 Meter südwestlich der Stelle, die vom Stadtentwicklungsamt 1950 vorgeschlagen worden war. Vor allem die Straßen- und Kanalverlegung und die Tunnelgrabungen für die S-Bahn brachten hohe Kosten für die Stadt mit sich. Angesichts der geringen Auslastung und des unvollendeten S-Bahn-Netzes erscheinen die vielen Maßnahmen heute größtenteils unnötig. Die Verlegung des Bahnhofs finanzierte die Bahn.
1964 begannen Stadtplaner die Neuentwicklung der City um die Freifläche, die nach Abriss des alten Bahnhofgebäudes und der Gleise frei wurde. Gerd Albers und Elmar Dittmann gewannen den ausgeschriebenen Städtebauwettbewerb. Ihr Entwurf sowie die des zweiten Preisträgers Albert Speers junior sahen die Hochstraße Nord sowie eine innerstädtisch belebte Meile vor. Diese Meile sollte ein T bilden, und zwar zwischen Berliner Platz und Rathausplatz – ergänzt um eine Kulturmeile Richtung Bahnhof, die sich auf Kaiser-Wilhelm-Straße und Bahnhofsstraße konzentrieren sollte. Diese Kulturmeile sollte City und Bahnhof verbinden. Der Hauptbahnhof sollte dadurch besser frequentiert werden. Entlang der Kaiser-Wilhelm-Straße und Bahnhofsstraße sollten Theater, Museen, Bibliotheken gebaut werden und ein ganzes Kulturszeneviertel mit Cafés, Kneipen, Restaurants entstehen.
Indem man in den Folgejahren Flächen für Pfalzbau, Wilhelm-Hack-Museum, Philharmonie, Stadtbibliothek,
Volkshochschule vorhielt, wurde diese Idee allmählich realisiert. Es entstanden Bars und Cafés in der Kaiser-Wilhelm-Straße. Doch seit den späten 80ern zeigen sich weder in Bahnhofsstraße noch in der Kaiser-Wilhelm-Straße neue Entwicklungen. Es zeigte sich bald, dass die Kulturgäste nicht über den Bahnhof kamen, weil die Eventstätten auch mit dem Auto gut erreichbar waren.
Bis heute gibt es Kritik an einigen Fehlplanungen: Der heute stillgelegte Tunnel D, der Rathaus, Danziger Platz und Hauptbahnhof verband, sowie weitere geschlossene Tunnel unter dem Danziger Platz sind Ergebnis einer typischen Nahverkehrsplanung aus den 60ern. Man plante viele Stadtbahnnetze unterirdisch, im Sinne des reibungslosen Autoverkehrs. Das geplante unterirdische S-Bahn-Netz LUs blieb in den Anfängen stecken. Es führte aber dennoch zu guten Verkehrslösungen zwischen Pfalzbau und Mundenheim. Einen großen Vorteil brachte die Bahnhofsverlegung für die Verkehrsanbindung an die zweite Schumacher-Brücke. Auch die innerstädtische Verkehrsberuhigung mit Nachmittagsboulevard wäre sonst nie möglich gewesen. Auch die Ludwigstraße soll bis 2045 Fußgängerboulevard werden.
Die Modernisierung des Bahnhofsgebäudes oder sein Abriss mit Neubau wird Aufgabe der Deutschen Bahn bleiben. Für die Neugestaltung der Bahnhofsplätze um den Bahnhof, auch für den Parkplatz im Osten und den ungenutzten Busbahnhof, werden bis Januar 2025 im Rahmen des Stadtentwicklungsplans City West vorläufige Pläne ausgearbeitet. Die Vernachlässigung von Halle und Anlage, die der DB gehören, machen sich bereits seit Ende der 70er bemerkbar. Während DB in viele ihrer Hauptbahnhöfe investiert hat, 20 Prozent der Bahnhofsgebäude im Bundesgebiet gehören DB und nur 80 Prozent den Kommunen, hat sich am Hauptbahnhof Ludwigshafen seit vielen Jahrzehnten so gut wie nichts getan. Es ist zu erwarten, dass in den nächsten 20 bis 30 Jahren, wenn City West umgesetzt wird, auch der Bahnhof in neuem Glanz erstrahlen wird. jg
Hintergründige Heimatgeschichte
Die Reihe "Hintergründige Heimatgeschichte" zeigt stadtplanerische Pfadabhängigkeiten auf, die bis heute das Stadtbild der modernen Stadt Ludwigshafen prägen. Sie führt an historische Plätze wie den Idiotenhügel, wo Generationen von Führerscheinanfängern das Anfahren am Berg übten. Die Reihe lenkt zudem den Blick auf die Potenziale und Stärken der Stadt, die zeigen, wo die Entwicklung hin geht.
Das Rathaus Center wird bald Geschichte sein. Es wurde in den 70ern aus der Not geboren, weil der Investor Schätze fürs Einkaufszentrum durch die Ölkrise pleite ging. Hier geht es zum Beitrag.
Autor:Julia Glöckner aus Ludwigshafen |
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