BriMel unterwegs
Die besten Therapeuten sind die Pferde
Ludwigshafen. Am 13. Juli besuchte ich den ältesten Reiterhof für therapeutisches Reiten in Deutschland, den Reiterhof Kinderhilfe e. V., eine Einrichtung, über die ich bis dahin nichts gehört hatte und die mich interessierte. In einem langen Gespräch mit Frau Dr. Wilhelma Metzler (1. Vorsitzende) und Betriebsleiterin Christine Wanzek-Heringer erfuhr ich so einiges.
Im Jahre 2019 hatte der Reiterhof Kinderhilfe e.V. sein 50-jähriges Bestehen. Der Verein zählt heute ca. 300 aktive und nochmals zusätzlich 160 passive Mitglieder. Entstanden ist das Ganze 1969 aus einer Initiative von Eltern mit behinderten Kindern. Die Mutter von Christine Wanzek-Heringer, Dorothee Wanzek-Blaul, war Mitbegründerin und unternahm gemeinsam mit Pfarrer Ernst Fritze, der ebenfalls eine behinderte Tochter hatte, erste Versuche, behinderte Kinder aufs Pferd zu setzen. Das erste Pferd hieß „Fritzi“ und gehörte Dorothee Wanzek-Blaul. Es folgte die Vereinsgründung und nach und nach wurden weitere Therapiepferde angeschafft. Die pferdegestützte Therapie kam ursprünglich in den siebziger Jahren aus England und hier entdeckte man die Wirkung auf Körper und Seele. Ursprünglich war die Therapie auf der Kinderhilfe nur für körperlich Behinderte gedacht und später kamen auch geistig Behinderte dazu. Heute werden auf dem Reiterhof drei Bereiche des therapeutischen Reitens angeboten: Hippotherapie, heilpädagogisches Reiten und Voltigieren und inklusives Reiten als Sport für Menschen mit und ohne Behinderung.
Unter Hippotherapie versteht man eine physiotherapeutische Behandlung der Patienten auf dem Pferd. Hier läuft die Physiotherapeutin neben dem Pferd her, die Pferdeführerin führt das Pferd von hinten am Langzügel. Das Pferd ist der Haupttherapeut. Man muss sich das so vorstellen, dass die Bewegungsabläufe des Pferdes dem Bewegungsablauf des menschlichen Gehens ähnlich sind. Man hat für jeden Patienten das passende Pferd, das dann dieses Bewegungsmuster überträgt. Hier finden sich hauptsächlich Patienten mit MS, Schlaganfall oder neurologischen Erkrankungen sowie Rollstuhlpatienten. Bevor sie jedoch zum ersten Mal auf das Pferd dürfen, muss von Arztseite abgeklärt werden, ob Bedenken bestehen. Diese Unbedenklichkeitserklärung muss vorgelegt werden!
Der heilpädagogische Bereich Reiten und Voltigieren ist eine Gruppentherapie. Überwiegend Kinder und Jugendliche sind im Bereich heilpädagogisches Reiten und Voltigieren aktiv. Hier lernt man das Gleichgewicht zu halten indem man auf dem Pferderücken balanciert. Gefördert werden zudem Motorik, Konzentration und Sozialverhalten. Kinder und Jugendliche mit ADHS, Verhaltensauffälligkeiten, Trauma-Erlebnissen bis hin zu Autismus, aber auch Kinder ohne Indikation sind hier die Zielgruppe. Man will Inklusion leben: Kein Leistungssport, sondern auf spielerische Weise auf dem Pferd turnen und mit ihm interagieren, denn hier steht Soziales im Vordergrund. Die Bewegungserfahrung fehlt heute sehr oft, das sieht man an übergewichtigen Kindern, die keinen Sport treiben und wohl nur im Liegen oder Sitzen auf ihren Konsolen rumdaddeln. Der lateinische Begriff Adipositas bedeutet starkes oder krankhaftes Übergewicht, oft wird er auch als „Fettleibigkeit“ oder „Fettsucht“ übersetzt. Hier ist größtenteils Mobbing in der Schule an der Tagesordnung. Auf dem Reiterhof fängt man behutsam an, indem die Kinder z. B. die Pferde durch einen Geschicklichkeitsparcours führen, um Beweglichkeit und Motorik spielerisch zu verbessern und Kontakt zum Partner Pferd aufzubauen.
Reiten als Sport für Menschen mit Behinderung sind integrative Reitgruppen. Hierunter befinden sich z. B. auch Kinder mit ADHS oder Patienten mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen. Aber es kommen auch immer wieder Menschen, die vielleicht im Kindesalter einmal geritten sind und nach etlichen Jahren wieder einsteigen wollen. Auch für Menschen mit Rückenproblemen ist Reiten von Vorteil, so eine Art Rückenschule. Hier wird dann bei Bedarf auch ein Physiotherapeut hinzugezogen.
Auf dem Reiterhof Kinderhilfe e.V. gibt es fünf Festangestellte, bis zu zehn Honorarkräfte, die hier in festen Stunden arbeiten, und viele ehrenamtliche Helfer, ohne die hier gar nichts ginge. Momentan haben sie 13 Pferde, die jedoch zum Teil schon im Rentenalter sind. Der Reiterhof als gemeinnütziger Verein benötigt daher dringend Spenden, um zwei jüngere Pferde anzuschaffen und auch etliche Reparaturen zur Instandhaltung durchzuführen. Die engagierten Mitarbeiter wünschen sich z. B. für den Reitplatz einen angepassten Allwetterboden, damit bei jeder Witterung im Freien geritten werden kann und nicht nur bei schönem Wetter. Denn nichts geht über Bewegung in der Natur. Nur leider ist der Boden auf dem Reitplatz gerade wie am heutigen Regentag total aufgeweicht. Alleine durch die Einnahmen aus Reit-, Voltigier- und Therapiestunden, die so festgelegt wurden, dass, sie sich nicht nur Reiche leisten können, ist dies nicht zu bewerkstelligen. Auch hier hat das Corona-Jahr erbarmungslos zugeschlagen, so dass die Therapie- und Reitstunden erst seit Juni dieses Jahres wieder als richtiger Betrieb laufen. Davor gab es nur Einzelstunden und die Hippotherapie im medizinischen Bereich. Im Schnitt kommen ca. 300 Klienten (Kinder, Jugendliche und Erwachsene) pro Woche, also Reiter, Voltigierer und Patienten. Kooperationspartner, die mit Gruppen kommen, sind z. B. Förderschulen, das Pfalzinstitut für Hörgeschädigte, St. Johannes (Einrichtung für psychisch Kranke), Lebenshilfe (Maxdorf, Neustadt/Wstr. Ludwigshafen), LuZiE (heilpädagogische Tagesgruppe in LU) sowie das Frauenhaus Ludwigshafen e.V.
Reiten ist gerade für Rollstuhlfahrer, die ständig in sitzender Position unterwegs sind, gut für die Lunge, die durch die rhythmischen Bewegungen durch das Pferd im unteren Bereich mehr Luft bekommen, neben Muskelaufbau auch für die Verdauung eine gute Sache. Die Therapien sind gut gebucht, so dass es eine Warteliste gibt. Durch die Mitarbeit der Ehrenamtlichen sollte aber alles im grünen Bereich sein. Die Pferde müssen täglich bewegt werden und sind dadurch, dass die Betriebsleiterin mit ihrer Familie neben dem Vereinsgelände wohnt, auch immer unter Aufsicht. Nach der Therapie können die Pferde, die wichtigsten Therapeuten, auf die Koppel, wo die Tiere in Gruppen entspannen und Sozialkontakte pflegen können. Der Tierschutzfaktor wird immer im Auge behalten. Die Pferde konzentrieren sich während ihrer Arbeit auf die Patienten und haben dann Pause. Pferde sind keine Stallhasen, das heißt, sie brauchen ihren Auslauf. Es sind sehr soziale Tiere, die nicht alleine gehalten werden sollten, und auch mal gekrault werden wollen und gerne interagieren. Die neuen Pferde werden hier vor Ort zu Therapiepferden ausgebildet.
Falls Sie den Verein gerne unterstützen wollen sind hier die Daten:
Reiterhof Kinderhilfe e.V.
Spreeallee 3, 67071 Ludwigshafen
Bürozeiten: Mo-Do 9.00-12.00 Uhr, Tel. 0621/678993
Email: reiterhof-kinderhilfe@web.de, www.reiterhof-kinderhilfe.de
Bankverbindung: Sparkasse Vorderpfalz
IBAN: DE90 5455 0010 0193 4007 69
(mel)
Autor:Brigitte Melder aus Böhl-Iggelheim |
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